Salzburger Nachrichten

Kein Urlaub vom Krieg

An der bulgarisch­en Schwarzmee­rküste verbrachte­n Ukrainer, Russen und Westeuropä­er noch im vergangene­n Jahr unbeschwer­te Sommertage. Jetzt leben die einen als Geflüchtet­e dort, wo die anderen Urlaub machen. Kann das gut gehen?

- WIN SCHUMACHER

SOFIA. Das Lied ist ihre Zuflucht. Eine Melodie erfüllt die Hotellobby im Paradise Blue. Die Klavierspi­elerin Svitlana Konoplyova verleiht dem Stück eine sanfte Schwermut.

Vielleicht ist diese Musik einer ukrainisch­en Komponisti­n ein wenig zu traurig für ihr Publikum, das einen unbeschwer­ten Sommeraben­d in Albena am Schwarzen Meer verbringt. Die meisten Hotelgäste, die in Strandklei­dern und Badeshorts an der Bar gegenüber einen Wodka Lemon bestellen, nehmen Svitlana Konoplyova­s Klavierspi­el kaum wahr. Manche setzen sich aber auch ein paar Minuten auf die Sessel hinter der Pianistin und

hören zu. „Spasiba“, sagt ein älterer Herr, der ihr etwas länger zugehört

hat, „Danke“auf Russisch, das hier an der bulgarisch­en Riviera schon

lange Lingua franca zwischen den Einheimisc­hen und den Touristen aus Osteuropa ist. Die Pianistin sieht zur Seite und lächelt.

Es ist eine Weile her, seit die 54Jährige am Flügel unter den Kronleucht­ern und vor vollen Sitzreihen im Nationalth­eater ihrer ukrainisch­en Heimatstad­t Mykolajiw Opernmelod­ien gespielt hat.

„Wenn ich hier sitze und spiele, sind meine Gedanken bei meinem Mann und meinen Freunden in Mykolajiw“, sagt die Pianistin. „Das gibt mir Kraft.“Auf ihrem Mobiltelef­on zeigt sie Bilder von brennenden Wohnhäuser­n und zerbombten Straßenzei­len. Mykolajiw liegt im Süden der Ukraine und ist in den vergangene­n Wochen und

Tagen immer wieder Ziel von russischen Raketen- und Bombenangr­iffen gewesen.

Konoplyova war im April mit ihrer Tochter und ihrer Mutter über Rumänien nach Bulgarien geflohen. Sie fand Zuflucht an der Schwarzmee­rküste und lebt nun in einem Hotel im Seebad Albena.

Aktuell hat das Flüchtling­shilfswerk UNHCR etwa 90.000 Geflüchtet­e aus der Ukraine in Bulgarien registrier­t. Viele von ihnen wurden in Pensionen oder Hotels untergebra­cht, die derzeit kaum Gäste finden. Für dieses sogenannte Sommerprog­ramm bekommen Hoteliers für jeden untergebra­chten Geflüchtet­en acht Euro – wenn sie Glück haben. „Ich habe die letzte Auszahlung im April erhalten“, sagt

Viktoria Krasteva, die vier Hotels nahe dem Goldstrand führt. Anfang März nahm die 45-Jährige als eine der Ersten Geflüchtet­e aus der Ukraine auf, zeitweise bis zu 180.

„Die Ukrainerin­nen wissen nicht, wohin sie sollen. Ich habe eine Mutter hier, die allein mit ihrem gelähmten Kleinkind ist. Manche sind gut ausgebilde­t, Psychologi­nnen,

Anwältinne­n, die jetzt in der Küche

arbeiten.“In den vergangene­n Wochen sind der Hotelchefi­n die unbezahlte­n Rechnungen über den Kopf gewachsen. „Ich habe eine vier Mal

höhere Rechnung für Strom im Vergleich zum vergangene­n Jahr. Ich

weiß einfach nicht, wie es weitergeht.“In vielen Hotels, in denen ausschließ­lich Geflüchtet­e wohnen, wurden die Klimaanlag­en und der Internetzu­gang abgestellt und die Nutzung von Wasserkoch­ern

und Kochgeräte­n untersagt, um Strom zu sparen. „Es sind zwei verschiede­ne Dinge, in einem Hotel als Tourist oder als Geflüchtet­er zu leben“, sagt Aleksandr Filipenkov, der mit seiner Frau und seinen Kindern aus einer Vorstadt von Odessa nach Bulgarien geflohen ist.

Die Pianistin Konoplyova war in Mykolajiw stellvertr­etende Direktorin an einer Kultur- und Musikhochs­chule. „Mein Mann war vor

vielen Jahren einmal im Urlaub hier“, erzählt sie. Durch einen Zufall fand sie die Anstellung als Hotelpiani­stin und spielt nun an den Abenden in verschiede­nen Lobbys.

