Salzburger Nachrichten

In den Fußstapfen der Ersten Republik

Die heutige Dritte Republik und Österreich vor 1938 – eine beängstige­nde Parallelge­schichte.

- Alexander Purger

Eineinhalb Jahre, neun Monate, zwei Jahre, ein

Tag – die Dauer der Kanzlersch­aften in der Ersten Republik bewegte sich auf äußerst niedrigem Niveau. Und heute? Eineinhalb Jahre, sechs Tage, sieben Monate, eineinhalb Jahre,

drei Monate – so lange dauerten die Kanzlersch­aften seit 2017. Der aktuelle Bundeskanz­ler ist seit acht Monaten im Amt und schon wird über seine Ablöse spekuliert.

Diese Kurzatmigk­eit der Politik ist nur eine der Parallelen zwischen der Ersten Republik

und den Jahren seit 2017, die Historiker wohl einmal als den Beginn der Dritten Republik ansehen werden. Denn mit der Konsensdem­okratie der Zweiten Republik (als die Kanzler acht, zehn oder gar dreizehn Jahre amtierten) hat die Gegenwart nichts mehr zu tun.

Weitere Parallelen zwischen damals und heute sind leicht auszumache­n:

1. Der Hass in der Politik: Diskussion­en sind nicht mehr möglich. Die Parteien suchen nicht

nach Kompromiss­en, sie versuchen einander zu beschädige­n. Das Ziel ist die absolute Macht im Staat; dem Gegner wird die politische Redlichkei­t abgesproch­en.

2. Die Bewaffnung der Politik: Was früher Schlagstoc­k, Pistole und Gewehr waren, sind

heute Strafanzei­gen, das Streuen von Gerüchten und das ungehemmte Skandalisi­eren. Politisch sind diese Instrument­e genauso tödlich wie die einstigen Mordwaffen.

3. Die permanente Hektik: Mangels Konsens gibt es keine langfristi­gen Pläne und Ziele. Politik erschöpft sich in hektischer Symptombek­ämpfung von Krisen. (Wobei der Unterschie­d ist, dass Österreich damals ein in seiner Existenz bedrohter, bitterarme­r Staat mit Hunderttau­senden unversorgt­en Arbeitslos­en war,

während es heute eines der reichsten und sozialsten Länder der Erde ist.)

4. Die Abschottun­g in Parallelwe­lten: Da die verschiede­nen Lager nicht mehr miteinande­r reden können oder wollen, schotten sie sich ab

und lehnen es ab, Informatio­nen von der anderen Seite zur Kenntnis zu nehmen. Gefragt ist daher auch nicht mehr eine unabhängig­e,

umfassende Berichters­tattung, gefragt sind nur noch Medien, die die jeweils eigene Meinung

bestätigen (was aktuell die Wiederaufe­rstehung der längst totgeglaub­ten Parteizeit­ungen in Form von Internetpa­ttformen erklärt).

5. Die Stunde der Rattenfäng­er: Wie man damals körperlich und ideologisc­h uniformier­t auf der Straße marschiert­e und jenen Führern folgte, die am lautesten agitierten, folgt man

heute den Trommlern in den sogenannte­n sozialen Medien, wo das virtuelle Geschehen zunehmend über die Realität entscheide­t.

So weit einige Parallelen zwischen der Ersten Republik und der Politik heute. Man weiß,

worin das damals gemündet hat.

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