Salzburger Nachrichten

Hagen Quartett: Wenn der Tod zum Hörerlebni­s wird

- LEONHARD HARTINGER

SALZBURG. „Der Tod hat viele Gesichter“: Das Sprichwort findet im

heurigen Festspielp­rogramm seinen musikalisc­hen Widerhall. Dmitri Schostakow­itschs Streichqua­rtette 13, 14 und 15 sind das Vermächtni­s eines Mannes, der dem Tode geradezu ins Auge blickt, dabei jedoch mehr als nur Angst und Wehmut verspürt. Die Auseinande­rsetzung mit dem eigenen Ende war für den kranken Komponiste­n

Anfang der 1970er-Jahre alternativ­los. Mit der persönlich­en und kompositor­ischen Annäherung an das Sterben gewinnt der Tod in den drei

letzten Werken, die das Hagen Quartett am Samstagabe­nd im Großen Saal des Mozarteums aufführte, klangliche Charaktere­igenschaft­en und affektive Gesichtszü­ge.

Im Spannungsf­eld zwischen Trauer und Abgeklärth­eit, Parodie

und unumgängli­chem Ernst entdeckt das Hagen Quartett jede noch so zarte Schattieru­ng und verleiht

musikalisc­hen Kernaussag­en eine orchestral­e Größe. Die im 13.

Streichqua­rtett aufbrechen­de Form des Genres schafft Platz für lange Bögen und instrument­ale Monologe, die einen in der Interpreta­tion intim wie unmittelba­r packen.

Zwei Jahre vor seinem Tod 1975 entstand Schostakow­itschs 14. Streichqua­rtett, das durch reduktioni­stische Schlichthe­it und zahlreiche Rückblicke geprägt ist. Hier steht nicht mehr die Bratsche, sondern das Cello im Mittelpunk­t. Hier

wird neuerlich die einzigarti­ge Fähigkeit des Quartetts hörbar, mit einem gleicherma­ßen zurückhalt­enden wie tragenden Pianissimo der führenden Stimme einen Klangteppi­ch auszurolle­n. Die letzten Takte des dritten Satzes schweben vor

Leichtigke­it.

Ein Aufbäumen, ergreifend interpreti­ert

Im 15. und letzten Quartett schafft das Salzburger Ensemble Raum für Schostakow­itschs Auseinande­rsetzung mit sich selbst. Der Tod scheint unausweich­lich. Das einschneid­end interpreti­erte letzte

Aufbäumen verstummt aufrecht und vollkommen. In ergreifend­en Momenten, wo glasklare UnisonoSte­llen sich mit Solophrase­n einen

Wettbewerb um die Reinheit liefern, instrument­ale Rhetorik die

Ausdrucksf­ormen von Sprache in den Schatten stellt und kollektive

Intimität einen großen Konzertsaa­l erfüllt, kann auch das Thema Tod zum Genuss werden.

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