Puchner versteht die Aufregung nicht
Wo noch vor wenigen Jahren Abfahrt trainiert wurde, sind nun Gletscherspalten. Diese dramatische Situation kennt Mirjam Puchner schon länger. Die aktuelle Debatte über das vermeintliche Ausweichen nach Chile sei aber fehl am Platz.
SALZBURG. Temperaturen jenseits der 30 Grad lassen sogar hierzulande den Wintersport noch als weit entfernt erscheinen. Für die Profis
hingegen wird der Countdown zur neuen Skiweltcupsaison im Hochsommer eingeläutet. Mirjam Puchner etwa schnallt erstmals seit dem Ende der vergangenen, für die Salzburgerin so erfolgreichen Saison wieder die Ski an. Ab Sonntag steht für das ÖSV-Speedteam ein einwöchiges Schneetraining in Saas-Fee auf dem Programm. Auf einem der Gletscher, den Sorgenkindern.
Was genau sie im Schweizer Wallis, unweit der italienischen Grenze, erwartet, weiß Puchner natürlich noch nicht. Mittlerweile einige Jahre Gletschertraining haben ihr die
besorgniserregende Situation aber schon in der Vergangenheit vor Augen geführt. „Wenn man im Sommer immer um dieselbe Zeit am Gletscher ist, dann wird dir das Schmelzen von Eis und Schnee Jahr
für Jahr brutal vor Augen geführt“, sagt die 30-jährige St. Johannerin. Besonders die vergangenen zwei
Jahre seien dramatisch gewesen. „Wo wir noch vor ein paar Jahren
Abfahrt trainiert haben, wo also eine kompakte Piste war, sind jetzt Gletscherspalten. Du fährst mit der Gondel rauf, siehst die im Vergleich zum Vorjahr ausgeaperten Stellen
und denkst dir ,Das gibt es doch nicht‘. Ich hab es mir auch lange nicht vorstellen können, wenn meine Eltern oder Großeltern darüber gesprochen haben. Jetzt weiß ich es leider ganz genau.“
In Saas-Fee dürfen Puchner und Co. kommende Woche Ski fahren,
weil es ihr Beruf ist. Da nur etwa die Hälfte der auf zwischen 3200 und
3600 Metern Seehöhe gelegenen Pisten befahrbar ist, sind die Pisten nämlich den Trainingsgruppen vorbehalten. Ihren Sommerskibetrieb
überhaupt schließen mussten nun die Lifte in Zermatt. Zermatt? Da war doch was. Richtig. Ende Oktober die Herren und eine Woche später die Damen sollen heuer erstmals
unter der atemberaubenden Kulisse des Matterhorns Abfahrten bestreiten, ihre Speedsaison also spektakulär eröffnen. Es scheint, als würde die Idee wie Schmelzwasser davonrinnen, noch ehe sie umgesetzt werden konnte.
Dass die Folgen des Klimawandels zunehmend auch vor dem Skiweltcup
nicht haltmachen, ist nicht nur Mirjam Puchner bewusst. Die
Aufregung, dass man auf der Suche nach besseren Bedingungen nun aus diesem Grund ans andere Ende der Welt fliegen müsse, kann die Salzburgerin aber gar nicht nachvollziehen: „Wir haben, mit Ausnahme von zwei Jahren Coronapause, immer in Südamerika trainiert. Das war immer am Plan. Dass wir
wegen der schwierigen Situation auf den Gletschern so weit ausweichen müssen, stimmt einfach nicht“, stellt Puchner klar. Am 24.
August bricht das ÖSV-Team auf in den chilenischen Winter. Die Möglichkeiten dort sind, unabhängig
von den Bedingungen auf den Gletschern im europäischen Sommer, einfach sehr viel besser.
Mit drei Podestplätzen, sechs weiteren Top-10-Ergebnissen im
Weltcup und natürlich der Silbermedaille im olympischen Super G von Peking hat sich Puchner in der vergangenen Saison an der Spitze etabliert. Die Zeiten, als sie aufgrund der folgenschweren Unterschenkelverletzung nicht oder
nicht schmerzfrei Ski fahren und trainieren konnte, gehören der Vergangenheit an. „Ich bin fit, kann mich jetzt zum zweiten Mal in Folge ohne körperliche Einschränkung auf die Saison vorbereiten“, erzählt die groß gewachsene Modellathletin. Die jüngsten Erfolge würden für das Training im Sommer zusätzlich anspornen. „Ich hatte nie Motivationsprobleme. Aber wenn es einmal zäh ist, dann weiß ich jetzt umso besser, warum ich es mache.“
Nach einem anspruchsvollen Frühsommer mit dem Abschluss ihrer Polizeiausbildung, als sie wöchentlich ein 40-Stunden-Praktikum und 25 Stunden Training zu kombinieren hatte, folgte noch einmal ein Kurzurlaub. „Und jetzt bin ich heiß auf den Schnee.“Auch so
lässt sich die Hitzewelle aushalten.