So etwas wie Gerhard Schröder tut man nicht
Neben dem, was rechtlich möglich ist, gibt es noch eine höhere Norm, die man Haltung nennt. Im Umgang mit Putin sollte sie uns als Gesellschaft leiten.
Der ehemalige deutsche Bundespräsident Horst Köhler hat 2009 ein bemerkenswertes Plädoyer für die Renaissance einfacher Tugenden gehalten. Er konstatierte in der Finanzkrise, dass vielen die Haltung abhandengekommen sei. Er appellierte, dass uns im demokratisierten Teil der Welt neben Recht und Gesetz noch eine höhere Handlungsnorm leiten sollte. Sie lautet schlicht: „So etwas tut man nicht!“
Diese Suche nach einem moralischen Kompass steht prägend für die Debatte, ob der deutsche Altkanzler Gerhard Schröder wegen seiner Zugewandtheit zu Kremlchef Putin und seines Engagements für Gazprom aus der SPD ausgeschlossen werden sollte. Die Sozialdemokratie rüttelt damit an ihren Grundfesten. Immerhin war es Parteiikone Willy Brandt, der in der heißesten Phase des Kalten Krieges mit dem Moskauer Vertrag 1970 die Tür für eine neue Ostpolitik aufstieß, die 1989 im Fall des Eisernen Vorhangs gipfelte. Brücken bauen war stets Leitmotiv für sozialdemokratisches Führungspersonal – übrigens auch in Österreich. Gleichermaßen geißelte man Machthaber, die ihre Bevölkerung unterjochten oder
barbarisch mit Anrainern umgingen. Wann also mündet Wandel durch Handel in Appeasement-Politik?
Wann wird aus dem Versuch, mit Putin ein notwendiges Auskommen zu finden, eine Haltungslosigkeit?
Etliche politische Köpfe haben inzwischen eingestanden, dass sie sich von Putin haben täuschen lassen, dass sie unter der Annahme, am gemeinsamen
europäischen Haus zu aller Vorteil bauen zu wollen, zu viel Nähe zum Kreml gesucht haben. Ex-Kanzlerin
Angela Merkel war mit ihrer Ambivalenz gegenüber Putin zwar härteste Widersacherin, muss aber dennoch für die große Abhängigkeit von russischem Gas
verantwortlich gemacht werden. Ebendiesen Vorwurf muss man Ex-OMV-Vorstand Rainer Seele machen, der Verantwortung für die Abhängigkeit Österreichs vom Kreml trägt. Auch die Russland-Aktivitäten von
Wolfgang Schüssel, Christian Kern, Alfred Gusenbauer scheinen im heutigen Licht vorrangig haltungslos.
Deshalb ist die Debatte über Schröder nur recht. Und es ist auch recht, dass die SPD ihn nicht aus der Partei wirft. Das geben die Statuten unter den gegebenen Handlungen des ehemaligen Parteichefs rein rechtlich nicht her. Und damit sind wir wieder bei Köhler: So etwas tut man nicht. Das bleibt am Ende als moralisches Urteil stehen. Schröder hat sich mit seiner peinlichen Haltung selbst um sein Lebenswerk
gebracht. Das ist Strafe genug. Und eine gute Erinnerung an eine Renaissance der einfachen Tugenden.