Hassposter wurde verurteilt
Ein 44-jähriger Niederländer trieb ein 15-jähriges Mädchen aus Kanada mit Cybermobbing in den Selbstmord. Wie lange er ins Gefängnis muss, steht noch nicht fest.
Das Video von Amanda Todd ging um die Welt. Stumm, nur mit beschriebenen
Karteikarten in der Hand, hatte die Teenagerin die Öffentlichkeit
über YouTube teilhaben lassen an ihrer Tortur. Neun Minuten
lang, Karteikarte für Karteikarte. „Ich habe niemanden“, hatte sie
geschrieben. „Ich brauche Hilfe.“Es war ihr letzter Aufschrei gewesen, bevor sie sich ein paar Tage später das Leben nahm.
Knapp zehn Jahre sind vergangen, seit die damals 15-Jährige ihren Hilferuf ins Netz gestellt hatte und so zum wohl bekanntesten Gesicht der Opfer von Cybermobbing wurde. Jetzt wird Todd späte Gerechtigkeit zuteil. Am
Samstag verurteilte ein Geschworenengericht in Kanada den Online-Stalker, der Todd seinerzeit das Leben zur Hölle gemacht und sie in den Selbstmord getrieben hatte.
Das Urteil der Geschworenen war einstimmig, unmissverständlich und kam nach nur wenigen Stunden Beratung zustande: Am Ende des siebenwöchigen
Prozesses sah es die Jury als erwiesen an, dass der Niederländer Aydin Coban das Mädchen zwischen 2010
und 2012 online verführte, erpresste, kriminell belästigte sowie pornografisches Material von ihr gesammelt und weitergereicht hatte. Das genaue Strafmaß wird später festgelegt.
Coban nahm das Urteil im Gerichtssaal in der westkanadischen Stadt New Westminster ohne erkennbare Regung auf. In dem Prozess hatte er auf „nicht schuldig“plädiert, sich aber zu keinem Zeitpunkt selbst zu den Vorwürfen geäußert. Seine Verteidiger hatten darauf verzichtet, eigene Zeugen zu
laden, sondern lediglich versucht, Zweifel an der Täterschaft ihres Mandanten zu wecken. Ohne Erfolg. Dagegen hatten die Ankläger mithilfe von Dutzenden Zeugen
und Experten aus Kanada und den Niederlanden die Leidensgeschichte Todds noch einmal nachgezeichnet. Anhand von Textnachrichten
hatten sie aufgezeigt, wie Coban das Mädchen erst überredete, vor der
Webcam seine Brüste zu zeigen, und es dann ein Jahr später vor Familie und Freunden bloßstellte, weil es ihm nicht weiter gefällig war.
„Hast du mich verstanden, du Miststück? Zehn private Shows,
dann verschwinde ich für immer“, soll Coban dem Mädchen unter anderem gedroht haben. „Hahaha,
was für eine H*** sie doch ist“, heißt es in einer anderen Nachricht Cobans, die den Geschworenen vorgelesen wurde. „Ich hoffe, sie stirbt“, hatte eine Mitschülerin
nach der Veröffentlichung der Nacktaufnahmen geschrieben.
Vor Gericht hatten Todds Eltern ausführlich geschildert, wie ihre Tochter von ihren Schulkameraden gehänselt und verspottet wurde. Wie sie fast täglich Schmäh-E-Mails
bekam, wie sie verzweifelt versuchte, in einer anderen Schule einen neuen Anfang zu machen, wie sie
unter Depressionen, schlaflosen Nächten und Alkoholsucht litt und einen ersten Selbstmordversuch mit Bleichmittel überlebte.
Für Coban ist das Urteil vom Samstag nicht der erste Schuldspruch: In den Niederlanden war
der heute 44-Jährige bereits 2017 zu zehn Jahren und acht Monaten Haft wegen Cybermobbings verurteilt worden. Laut dem dortigen Gericht hatte Coban neben Amanda Todd 34 weitere Mädchen und fünf schwule Männer aus mehreren Ländern mit Fotos erpresst und zu sexuellen Handlungen vor der Webcam gedrängt. Im Dezember 2020
war Coban von den Niederlanden nach Kanada ausgeliefert worden.
Für Todds Familie ist der Schuldspruch eine große Genugtuung. In
einem getrennten Verfahren hatten sich die Eltern des Mädchens dafür eingesetzt, dass trotz der strengen
Jugendschutzregeln in Kanada über die Details des Prozesses berichtet
werden darf. Damit wollten sie ihrer Tochter posthum eine Stimme verleihen und andere Jugendliche vor den Gefahren von Cybermobbing
warnen.