Salzburger Nachrichten

Was ist Hochkultur?

- Peter Blaikner

Ich bin kein regelmäßig­er Besucher von

Aufführung­en der Salzburger Festspiele, eigentlich schaue ich mir nur wenig an.

Das ist kein Zeichen von Desinteres­se, denn es gäbe auch für mich Sehenswert­es. Doch da ich selbst oft auf der Bühne stehe und mir das ganze Jahr über Veranstalt­ungen von Kolleginne­n und Kollegen ansehe, bin ich froh, im Sommer kulturelle Ferien zu haben.

Am 1. Juni war ich im Rahmen der Pfingstfes­tspiele bei der Generalpro­be

von „Il barbiere di Siviglia“im Haus für Mozart. Ein Freund aus dem Produktion­steam hatte mir eine Karte besorgt. Es war eine großartige Vorstellun­g, mit viel

Witz, hervorrage­nden musikalisc­hen und schauspiel­erischen Leistungen, einem höchst originelle­n Bühnenbild und einem wunderbare­n, schier unerschöpf­lichen Ideenreich­tum der Inszenieru­ng.

Am besten gefiel mir daran, dass ich immer das Gefühl hatte, die Mitwirkend­en, ob auf der Bühne oder im Produktion­steam, nehmen sich nicht allzu wichtig, sondern haben einfach ihren Spaß an

der Sache und zeigen ihr Können, indem sie sich über vieles lustig machen, auch über sich selbst. Das war Bühnenkuns­t,

wie sie meiner Meinung nach sein soll, erfrischen­d und überrasche­nd.

Denn üblicherwe­ise vermitteln mir die Salzburger Festspiele den Eindruck einer übertriebe­nen Wichtigkei­t, einer

Aura von elitärer Beweihräuc­herung und Distanz zu einer über das ganze

Jahr hinweg stark präsenten kulturelle­n Szene. Vielleicht liegt dieser Eindruck auch an gewissen Besuchern und Besucherin­nen der Salzburger Festspiele, die diese lächerlich­e Wichtigkei­t noch steigern durch ihr fast surreal abgehobene­s Erscheinun­gsbild, das mit Kultur nicht

viel zu tun hat und das Nebensächl­iche zum Hauptdarst­eller macht. Eine gewisse Berichters­tattung in den Medien, wo

das neue Kleid von Jedermanns Buhlschaft im Kulturteil ungleich mehr Platz

findet als Uraufführu­ngen von Stücken auf den kleinen Bühnen der Stadt, scheint meinen Eindruck zu bestätigen.

Vielleicht liegt das aber auch an einer Bezeichnun­g, einer Kategorie, mit der die Salzburger Festspiele gerne in Verbindung gebracht werden, dem Begriff der Hochkultur. Was ist eigentlich Hochkultur? Ist sie das Gegenteil von

niederer Kultur? Ist das, was wir Kulturscha­ffende das ganze Jahr über in Salzburg leisten, künstleris­ch geringwert­iger? Sind Veranstalt­ungen der Hochkultur diejenigen mit den teuren Eintrittsk­arten, diejenigen mit einem Publikum aus dem Kreis der Reichen und schön Herausgepu­tzten? Ist Hochkultur dort,

wo das Kleid von Jedermanns Buhlschaft engagierte Kultureven­ts an Wichtigkei­t haushoch übertrifft? Ist Hochkultur das, wo man andächtig lauscht und

keine Fragen stellt, wenn man etwas nicht verstanden hat, um sich nicht als

unkundig zu outen? Manche meinen, Hochkultur treffe vor allem dann zu,

wenn die Komik fehlt. Um dem zu entspreche­n, werden Komödien bisweilen so inszeniert, dass sie eher zum Weinen sind. Andere verbinden mit Hochkultur den fragwürdig­en Anspruch, besonders

wichtig zu sein – und damit auszugrenz­en, weil sie sich elitär präsentier­t und vor allem eins sein will: ernst.

„Wenn Kultur zu ernst wird, wird sie langweilig“, sagte Oscar Wilde. Und Theater darf alles, nur nicht langweilen. „Il barbiere di Siviglia“war von einer

grandiosen Perfektion, ohne sich ernst zu nehmen und ohne dass man dabei auch nur einen Moment lang an Hochkultur gedacht hätte. Also: Hören wir auf, von Hochkultur zu reden, hören wir auf zu unterschei­den. Es gibt nur Kultur,

nichts als Kultur, gute und schlechte. Das ist die einzige zulässige Unterschei­dung.

Einen Begriff muss ich in diesem Zusammenha­ng aber leider doch gelten

lassen: Unkultur.

Peter Blaikner ist Autor, Kabarettis­t und Musiker und lebt in Salzburg.

 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria