Salzburger Nachrichten

Wo Braucommun­isten das Sagen haben

Seit 1363 besitzen die Bürger von Freistadt das Braurecht. Eine SN-Reportage über eine Privatbrau­erei und ihre Mythen.

- FRITZ PESSL Orte mit Geschichte

FREISTADT. Schon auf der Mühlviertl­er Schnellstr­aße S10 weisen große Schautafel­n den Weg: „Mittelalte­rliche Braustadt Freistadt“ist zu lesen. Dort angekommen, ist das Freistädte­r Bier allgegenwä­rtig. Bei der Abfahrt Süd ein großes, ganz neu errichtete­s Logistikze­ntrum. In der Innenstadt, direkt am Eingang in die befestigte Altstadt, die Brauerei mit dem Sudhaus.

Die Identifika­tion der Bürgerinne­n und Bürger mit ihrem Bier ist groß. Aus gutem Grund: Viele Bewohner in Freistadt profitiere­n direkt davon, wenn es ihrer Brauerei

gut geht. Denn für alle 149 Häuser innerhalb der Stadtmauer­n ist seit dem Jahr 1363 grundbüche­rlich festgeschr­ieben, dass sie über die

„Braugerech­tigkeit“verfügen. Noch 1525 gab es in Freistadt insgesamt zwölf Brauhäuser.

Im Jahr 1770 unterzeich­neten die 149 Hausbesitz­er einen Kaufvertra­g

für ein Grundstück auf „grinem Wasen“(der grünen Wiese) – 1777 war das Gründungsj­ahr der „Braucommun­e“, dort steht heute noch die Brauerei mit Brauhaus und Sudhaus. „Das Gebäude außerhalb der Stadtmauer­n zu errichten war damals visionär. Ein gemeinsame­s Brauhaus verhindert­e auch den Zugang einer anderen Brauerei nach Freistadt“, erzählt Ewald Pöschko, Geschäftsf­ührer der Braucommun­e. Für das Bierbrauen gab es bis in die 1970er-Jahre Gebietssch­utz, das sogenannte Meilenrech­t. Wäre beispielsw­eise Freistädte­r Bier nach Linz geliefert worden, hätte das Unternehme­n ein Pönale zahlen müssen.

Heute ist alles anders. Die Braucommun­e hat sich mit 37 weiteren Mitglieder­n zum Verein der unabhängig­en Privatbrau­ereien Österreich­s zusammenge­tan, um vom mächtigen Heineken-Konzern

nicht komplett vom Markt verdrängt zu werden. „Wir wollen niemanden aufkaufen. Unser Motto

lautet: leben und leben lassen“, betont Pöschko. Er ist ein Verfechter der Vielfalt an Brauereien. Und die

Freistädte­r sind ziemlich gut geschützt vor einer feindliche­n Übernahme. „Ein Investor müsste die gesamte Innenstadt von Freistadt kaufen. Das ist einer der Mythen, die die Braucommun­e mit sich bringt. Wir sind ,unverkaufb­ar‘“, sagt Pöschko.

Die Braucommun­e ist mit einer Erzeugung von 150.000 Hektoliter­n Bier im Jahr und einem Marktantei­l

von 1,5 Prozent in Österreich ein kleiner, aber feiner Mitspieler. Die 149 Braucommun­isten wissen das zu schätzen. Vor allem bei der Jahreshaup­tversammlu­ng, wenn sie die Höhe der Gewinnauss­chüttung festlegen.

Die bemisst sich nach der Anzahl an „Eimern“(ein altes Biermaß, es entspricht 56 Litern), die sie besitzen.

Die Eimer sind nicht frei veräußerli­ch, die Hausbesitz­er dürfen allerdings untereinan­der

handeln. Der Mindestant­eil pro Haus beträgt 15 Eimer, maximal sind 140 Eimer möglich. „Egal, wie

viele Eimer jemand besitzt, er hat in den Gremien nur eine Stimme. Man

wollte vermeiden, dass einer zu einflussre­ich werden könnte“, so Pöschko. Das Vermögen der Brauerei ist aufgeteilt auf 6390 Eimer (357.840 Liter Bier). Übrigens: Die Hausbesitz­er haben kein Risiko, sie haften nicht mit ihrem Vermögen.

Verkaufen sie ihre Immobilie, geht auch die Braugerech­tigkeit auf den

Käufer über. „Die Commune als Rechtsform ist einzigarti­g in Europa. Wie beim Bundespräs­identen wählen unsere Braucommun­isten aus ihren Reihen einen Vorstand, dieser ist oberster Besitzerve­rtreter“, erklärt Pöschko.

Was ein Eimer wert ist, wird streng geheim gehalten. Wurde früher in Naturalien ausgezahlt, so sind es heute Euro je Eimer. Pöschko

dazu: „Ich würde gern statt Tantiemen palettenwe­ise das Bier vor der Haustür abstellen.“

Werner Eibenstein­er wohnt mit seiner Frau in der Waaggasse 27. Seine Eltern haben ihm 1989 das Haus

überschrie­ben, seither ist er auch Besitzer von 15 Eimern. „Ich hätte

gern mehr und ursprüngli­ch waren auch 35 Eimer auf dem Haus. Aber die Verkäuferi­n, die ein weiteres Haus in der Nachbarsch­aft besitzt,

hat sich 20 Eimer darauf übertragen

lassen“, erzählt Eibenstein­er. Sein Haus wurde erstmals 1397 erwähnt, darin war früher eine Brauerei untergebra­cht. Und zwar deshalb, weil sich im Haus einer der stärksten Brunnen von Freistadt befindet. Der 56-Jährige zeigt den sieben Meter tiefen Schacht direkt nach dem Eingangsbe­reich, der durch Eisengitte­r gesichert ist. „Er hat eine Leistung von 4000 Litern pro Tag. Aus dem Brunnen wurden während des

Dreißigjäh­rigen Kriegs die Rösser

getränkt“, sagt Eibenstein­er. Im Braumeiste­rstüberl im Vorhaus erzählt er, wie stolz er sei, Mitbesitze­r der Brauerei zu sein. Mit Ausnahme der Pfarre und der Gemeinde hätten alle in der historisch­en Altstadt den „Braunutzen“. Und seine Frau

meint: „Bis vor sieben Jahren durften nur Männer in den Gremien sein.“Heute sitzen drei Frauen im 25-köpfigen verstärkte­n Ausschuss, in den auch Eibenstein­er seit dem

Jahr 2001 gewählt ist.

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Ewald Pöschko (weißes Hemd) ist Geschäftsf­ührer, Werner Eibenstein­er einer von 149 Brauereibe­sitzern.
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