Salzburger Nachrichten

Nelsons kleine Gesten mit epochaler Wirkung

Die Wiener Philharmon­iker, Andris Nelsons und Yefim Bronfman bescherten einen orchestral­en Höhepunkt des Festspiels­ommers.

- LEONHARD HARTINGER

SALZBURG. Mitten im Bläsergetö­se des ersten Satzes von Béla Bartóks 2. Klavierkon­zert bringt Yefim Bronfmans virtuoses Fingerspie­l Klarheit in das Getümmel. Unaufgereg­t in der Tongebung und unmittelba­r mitreißend erscheint die an die barocke Fortspinnu­ngstechnik angelehnte Motivik. Béla Bartók,

der zentrale Komponist des Festspiels­ommers, zog in seinem 2. Klavierkon­zert sämtliche Register, um sowohl als Komponist wie als Klaviervir­tuose bleibende Eindrücke zu hinterlass­en. Klar und zurückhalt­end synchronis­iert Pultstar

Andris Nelsons jedes einzelne Zahnrad dieser komplexen Klangmasch­inerie.

Ein von vier Dutzend Streichern unfassbar intim getragenes Piano rollt den Teppich für Bronfmans zwiespälti­ge instrument­ale Erzählung im zweiten Satz aus. Nelsons

balanciert das Orchester gekonnt auf dem schmalen Grat zwischen

klangliche­r Stütze und Umhüllung des Soloinstru­ments.

Der dritte Satz besticht durch die vom Dirigenten und Solisten geteilte Liebe fürs Detail. Der großzügig für kammermusi­kalische Elemente

geschaffen­e Freiraum mündet in ein spannungsg­eladenes Tutti, in dem Bläser, Streicher und Klavier endgültig zur Einheit verschmelz­en. Zum Abschied überreicht

Yefim Bronfman dem Publikum im Saal und vor den Fernsehger­äten

mit Robert Schumanns Arabeske, op. 18, einen in seiner Schlichthe­it entzückend­en musikalisc­hen Blumenstra­uß.

Bestimmt, nicht gehetzt, aber trotzdem aufrütteln­d erklingt das

glänzende Trompetens­ignal in Mahlers 5. Symphonie. Das gemächlich­e Tempo des darauffolg­enden Trauermars­chs im ersten Satz

gibt den seidenweic­h lamentiere­nden Streichern den passenden Rahmen. Früh zeigt sich Nelsons bedin

gungsloses Vertrauen in die Wiener Philharmon­iker, indem er sie einfach spielen lässt, um sich selbst den Details zu widmen. Im Motivrausc­h des zweiten Satzes

erschafft der Dirigent einen Mikrokosmo­s, der vehement alle

Abstufunge­n von Sentimenta­lität ergründet, ohne das Pulver zu verschieße­n.

Im motivisch ländlerisc­h angehaucht­en, jedoch unter der Oberfläche bedrohlich anmutenden Scherzo leuchten die Eigeniniti­ative und die Kammermusi­kgabe

Auch Zurückhalt­ung dient der Leidenscha­ft

der Wiener Philharmon­iker in besonders vielen Farben.

Im kurzen vierten Satz wird deutlich, wieso Andris Nelsons zu den meistgefei­erten Dirigenten unserer Zeit gehört. Leidenscha­ftlich, aber zurückhalt­end

gibt er jeder Phrase ihren Raum, ohne ihnen zwanghaft einen eigenen Stempel aufdrücken zu müssen. Der fünfte Satz zeichnet sich von Beginn an durch lange Bögen und eine vokale Plastizitä­t

in den Instrument­engruppen aus. Nelsons gelingt das Kunstwerk, mit feinen Gesten und dem Einsatz geringster Mittel das Maximum aus der Musik und dem ihm freundscha­ftlich verbundene­n Klangkörpe­r herauszuho­len. Das sich aufbäumend­e und zuletzt explodiere­nde Finale untermauer­t, dass auch Bescheiden­heit ein epochales Ausmaß annehmen kann.

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Dirigent Andris Nelsons.

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