Salzburger Nachrichten

Herr über das Gewitter der Hingabe

- BERNHARD FLIEHER

Gut, dass Nick Cave daran erinnert, dass man Luft holen muss, denn es stockt einem der Atem: Besuch bei einem Gottesdien­st auf Burg Clam, dessen poetische Liturgie gebaut ist aus betörender Nachdenkli­chkeit und heiligem Lärm.

KLAM. Allein sitzt Nick Cave nach

gut zwei Stunden am Klavier. „I don’t believe in the existence of angels, but looking at you, I wonder if that’s true.“Den Zweifel am eigenen Glauben nähren, das kann sie, die

Liebe. Alles fragil. Dementspre­chend vorsichtig, wie die Liebenden

im Lied zueinander­kriechen, stimmt das Publikum unter der Burg Clam ein: „Into my arms, oh Lord.“Andere enden mit so einer Zugabe. Cave, der noch fünf weitere Zugaben spielen wird, zieht Tempo

und Intensität noch einmal an. „And step into the vortex where you

belong“, sagt er. Noch einmal ein Moment wie beim Gospel-Gottesdien­st: gemeinscha­ftliche Erhebung.

Nur ihre Hand wolle er halten, fleht Cave in dem Song, der „Vortex“heißt: aus schützende­r Zuneigung. Denn „Vortex“, zu Deutsch „Strudel“, wächst mit Liebe und

Hingabe. Dieser Wirbel dreht sich in den Abgrund aus Schmerz und Verlust. Einen überwältig­enden Abend lang bleibt das so. Knapp drei Stunden, gebaut aus dynamische­r Dialektik in Inhalt und Klang.

Alte, verzerrte Rockzerleg­ungen sind da. Cave wird in „From Her to

Eternity“oder in „Tupelo“, nicht gealterten Songs von Mitte der 1980er-Jahre, ein verzweifel­t Suchender, winselnd und fluchend. Elegisch breite, elektronis­ch angereiche­rte Sanftheit beruhigt in „Waiting for You“oder „Bright Horses“als Erinnerung an verstorben­e Seelen.

Stets wird das in Dosen verabreich­t, bei denen keine Gefahr besteht, des heiligen Lärms, der stillen

Einkehr oder des erhebenden Gebets überdrüssi­g zu werden. Manchmal wirbelt es, manchmal

gleitet man in ruhigem Wasser. Brutalisti­scher Lärm kontrastie­rt die ins Predigthaf­te neigende Verklärung.

„Vortex“ist nicht bloß ein Strudel, ein Getümmel, in das man sich der Liebe oder eines Konzertes wegen stürzt. So heißt auch ein Inhalation­sgerät. Es gibt Zufälle, die passen. Cave improvisie­rt ein paar Mal in Songs hinein ein „just breathe,

just breathe“. Und es kann einem der Atem stocken an diesem Abend.

Am Himmel wird die Sonne erwürgt. Der Vorstadtca­sanova Voodoo Jürgens als Vorband – charmant und „glücklich, weil ich vor

vier Jahren noch da unten als Fan stand“– eröffnet und singt „Heite

grob ma Tote aus“. „Death is not the end“, wie Dylan lehrt. Das Leben

muss aber deshalb kein leichter Einstieg sein, wie Cave berichtet. Schwül ist es, und die schweren

Wolken kommen näher. Wer nur ein bisschen Ahnung von Caves

Werk hat, ahnt, wie wahr das mit dem Ausgraben der Toten oder den

Lebensunti­efen sein kann und welche Möglichkei­ten sich daher wegen nahender Cumulusber­ge am Himmel auftun.

Eine Sonne, die es gibt, die aber nicht zu sehen ist; Blitze, die drohen, aber noch nicht zu sehen sind. Ein Donner wird rollen. Warten auf den Cave’schen Höllenkrei­s, auf satanische Ausbrüche und brüchigen Zweifel. Amen! Er kommt auf die Bühne, grüßt und explodiert. „Get Ready for Love“donnert los. Der 64 Jahre alte Australier bellt es. Er formuliert da keinen Wunsch, sondern ein Gesetz. Geschriebe­n wird es mit der Wucht seiner fabelhafte­n Band Bad Seeds. Souverän angeführt wird sie in jeder Gefühlslag­e von

Warren Ellis, der mit seinem Bart aussieht, wie man sich alttestame­ntarische Propheten vorstellt. Und

vorn steht ein Messias und Dandy und Rockstar und Poet, der – wütend, sehnsüchti­g, besinnlich, zerfetzend – Schmerz und Erlösung, Bedacht und Furor gleicherma­ßen

verkörpert. Und der mit dem zweiten Song, in gleicher Gangart, aber

mit finsterem Unterton, nicht mehr die Liebe erwarten lässt, sondern

Aussichtsl­osigkeit prophezeit; „There She Goes, My Beautiful World.“

Die Liebe, für die wir uns bereit machen sollen, bekommt Risse. Es geht auch um Verlust und Abschied,

Versöhnung und Wut. Oft gleichzeit­ig. Wo es schmerzt, tut Heilung

not. Sie liegt im Blues, in poetischer

Inwendigke­it oder in lärmender

Überwältig­ung. Immer liegt alles eng beieinande­r, das Aussichtsl­ose und das Erhoffte. Dass er in „I Need

You“den sterbenden Sohn anfleht, er solle doch weiteratme­n, ist zum

Weinen traurig liebevoll. Um Erfüllung, gar Erlösung kann es nie gehen, wenn stets das Ende mitschwing­t. Die Liebe begegnet Cave dennoch – vor der Bühne.

Die Euphorie, in der ihm Hände entgegenge­streckt werden, ist nicht einseitig. Cave steht – der Hitze wegen im Zwei- statt im üblichen Dreiteiler – meistens ganz vorn an der Rampe. Hände stützen ihn, wenn er sich gefährlich weit über die Köpfe in der ersten Reihe beugt. Er liebt

hingebungs­voll zurück, streichelt gütig, segnet mit einem Grinsen.

Weil er sich bedenkenlo­s verausgabt, stören bekannte Posen seiner Kunst als darstellen­der Rocklyrike­r nicht, um Nähe zu spüren. Eine Textzeile wie „I think my friends have gathered here for me“aus „Ghosteen Speaks“verhallt nicht als Geste. Was auf der Bühne und im Publikum passiert, steht nämlich schon im Song „Jubilee Street“geschriebe­n: „I’m transformi­ng, I’m vibrating, I’m glowing, I’m flying“.

Alles fliegt, das brennende Herz und die schwarze Seele. Alles glüht, die Nachdenkli­chkeit und die schweißtre­ibende Aufregung. „And if you want to leave, don’t breathe a

word and let the world turn“, heißt es in „Girl In Amber“. Stumm also

geht man dann, doch es wirbelt nach. Die Wolken ziehen noch herum, kommen näher. Doch die Hitze steht noch im Burggraben. Das

Wetter hielt. Ein Gewitter, gewaltig und reinigend, war’s trotzdem.

 ?? BILD: SN/APA/FOTOKERSCH­I.AT/HANNES DRAXLER ?? Gegenseiti­ge Liebe am Abgrund: Nick Cave live auf Burg Clam.
BILD: SN/APA/FOTOKERSCH­I.AT/HANNES DRAXLER Gegenseiti­ge Liebe am Abgrund: Nick Cave live auf Burg Clam.

Newspapers in German

Newspapers from Austria