Ein Buh-Orkan fegt durchs Bayreuther Festspielhaus
Regisseur Valentin Schwarz hat aus dem neuen „Ring des Nibelungen“die schlechteste aller Wagner-Welten gemacht.
BAYREUTH. Wären die Bayreuther Festspiele ein normales Unternehmen, würden jetzt Konsequenzen
gezogen. Denn was unter dem Titel „Götterdämmerung“dem Publikum verkauft wurde, ist eine Mogelpackung allerletzter Güte.
Zur Erinnerung: Mit Valentin Schwarz wurde ein noch recht junger Regisseur für den „Ring“verpflichtet, nachdem Tatjana Gürbaca ob zu knapp empfundener Probenzeiten abgesagt hatte. Das war vor Corona, also hatte Schwarz genug
Zeit, um ein Konzept vorzulegen, das zumindest halbwegs trägt.
Am Ende seines „Rings“gab es den vermutlich größten Buh-Orkan, den die Festspiele bisher erlebt haben. Selbst wenn sich manche
bei Frank Castorfs Trash-„Ring“2013 extra Trillerpfeifen besorgten, hier liegt die Sache anders. Denn
während Castorf ohne Ablehnung des Publikums nicht leben kann,
vermutet man bei Schwarz weniger Provokationslust denn simple Unfähigkeit, sowohl handwerklich und intellektuell als auch visuell.
Wir haben in den vorangegangenen drei Besprechungen ausführlich
über all den Murks und die wenigen guten Einfälle seines Konzepts berichtet, auch in der „Götterdämmerung“gibt es eine dysfunktionale Familie mit eitlen, bösen Figuren, die sich am Ende meist selbst erledigen. Die mythische Weltesche
kommt als Designermöbelstück und Tannenbäumchen in einem Loft vor (Bühne Andrea Cozzi, Kostüme Andy Besuch), dort hausen der – wunderbar szenisch und vokal
überdrehte – Gunther (Michael Kupfer-Radecky) und seine Schwester Gutrune (Elisabeth Teige).
Siegfried und Brünnhilde haben offenbar ein gemeinsames Kind, das Gewalt miterlebt und hier am
Ende einfach umfällt. Es könnte indes auch der Spross von Brünnhilde
und Grane sein, bei Wagner ist Grane ein Pferd, bei Schwarz ein Mann. Grane, nein, seien wir gendersensibel und nennen wir ihn Granerich, wird irgendwann brutal getötet, Brünnhilde hält seinen Schädel zum Finale in die Höhe. Na toll!
Siegfried konsumiert keinen Trank,
um sich in Gutrune zu verlieben, der Fusel wird einfach ausgeschüttet, worauf mehrere Protagonisten ins Rutschen kommen. Alle Wagner’schen Insignien wie Tarnhelm, Ring, Zauberschwert übersetzt Schwarz in banale Gegenwartsgegenstände, vorwiegend werden Revolver und Schlagringe eingesetzt.
Den von Schwarz hinzu erdichteten Extrafiguren fehlt meist jegliche
nachvollziehbare Entwicklung, die Kernmomente des „Rings“werden fast immer verschenkt. So mordet der szenisch bewusst blass dargestellte Hagen (immerhin mit Schönklang:
Albert Dohmen) Siegfried
vor einem vergammelten Pool, vorher lieferte er sich mit Vater Alberich einen kurzen Boxk(r)ampf.
Wenn es einmal ein starkes Bild wie Hagens Mannen mit Masken im düsteren Nebel gibt, wird selbiges sofort durch ungelenkes Stechschritt-Hampeln verschenkt. Und
wann gab es schon mal solch ein läppisch verläpperndes Finale?
Auch musikalisch fragt man sich, wo man hier gelandet ist. Iréne Theorins Brünnhilde singt textunverständlich, mit konstantem Vibrato auch bei leisen Stellen. Clay
Hilleys Siegfried ist Einspringer zweiter Ordnung. Nachdem Stephen Gould und sein Ersatz Andreas Schager beide erkrankten, rettete er die Premiere mit Durchhaltevermögen und großem Einsatz, jedoch vielen unschönen, grellen Tönen.
Cornelius Meister dirigiert das Festspielorchester ziemlich gut, setzt starke Akzente, gestaltet manches zwar eigenwillig, insgesamt ist das aber eine überzeugende Arbeit.
Der Kritiker erfuhr, dass es heuer zwei Orchesterbesetzungen gibt.
Somit ist die bisherige Kritik an Meister zu Teilen unrichtig und wird hiermit etwas revidiert, es lag wohl vor allem an der B-Besetzung, was bei einem solch wichtigen Festival wiederum inakzeptabel ist.
Fazit: Die Text-Bild-MusikSinn(lichkeits)-Schere ist in diesem „Ring“gewaltig. Und Schwarz, der
sich im Programmheft mittels Foto als Kind mit Kopfhörern – den „Rheingold“-Klavierauszug studierend – verewigt hat, verleihen wir den Ehrentitel Valentin SchwarzAlberich. Möge ihm und uns künftig weniger Misswende folgen!
Revolver und Schlagring statt Helm und Schwert
Oper: