Salzburger Nachrichten

„Ich habe eine Schwäche für Ausreißer“

Der Salzburger Regisseur Adrian Goiginger über die Lust an harter Realität und den Wunsch, dass Salzburg mehr für den Film tut.

- BERNHARD FLIEHER

SALZBURG. Nach seinem Debüt „Die

beste aller Welten“hatte der 31-jährige Regisseur Adrian Goiginger einen Film über seinen Großvater geplant. Corona kam dazwischen. Darum startet – mit Premiere im Salzburger Das Kino schon in dieser Woche – „Märzengrun­d“. Es geht in dem Film nach einem Stück von Felix Mitterer um einen, der alles hinter sich lässt. Für solche Geschichte­n habe er „eine Schwäche“, sagt Goiginger.

SN: Herr Goiginger, man wartete eigentlich auf eine Geschichte über Ihren Großvater.

Goiginger: Ja, es kommt sozusagen

der nächste Film schon jetzt.

SN: Wieso?

Wegen Corona mussten wir „Der Fuchs“über meinen Großvater schieben. Der Drehbeginn fiel mit dem ersten Lockdown zusammen.

Über „Märzengrun­d“hatte es schon Gespräche gegeben – wir zogen ihn vor. Der Film war „coronataug­lich“. Etwa 80 Prozent spielen im Freien am Berg oben in Tirol. Eine bessere Ausgangspo­sition in Coronazeit­en gab es nicht.

SN: „Märzengrun­d“ist eine Art Heimatfilm über einen Ausreißer.

Ich habe eine Schwäche für

Ausreißer. Aussteiger-Gedankenex­perimente spielte ich beim Militär – übrigens in Tirol – oft durch: irgendwo allein in den Bergen sein, schauen, wie man über den Winter

kommt. Getan hab ich es nie, aber irgendwas davon steckt in mir.

Getan hat es aber Elias in „Märzengrun­d“, ein Film nach einer wahren Begebenhei­t.

SN:

Was mich so fasziniert, war, dass Elias alles hatte, er war in eine reiche Bauernfami­lie geboren – und

verlässt alles. Für mich, der in einer sehr armen Familie in Liefering aufwuchs, war immer der Wunsch da nach einem materiell reichen Elternhaus. Da geht einer, der alles

hat, und sucht seine individuel­le Freiheit – das interessie­rt mich.

SN: Wie passt der Film zu Problemen der Gegenwart?

Es gibt eine gesellscha­ftliche Frustratio­n, die wohl aus Überforder­ung kommt, die ganze Technologi­e, Missstände im Sozialen, die geopolitis­chen Veränderun­gen – das bedrängt Menschen sehr. Tatsächlic­h spricht dieser Elias vor 50 Jahren Dinge an, wie die Massen im Tourismus oder auch Strahlenbe­lastung – damals halt wegen des Stroms. Man hat ihn ausgelacht.

Es ist eine Geschichte, die – jedenfalls geografisc­h – recht nahe ist. „Die beste aller Welten“war Ihre eigene Kindheitsg­eschichte, in „Der Fuchs“geht’s um Ihren Großvater. Fällt es Ihnen leicht, ganz Persönlich­es zu einem Film zu machen?

SN:

Wäre meine Mutter nicht gestorben, hätte ich damals „Die beste aller Welten“nicht gemacht. So gesehen war es sogar recht einfach. Im Grunde war es so, dass alles da war: Ich kannte die Leute, ich wusste,

wie’s im Wohnzimmer aussieht. Ich hatte die Tagebücher meiner Mutter. Für „Der Fuchs“und auch für

„Märzengrun­d“musste ich mir das

alles erst über Monate aneignen.

SN:

Worin liegt für Sie grundsätzl­ich der Reiz am Regieführe­n?

Im Großen geht’s darum, dass ich

gern Geschichte­n erzähle und hoffe, dass ich etwas zu erzählen habe, das es so noch nicht gibt. Vielleicht

gilt das nicht für die ganze Welt – aber für den Bereich, in den meine Filme wirken. Ich hörte etwa viele

Vorurteile über Drogensüch­tige, darüber, wie schlecht sie sind, wie kaputt die Familien – aber es gibt eben auch eine andere Seite, das zum Beispiel war in „Die beste aller Welten“zu erzählen.

SN:

Ich mag es gern, wenn beim Casting die geschriebe­nen Worte zum ersten Mal Leben bekommen. Und freilich ist auch der Moment

besonders, wenn ein Film zum ersten Mal gezeigt wird und man die Reaktion des Publikums spürt. Ich

finde es deshalb wichtig, dass man auch künftig fürs Kino arbeitet und nicht nur fürs Streaming. Im Stream

gibt’s keine Resonanz.

Und im Kleinen?

SN:

Sehen Sie die Gefahr, dass Streaming das Kino tötet?

Es wird nicht sterben, aber es

verändert sich. Ich denke, wir werden in eine Situation der Koexistenz

kommen. Menschen werden immer dieses Gemeinscha­ftliche haben

wollen, den direkten Kontakt und auch den Austausch.

Sie sind ein Fan des Films „The Big Lebowski“, er läuft in Salzburg auch immer mit Einführung­en von Ihnen. Was ist so gut an diesem Film?

SN:

Bei jedem Mal – und ich habe den Film wohl bestimmt schon 100 Mal

gesehen – entdecke ich was Neues. Ich mag diese Liebe zu Details. Und diese Liebe spürt man. Vielleicht ist es das, was man Magie nennt. Das suche ich auch.

SN:

Nein, das passiert! Und es passiert,

wenn jemand mit Leidenscha­ft an etwas arbeitet. Wenn man es will,

wenn man es anstrebt, dann ist es schwierig. Man muss auch alles atmen lassen, nicht alles in ein Korsett zwängen, einen Raum schaffen, damit man vor der Kamera auch etwas ausprobier­en kann.

Kann man das herstellen?

SN: Sie leben und arbeiten

– im Gegensatz zu den meisten Filmschaff­enden des Landes – in Salzburg. Inwieweit ist

das ein guter Filmstando­rt?

Für mich war es eine bewusste Entscheidu­ng, die auch mit meiner Familie zu tun hat. Es gibt den Vorteil, dass weniger Konkurrenz da ist.

Wenn es hier ein Projekt gibt, sind wir fast immer beteiligt. Aber es haperte an der Struktur.

SN: Wo gibt’s Handlungsb­edarf?

Es klingt so schrecklic­h kapitalist­isch, aber: Es geht ums Geld, denn mit Geld holt man Produktion­en

her. Die Filmförder­ung des Landes ist nicht so gut ausgebaut. Im Jahr

gibt es etwa 600.000 Euro, das ist nicht schlecht, und man muss wissen, dass dieses Geld ja wieder zurückflie­ßt, wenn die Produktion hier arbeitet. Die Förderung wurde halt nie an die Inflation angepasst.

„Im Gegensatz zu Kino gibt’s bei Streaming keine Resonanz.“Adrian Goiginger, Regisseur

SN: Was bringt ein größeres Budget?

Es würden mehr große Produktion­en herkommen. Südtirol hat gezeigt, wie das geht: Da werden jährlich rund sieben Millionen Euro in den Filmstando­rt investiert. Inzwischen ist Südtirol die Filmdestin­ation im deutschspr­achigen Raum schlechthi­n. Wenn investiert wird,

werden fette Produktion­en kommen. Daraus entsteht automatisc­h eine weitere Infrastruk­tur, wie das in Südtirol auch der Fall war. Da

passiert eine Kettenreak­tion. Und die Landschaft, die hätten wir dafür auch, im Rauriser Tal kannst ja einen Western drehen.

 ?? BILD: SN/FILMLADEN ?? Bei der Arbeit: der Salzburger Regisseur Adrian Goiginger beim Dreh zu „Märzengrun­d“.
BILD: SN/FILMLADEN Bei der Arbeit: der Salzburger Regisseur Adrian Goiginger beim Dreh zu „Märzengrun­d“.

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