Was ist Hochkultur?
Ich bin kein regelmäßiger Besucher von
Aufführungen der Salzburger Festspiele, eigentlich schaue ich mir nur wenig an.
Das ist kein Zeichen von Desinteresse, denn es gäbe auch für mich Sehenswertes. Doch da ich selbst oft auf der Bühne stehe und mir das ganze Jahr über Veranstaltungen von Kolleginnen und Kollegen ansehe, bin ich froh, im Sommer kulturelle Ferien zu haben.
Am 1. Juni war ich im Rahmen der Pfingstfestspiele bei der Generalprobe
von „Il barbiere di Siviglia“im Haus für Mozart. Ein Freund aus dem Produktionsteam hatte mir eine Karte besorgt. Es war eine großartige Vorstellung, mit viel
Witz, hervorragenden musikalischen und schauspielerischen Leistungen, einem höchst originellen Bühnenbild und einem wunderbaren, schier unerschöpflichen Ideenreichtum der Inszenierung.
Am besten gefiel mir daran, dass ich immer das Gefühl hatte, die Mitwirkenden, ob auf der Bühne oder im Produktionsteam, nehmen sich nicht allzu wichtig, sondern haben einfach ihren Spaß an
der Sache und zeigen ihr Können, indem sie sich über vieles lustig machen, auch über sich selbst. Das war Bühnenkunst,
wie sie meiner Meinung nach sein soll, erfrischend und überraschend.
Denn üblicherweise vermitteln mir die Salzburger Festspiele den Eindruck einer übertriebenen Wichtigkeit, einer
Aura von elitärer Beweihräucherung und Distanz zu einer über das ganze
Jahr hinweg stark präsenten kulturellen Szene. Vielleicht liegt dieser Eindruck auch an gewissen Besuchern und Besucherinnen der Salzburger Festspiele, die diese lächerliche Wichtigkeit noch steigern durch ihr fast surreal abgehobenes Erscheinungsbild, das mit Kultur nicht
viel zu tun hat und das Nebensächliche zum Hauptdarsteller macht. Eine gewisse Berichterstattung in den Medien, wo
das neue Kleid von Jedermanns Buhlschaft im Kulturteil ungleich mehr Platz
findet als Uraufführungen von Stücken auf den kleinen Bühnen der Stadt, scheint meinen Eindruck zu bestätigen.
Vielleicht liegt das aber auch an einer Bezeichnung, einer Kategorie, mit der die Salzburger Festspiele gerne in Verbindung gebracht werden, dem Begriff der Hochkultur. Was ist eigentlich Hochkultur? Ist sie das Gegenteil von
niederer Kultur? Ist das, was wir Kulturschaffende das ganze Jahr über in Salzburg leisten, künstlerisch geringwertiger? Sind Veranstaltungen der Hochkultur diejenigen mit den teuren Eintrittskarten, diejenigen mit einem Publikum aus dem Kreis der Reichen und schön Herausgeputzten? Ist Hochkultur dort,
wo das Kleid von Jedermanns Buhlschaft engagierte Kulturevents an Wichtigkeit haushoch übertrifft? Ist Hochkultur das, wo man andächtig lauscht und
keine Fragen stellt, wenn man etwas nicht verstanden hat, um sich nicht als
unkundig zu outen? Manche meinen, Hochkultur treffe vor allem dann zu,
wenn die Komik fehlt. Um dem zu entsprechen, werden Komödien bisweilen so inszeniert, dass sie eher zum Weinen sind. Andere verbinden mit Hochkultur den fragwürdigen Anspruch, besonders
wichtig zu sein – und damit auszugrenzen, weil sie sich elitär präsentiert und vor allem eins sein will: ernst.
„Wenn Kultur zu ernst wird, wird sie langweilig“, sagte Oscar Wilde. Und Theater darf alles, nur nicht langweilen. „Il barbiere di Siviglia“war von einer
grandiosen Perfektion, ohne sich ernst zu nehmen und ohne dass man dabei auch nur einen Moment lang an Hochkultur gedacht hätte. Also: Hören wir auf, von Hochkultur zu reden, hören wir auf zu unterscheiden. Es gibt nur Kultur,
nichts als Kultur, gute und schlechte. Das ist die einzige zulässige Unterscheidung.
Einen Begriff muss ich in diesem Zusammenhang aber leider doch gelten
lassen: Unkultur.
Peter Blaikner ist Autor, Kabarettist und Musiker und lebt in Salzburg.