„Salzburg ist kein Museum“
Ein Gespräch über „Die Toten von Salzburg“, den Reiz einer Rolle und über die Fähigkeit, auf Kritik verzichten zu können, um dadurch der Faszination einen Raum zu geben.
Der gebürtige Wiener Florian
Teichtmeister ist im Ensemble des Wiener Burgtheaters und verkörpert die Rolle des Kommissars Palfinger in der Serie „Die Toten
von Salzburg“. Im Moment ist er im Drama „Corsage“auf den Kinoleinwänden zu sehen. Ein sommerliches SN-Gespräch in der Galerie Reinisch in der Salzburger Getreidegasse.
Wir sitzen hier zwischen Werken von Brandl und Förg in einer Galerie. Inspiriert Sie die bildende Kunst?
SN:
Es ist die Kunst, die mir vom Talent her am wenigsten gegeben ist. Vielleicht kommt daher meine große Faszination gegenüber Künstlerinnen und Künstlern, die damit ihr Leben verbringen. Ich
besuche nichts lieber in fremden Städten als Museen. Das Bildnis, die Fotografie, die Skulptur ist für
mich die größte Inspirationsquelle für meine Arbeit, wenn es
um Stimmungen, Figuren und Grundlagen geht.
SN: Sie haben fremde Städte angesprochen.
Die Altstadt von Salzburg kennen Sie inzwischen bestens durch Ihre Rolle in der Serie „Die Toten von Salzburg“, wie nehmen Sie diese wahr?
Es wäre modisch, eine gesunde
Abneigung gegenüber Salzburg vor sich herzutragen. Nur ein echter Wiener darf über Wien schimpfen. Die Analogie dazu sollte auch für Salzburg gelten. Jedes Mal, wenn ich diese Stadt
wieder verlasse, frage ich mich, ob ich nicht zu wenig mitgenommen habe. Die Arbeit an den Filmen, die ich hier mache, ist so zeitintensiv, dass ich vom sozialen Leben in Salzburg viel weniger mitbekomme, als ich gerne
würde.
Reizt Sie die Rolle des im Rollstuhl sitzenden Kommissars, Peter Palfinger, nach über sechs Jahren noch?
SN:
Ja – der Fokus hat sich im Laufe der Zeit verändert. Anfangs war ein Polizist im Rollstuhl ein Novum. Nach sechs Jahren hat das zu einer Normalität gefunden. Plötzlich ist der Rollstuhl normal und andere Facetten der Rolle
können erzählt werden. Jetzt geht es um die Dinge im Leben, die uns alle berühren, egal ob
mit oder ohne Einschränkung: Glückseligkeit, Liebe, Familie, berufliches Fortkommen.
SN: Ist Salzburg eigentlich barrierefrei?
Ganz viele Menschen stellen mir diese Frage. Andere Leute beginnen durch meine Rolle darüber nachzudenken – das empfinde ich als sehr positiv. Das eigentliche Vorbild für meine Rolle ist Thomas Geierspichler. Mit ihm reflektiere ich gerne über die Figur und die Fragen.
Im „Schattenspiel“– die Episode wird 2023 ausgestrahlt – waren Sie aus zeitlichen Gründen nicht dabei. Drehen Sie im nächsten Jahr wieder?
SN:
Es sieht danach aus. Ich bin jedes Mal sehr glücklich, mit diesem
Team arbeiten zu dürfen.
SN: Haben Sie Ihren besonderen Salzburg-Moment schon erfahren dürfen?
Ja – in den Drehpausen genieße ich es, wenn ich auf der Terrasse des Kapuzinerklosters sitze. Es ist aber nicht die Stille, es sind die Geräusche, die die Stadt macht, die einen besondern Klang ergeben und auf mich wirken. Es ist ein großstädtisches Flair mit all den Sirenen, Autos, Kirchenglocken. Gleichzeitig ist Salzburg aber extrem pittoresk – aber gar nicht museal. Salzburg ist kein
begehbares Museum.
SN: Sie sind Absolvent des Max-Reinhardt-Seminars, er wirkte in und auf Salzburg, ist die Reinhardt’sche Tradition noch spürbar?
Im Rahmen der Festspiele bilde
ich es mir ein, dass seine Tradition
immer noch funktioniert und erlebt werden kann. Die größte Tradition im Schauspiel in Salzburg ist der „Jedermann“. Ein Stück, das sämtliche Modernisierungen und Lesarten überlebt
hat und immer noch anknüpft an die Grundidee. Das Spannende für mich ist, dass Max Reinhardt in seiner Zeit eine so moderne Figur war, dass man ihn in keine Klischees drängen kann. Selbst in seinen Regiearbeiten agierte er schon mit filmischen Mitteln.