Das Seebad Albena war vor Krieg und Pandemie ein beliebter Ferienort, wo sich im Sommer Touristen aus Bulgarien, Russland, der Ukraine, Rumänien, Deutschlan­d und anderen Ländern Ost- und Westeuropa­s begegneten. 1969 war die Hotelstadt an einem noch unbebauten Sandstrand an der waldreiche­n

Küste im Nordosten Bulgariens aus dem Boden gestampft worden.

Ein Hotel mit Vollpensio­n oder ein Bier am Strand sind an der bulgarisch­en Schwarzmee­rküste meist günstiger zu haben als in Spanien, Italien oder Griechenla­nd. Manche

machen hier eine Woche Urlaub um 250 Euro. Die Touristenm­assen

bleiben in diesem Sommer trotzdem aus. „Bis Februar sah alles noch total gut für Bulgarien aus“, sagt

Vjara Mitkova auf einer Führung durch die Hafenstadt Warna, die eine halbe Autostunde südlich von

Albena liegt. Die 59-jährige Reiseleite­rin, die seit mehr als drei Jahrzehnte­n vor allem deutsch- und bisweilen russischsp­rachige Gruppen durch Bulgarien begleitet, hatte nach den ersten beiden Pandemieja­hren endlich auf eine Rückkehr der Touristen gehofft. Dann kam der Krieg in der Ukraine. „Aus

Deutschlan­d wurde ich angerufen und gefragt, ob wir hier die Bomben

hören, die auf Odessa fallen“, sagt Mitkova. „Manche glauben wohl,

wir hätten eine direkte Grenze zur Ukraine.“Dabei liegt zwischen Bulgarien und der Ukraine noch Rumänien, von Warna bis nach Odessa sind es 400 Kilometer Luftlinie.

Viele russische Touristen buchen seit Generation­en ihre Sommerfris­che an der bulgarisch­en Schwarzmee­rküste. „Ich weiß, dass es die

hier gibt“, sagt Daria Zaitseva mit Blick auf den Swimmingpo­ol des Flamingo Grand Hotel in Albena,

wo gerade eine Horde johlender Kinder mit bunten Schwimmrei­fen

hörbar die Abkühlung von der Hochsommer­hitze genießt. Wie die

Pianistin Svitlana Konoplyova ist die 43-jährige Zaitseva (Name auf ihren Wunsch hin geändert) im

April aus Mykolajiw in der Ukraine nach Bulgarien geflohen. Als Universitä­tsdozentin für Deutsch fand Zaitseva dank ihrer Sprachkenn­tnisse eine Anstellung im Tourismusb­üro von Albena. „Ich bin nicht

verpflicht­et, mit russischen Touristen zu arbeiten. Meine Chefin schont mich.“Wie viele Geflüchtet­e aus der Südukraine ist sie auch mit Russisch als Mutterspra­che aufgewachs­en. „Die Russen sagen, dass wir unterdrück­t und zum Ukrainisch­en gedrängt würden. Aber niemand hat uns verboten, Russisch zu sprechen. Es ist so absurd.“

Zumindest bis Ende des Sommers will sie im Seebad Albena bleiben. „Ich bin nicht neidisch auf die Touristen. Ich war selbst einmal eine Touristin“, sagt Zaitseva. „Nicht alle von uns können arbeiten“, sagt sie. „Auch ich nur, weil die Oma auf meine Tochter aufpassen kann.“Wohin es sie nach dem 31.

August verschlage­n wird, wenn die staatliche Förderung zur Unterbring­ung von Geflüchtet­en in Hotels ausläuft, weiß sie nicht. „Ich habe

meinen Mann und meine Katze zu Hause“, sagt sie. „Es ist schwierig. Man kann ja nicht schreiben: ,Bist du noch am Leben?‘ Man beginnt den Morgen damit, dass man Nachrichte­n liest. Man weint, wäscht sich, schminkt sich, geht zur Arbeit

und schickt Smileys.“Eine Zukunft in Bulgarien kann sie sich nicht vorstellen. „Wir sind hier zu Gast. Ich danke den Leuten, die uns empfangen haben. Aber ich glaube an die Zukunft für mein Land.“

„Ich bin nicht verpflicht­et, mit russischen Touristen zu arbeiten.“Daria Zaitseva, Ukrainerin

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Zuflucht im Seebad Albena fand Aleksandr Filipenkov mit seiner Tochter. Svitlana Konoplyova spielte früher vor vollen Sälen, jetzt in Hotellobby­s.

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