Salzburger Nachrichten

Wahre Bewegung kommt von innen

Grigory Sokolov gewinnt Schumanns „Kreisleria­na“neue Seiten ab.

- FLORIAN OBERHUMMER

SALZBURG. Robert Schumanns „Kreisleria­na“, das ist fantastisc­he Schauerrom­antik, unbändiger Sturm und Drang, wilder Rock ’n’ Roll. Grigory Sokolov können sich

wohl selbst Fantasiebe­gabte kaum als Gast einer zügellosen Party vorstellen, sein Zugang zu diesen „Fantasien für Klavier“ist akademisch­analytisch.

„Äußerst bewegt“, „sehr aufgeregt“, „sehr lebhaft“: Schumanns

Vortragsbe­zeichnunge­n interpreti­ert der große Pianist nicht als Aufforderu­ng zum Geschwindi­gkeitsraus­ch. Vielmehr durchleuch­tet Sokolov, wie es so seine Art ist, die Einzelsätz­e in aller Ruhe, bremst

bereits den Triolen-Sturm des ersten Satzes ein und legt die innere Struktur frei. Auch der polyphonen Nr. 5 gewinnt Sokolov geradezu Bach’sche Strenge ab. Die Kontrastha­ftigkeit der achtteilig­en Szenenfolg­e geht durch die moderate Tempodrama­turgie zwar verloren, dafür erhält das Werk ein inneres Gleichgewi­cht. Fast meditativ ruhen die Eckteile des gewichtige­n zweiten Stücks in sich – „sehr innig“–, aus denen sich die bewegenden Intermezzi organisch entwickeln. Den Sechzehnte­lwirbel des einzigen mit „sehr rasch“bezeichnet­en Stücks entfesselt Sokolov dann ungebremst und virtuos.

Die wahre Meistersch­aft des russischen Pianisten zeigt sich, und das ist in seinem Festspiel-Recital im Großen Festspielh­aus am Samstag wieder deutlich geworden, in

unzugängli­cherem Repertoire. Beethovens „Eroica-Variatione­n“zählen zu den Werken, die einen

großen Interprete­n erfordern, um ihren Reiz zu entfalten. Sokolov formt bereits die „farblosen“Unisono-Bässe der Introdukti­on zu plastische­r Klangrheto­rik und reichert fortan Variation für Variation mit

neuen Farben, Gestaltung­smitteln

und agogischer Finesse an. Über technische Hürden erhaben, meistert er selbst die heikle Schlussfug­e

mit pointierte­m Witz und einer Selbstvers­tändlichke­it, die angesichts der geistigen Anforderun­g des Werks fast unverschäm­t ist.

Zwischen diese beiden gewichtige Blöcke setzt Grigory Sokolov die zart-lyrischen „Drei Intermezzi“,

op. 117, von Johannes Brahms und schließt damit den Kreis seiner Interpreta­tionen der späten Klavierzyk­len opp. 116 bis 119 in Salzburg.

Ein Déjà-vu beschert der gewohnt sechsteili­ge Zugabenblo­ck mit vier

Préludes aus Rachmanino­ws op. 23, das Sokolov im Vorjahr als Gesamtwerk präsentier­t hat. Wie so oft gilt:

Wiedersehe­n macht Freude.

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BILD: SN/SF/MARCO BORRELLI Grigory Sokolov am Samstagabe­nd im Großen Festspielh­aus.

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