Auf der Bühne schuf er einen richtigen Theaterzauber, vor allem durch das moderne Bühnenbild. Ich kann ihm nicht als historischer Figur nacheifern, diese entschlüpft mir jedes Mal.
SN: Wann betritt Florian
Teichtmeister wieder die
Bühne des Salzburger Welttheaters?
Wenn man mich besetzt (lacht).
SN: Ihre Traumpartie?
Das habe ich mir abgewöhnt. Ich
beschäftige mich aber immer gerne mit allen Angeboten, die ich bekomme – so ich sie bekomme. Ich hatte das Glück, dass ich schon spielen durfte: den „Lumpacivagabundus“und die „Komödie der Irrungen“.
Lassen Sie uns politisch werden. Sind Kultur und Demokratie im besten Einklang?
SN:
Das wäre meine Idealvorstellung, die aber nur selten Einzug hält. Mir fällt das inzwischen inflationär verwendete Wort „Diskurs“ein. Es geht um die Art und
Weise, wie wir über unseren Geschmack,
über unsere Überzeugung, unsere Ideologie verhandeln. Wenn das mit Respekt vor der Unantastbarkeit der Würde des anderen geschieht, dann
kann man über alles reden und andere Meinungen als Bereicherung schätzen. Wir dürfen nicht dem für uns Fremden eine Ungültigkeit zuweisen. Aber: Es sind
nicht alle Meinungen gleich richtig. Über Fakten kann man weniger diskutieren als über Geschmack.
SN:
Sie haben die Würde des Menschen angesprochen, wo endet diese für Sie?
Dort, wo der Zwang zur Selbstverleugnung beginnt.
SN:
Was verstehen Sie unter Selbstverleugnung?
Nicht mehr zu dem stehen zu
können, wofür man selbst leben möchte. Wenn Menschen jemanden zwingen, dass er sich selbst aufgibt, dann wird die Würde des anderen nicht akzeptiert. Würde
kann man selbst nicht verlieren – sie kann einem nur genommen
werden.
SN:
Gibt es eine Würde gegenüber einer Rolle?
Es gibt die Verantwortung gegenüber einer Rolle. Wer in London Hamlet spielt, verkörpert ein bestimmtes Heiligtum. Es gibt dann zwei Möglichkeiten: Man wählt den erwarteten, bekannten Weg oder man bricht mit allen Erwartungen und stellt sich in den Regen, der dadurch entstehen kann, und lässt dadurch den Versuch zu, etwas völlig Neues entstehen zu lassen. Damit geht ein großer Druck einher. Als Interpretationskünstler kann man mit solchen Rollen aber unsterblich werden. Man kann als Schauspielerin, als Schauspieler der Anwalt seiner Figur sein, da ist etwas Wahres dran. Selbst der größte Bösewicht ist überzeugt, etwas Richtiges zu tun. Nur das Böse zu spielen wäre
übrigens nie stark genug.
SN: Der gute Schauspieler brilliert in den kleinen Rollen, die großen zu spielen ist doch einfach, oder?
Klaus Maria Brandauer hat zu mir einmal gesagt: „Es ist leichter, in einer Hauptrolle gut zu sein, man
hat 90 Minuten Zeit dafür, als in einer Rolle, in der man drei Sätze
hat.“
SN: Sind Sie durch Ihre Rollen in den Filmen, im Burgtheater, in der Josefstadt erwachsen geworden?
Ja, man reift mit und durch jede Rolle. Jede Rolle, jeder Theaterabend prägt einen und kann einen als Menschen verändern.
Sie waren schon mit Ihren Eltern häufig im Theater, haben Sie sich den kindlichen Zuschauerblick behalten?
SN:
Ich schaue immer noch zu – wie ein Zuschauer. Ich suche immer noch nach dem, was mir gefällt, was mich überrascht und mich verzaubert. Ich muss nicht immer gleich alles kritisieren, diese Mentalität habe ich mir antrainiert. Ich finde andere Menschen
und deren künstlerische Arbeit sehr gerne sehr gut. Kritik üben fühlt sich manchmal als aktiver
Vorgang an. Es gehört aber meist nicht viel dazu. Selbst in einem Zeitraum von drei Stunden halte ich es für ausgeschlossen, dass es
nichts gibt, was mir gefällt.
SN-Info:
„Masterpieces of Art“in der Galerie Reinisch. Getreidegasse 12,
Salzburg. Montag bis Samstag 11–18 Uhr, Sonntag 11–13 Uhr.