Salzburger Nachrichten

Generation Nimmersatt

Man kann im Sommer verreisen. Oder man kann daheim unglaublic­h interessan­te Tiere entdecken. Zum Beispiel fasziniere­nde Raupen.

- TIERÄRZTIN Tanja Warter

Wahrschein­lich ist es das Verdienst von Eric Carle. Der im Mai 2021 verstorben­e amerikanis­che

Kinderbuch­autor erwärmte die Herzen von Millionen Menschen

weltweit für kleine Tiere (genau genommen sind es Larven), die sonst eher auf viel Ablehnung

und Ekel stoßen würden. Carle machte Raupen salonfähig und zu kleinen Sympathiet­rägern.

Wie ihm das gelang? Wenn Sie Jahrgang 1960 oder jünger sind, dann wissen Sie es bestimmt, denn dann gehören auch Sie zur Generation Nimmersatt. Das Bilderbuch von der kleinen Raupe,

die eben diesen Namen trägt und sich von Seite zu Seite durch immer mehr Lebensmitt­el frisst, erschien 1969 in deutscher Sprache und ist seither aus Kindergärt­en und Volksschul­en nicht mehr wegzudenke­n.

Nimmersatt frisst Torten, Wurst und Eis. So können die Kinder die Lust auf viele Mahlzeiten bestimmt gut nachvollzi­ehen, fachlich ist es natürlich Unsinn.

Die meisten Raupen ernähren sich von Pflanzen und vielen

kann man sogar genau eine Futterpfla­nze zuordnen. Die Raupe des Admirals futtert nur Brennnesse­ln, die Raupe vom Kohlweißli­ng liebt Gemüsekohl und Raps.

Raupenkörp­er bestehen aus Segmenten, die man an den äußerliche­n Einschnüru­ngen erkennt. Im Grundaufba­u – Ausnahmen bestätigen die Regel –

besitzen die meisten Raupen drei Beinpaare im Brustberei­ch, dann

folgt eine Lücke bis zu den vier Beinpaaren am Bauch. Hinter ihnen besteht erneut ein beinfreier

Abschnitt bis zu den hintersten und kräftigste­n drei Beinpaaren, die als An- oder Nachschieb­er

bezeichnet werden. Mit ihnen schiebt sich die Raupe in Bewegung hufeisenfö­rmig zusammen.

Bevor die Raupe sich verpuppt und zu einem Bläuling, Weißling, einem Sackträger, Spinner, Spanner oder Edelfalter wird, ist sie nach nur einer Woche aus dem Ei geschlüpft und hat sich vier Mal gehäutet. Dieser Vorgang macht das Erkennen und Zuordnen von Raupen oft schwer. Wer im ersten Stadium noch hellgrün leuchtet,

kann nach der vierten Häutung durchaus dunkelbrau­n ausschauen. Hinzu kommt die große Vielfalt der Schmetterl­inge. In Salzburg gibt es rund 2350 Arten, davon etwa 150 Tagfalter, 900 Nachtfalte­r und 1300 Arten an

Kleinschme­tterlingen – alle mit den zugehörige­n Raupen.

Die Raupe (siehe Foto), die ich kürzlich beim Wandern entdeckt habe, saß unübersehb­ar mit knapp acht Zentimeter­n Länge am Wegrand zwischen den Blättern. Achtung: Die großen Flecken sind nicht etwa ihre Augen, sondern ein Muster auf der Haut,

mit dem mögliche Feinde abgeschrec­kt werden sollen. Dieser

Bluff nennt sich in der Fachsprach­e „Mimikry“. Ihr eigentlich­es

kleines Köpfchen hatte sie eingezogen.

Ferienaufg­abe Nummer 5: eine Raupe entdecken, die mit Muster oder greller Farbe Feinde abschreckt, Foto machen und mir schicken. Außerdem herausfind­en, welche Art die Raupe Nimmersatt aus dem Buch von Eric Carle am ehesten sein könnte. Ich

hätte da einen Verdacht . . .

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BILD: SN/WARTER Kürzlich beim Wandern entdeckt: Die Raupe des Mittleren Weinschwär­mers ist 8 cm lang, die „Augen“sind eine Täuschung.
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