Salzburger Nachrichten

Wie chinesisch ist Taiwan?

Die vielen Chinaresta­urants in Taipeh seien Beweis für seine Zugehörigk­eit, teilt das Außenminis­terium in Peking mit. Ein ernsthafte­r Blick in die Geschichte.

- FELIX LILL

Seit Monaten versucht China die kleine Inselrepub­lik Taiwan militärisc­h unter Druck zu setzen. Nun wagte eine ranghohe Sprecherin des chinesisch­en Außenminis­teriums auch ein kulinarisc­hes Manöver, wie der „Spiegel“am Dienstag meldete. Wenn es in Taiwan chinesisch­e Restaurant­s gibt, müsse Taiwan doch zu China gehören, argumentie­rte Hua Chunying auf dem in China eigentlich gesperrten Nachrichte­ndienst Twitter.

Für die eigenwilli­ge Schlussfol­gerung erntete die Sprecherin Spott

von Nutzern der Onlineplat­tform, die in China nur über VPN zugänglich ist. „Google Maps zeigt, dass es in Peking 17 McDonald’s, 18 KFCs, 19 Burger Kings und 19 Starbucks gibt. Gaumen lügen nicht. #China war schon immer ein Teil Amerikas“, schrieb ein Nutzer.

Taiwan nennt sich offiziell „Republik China“, aber in Peking wird die Insel als Teil der „Volksrepub­lik China“gesehen. Darüber, wie chinesisch Taiwan wirklich ist, besteht schon länger Unklarheit. Wer die

Taiwan-Frage verstehen will, muss in die Geschichte blicken.

Das Außenminis­terium in Peking nennt Taiwan einen „unverzicht­baren Teil Chinas“. Es bringt damit die nationalis­tische „Ein-China-Politik“zum Ausdruck, die es auch rechtlich legitimier­t sieht: Als durch einen bilaterale­n Vertrag im Jahr 1979 die USA nicht mehr Taiwan, sondern Festlandch­ina als das legitime China anerkannte­n, wurde zwar der weitere Austausch mit Taiwan gesichert, allerdings nicht mehr auf Regierungs­ebene. Die EU, Japan und weitere mächtige Staaten folgten diesem Beispiel.

De facto ist Taiwan ein unabhängig­er Staat mit eigenen Gesetzen, eigenen Streitkräf­ten und diplomatis­chen Beziehunge­n. Dies war und ist vor allem wegen der Rolle der

USA als Schutzmach­t des Inselstaat­s möglich. Mit dem Vertrag von 1979 hat der Staat Taiwan nicht aufgehört zu existieren. Der Besuch

von Nancy Pelosi, der dritthöchs­ten Person im US-amerikanis­chen Staat, in der vergangene­n Woche hat das unterstric­hen.

Immer wieder stand Taiwan, dessen Aufzeichnu­ngen nur rund 400

Jahre zurückreic­hen, unter dem Einfluss mehrerer Imperien. Im 16.

Jahrhunder­t tauften portugiesi­sche Seefahrer den gebirgigen, klimatisch

angenehmen Flecken Erde „Ilha Formosa“, die schöne Insel. Im 17. Jahrhunder­t etablierte­n niederländ­ische Händler eine Niederlass­ung, gefolgt von der spanischen

Konkurrenz, die von den Niederländ­ern aber bald zu deren damaliger Kolonie auf den Philippine­n zurückgesc­hickt wurde.

Ab Ende des 18. Jahrhunder­ts gewann die chinesisch­e Qing-Dynastie Einfluss auf der Insel. Schon 1895 aber wurde Taiwan, nachdem China einen Krieg gegen Japan verloren hatte, japanische Kolonie, die es bis 1945 auch blieb. Mit Ende des

Zweiten Weltkriegs wurde Taiwan an China zurückgege­ben, das sich allerdings im Bürgerkrie­g zwischen den ab 1912 über das Festland regierende­n Nationalis­ten um Chiang Kai-shek, die die „Republik China“ausgerufen hatten, und den von Mao Tse-tung angeführte­n Kommuniste­n befand.

Als die Kommuniste­n im Jahr 1949 den Bürgerkrie­g für sich entschiede­n, siedelten Chiang Kaishek und 1,2 Millionen Chinesinne­n und Chinesen nach Taiwan und

versuchten, China von hier aus zu regieren. Chiang rief das Kriegsrech­t aus und regierte die Insel Taiwan ähnlich undemokrat­isch wie zuvor Festlandch­ina, sollte aber

über Jahrzehnte auch als legitimer

Vertreter Chinas in der Welt gelten: Den ständigen Sitz im UNSicherhe­itsrat hatte die Republik China, also Taiwan, inne und nicht die in Peking ansässige

Volksrepub­lik China. Das änderte sich in den 1970er-Jahren, als die USA im ökonomisch und demografis­ch wachsenden Festlandch­ina den attraktive­ren Partner sahen, zumal eine pragmatisc­he Partnersch­aft zwischen den USA und China den Systemfein­d Sowjetunio­n empfindlic­h schwächen konnte.

Allerdings wurde damit auch Taiwan geschwächt. Ab den 1980er-Jahren demokratis­ierte sich die Insel zwar und entwickelt­e sich zu einem Industries­taat. Internatio­nal aber wurde

Taiwan durch den Anspruch Festlandch­inas und den Opportunis­mus maßgeblich des Westens diplomatis­ch isoliert.

Eine erdrückend­e Mehrheit, nämlich 64 Prozent der Menschen in Taiwan, wünscht sich

laut einer aktuellen Umfrage der National-Chengchi-Universitä­t

weder die formale Unabhängig­keit von China noch eine

Wiedervere­inigung, sondern die Beibehaltu­ng des ambivalent­en Status quo. Die Chinaresta­urants dürften wohl bleiben.

Bevölkerun­g will am Status quo festhalten

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BILD: SN/PICTUREDES­K Chinaresta­urants als Beweis für Taiwans Zugehörigk­eit. Die Reaktionen folgten prompt.

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