Jonas Kaufmann sang von Liebe: Wenig Glück, viel Sehnsucht
Trotz dünnen Zauberlichts und fahlen Gesangs der Nachtigall bescherte der Liederabend einige hinreißende Momente.
SALZBURG. Mit zartem Dingelingeling holte Helmut Deutsch den etwas vom Wind vertragenen Klang von Glocken ins Große Festspielhaus. Dann ließ er diese Glocken so, wie Jonas Kaufmann dazu sang, hell
brausen und wohlig läuten. Der Tenor und sein famoser Begleiter am Klavier fanden in Franz Liszts Lied „Ihr Glocken von Marling“zu betörend kammermusikalischer Innigkeit, die mit Jonas Kaufmanns zartem „Behütet mich gut!“in einen
überirdisch anmutenden Moment mündete. Doch leider waren derer wenige im Liederabend der Salzburger Festspiele am Sonntag.
Schon in Ludwig van Beethovens „Adelaide“, dem ersten Lied, wurde
beim „lieblichen Zauberlicht“und „im Gefilde der Sterne“hörbar, was
in Johannes Brahms’ „Waldeseinsamkeit“den fernen Gesang der
Nachtigall fahl erscheinen ließ und im knapp zweistündigen Salzburger Konzert nicht mehr verfliegen sollte: Jonas Kaufmanns Stimme in
hoher Lage war an diesem Nachmittag oft dünn, brüchig oder angestrengt – womöglich als Nachwirkung jener Coviderkrankung, deretwegen er für Juli angesetzte Auftritte in Covent Garden in London hatte
absagen müssen, nachdem ihn im Herbst des Vorjahrs eine Luftröhrenentzündung erwischt hatte.
Und doch: Kräftiges, jubilierendes Leuchten, wie in Richard Strauss’ „Cäcilie“als einer der Zugaben, brachte Jonas Kaufmann auch am Sonntag in der Höhe ebenso
tadellos zum Klingen wie die forsch empörte Bitternis in Franz Liszts
Vertonung von Heinrich Heines „Vergiftet sind meine Lieder“als erstem Lied nach der Pause. Überhaupt ist es ein ungebrochenes Vergnügen, diesen beiden exzellenten, aufeinander eingespielten Liedinterpreten zu lauschen: Jonas Kaufmann besticht nach wie vor mit gekonnter, reicher Modulation
und exzellenter Textdeutlichkeit dank einer wunderbaren Symbiose
von Melodie und Wort. Helmut Deutsch bewährte sich als versierter Pianist, der eigenwilliges Gestalten mit einfühlendem Begleiten
vereint. Wie gut die beiden korrespondieren, bestätigten sie mit ihrer letzten Zugabe: Für das schlichte „Guten Abend, gut’ Nacht“von
Johannes Brahms schmiegten sich Klavier und Stimme im gemeinsamen Wogen aneinander.
Das Programm aus romantischen Liedern erzählt von Liebe, folglich ein bisschen von Seligkeit und viel
von Sehnsucht, Abschied und Schmerz. Auf einer Tour d’Horizon durch den Kanon mit je einem Lied
von Ludwig van Beethoven, Franz Schubert, Felix Mendelssohn, Edvard Grieg, Robert Schumann,
Johannes Brahms, Antonín Dvořák, Peter Iljitsch Tschaikowski, Richard Strauss, Hugo Wolf, Alexander Zemlinsky und Gustav Mahler im ersten Teil folgten nach der Pause
Lieder von Franz Liszt, dem die beiden ihre im Vorjahr erschienene CD gewidmet haben. Immer wieder gelangen hinreißende Momente – wie etwa Jonas Kaufmann in Tschaikowskis Vertonung von Goethes „Nur wer die Sehnsucht kennt,
weiß, was ich leide“eine trotzige Traurigkeit in Zorn anschwellen ließ oder wie die beiden Liszts „O lieb, so lang du kannst (…) die Stunde kommt, wo du an Gräbern stehst“als eine liebevoll eindringliche Ermahnung formulierten.
Empörte Bitternis gelingt makellos