„Oper zu fotografieren ist ein großes Vergnügen geworden“
Bühnenfotografie erfordert spezielles Wissen und Einfühlungsvermögen. Für „Aida“haben die Salzburger Festspiele eine der Größten dieses Metiers geholt: Ruth Walz.
Das Publikum bekommt Theaterfotografen nie zu Gesicht. Und doch
ist ihre Aufgabe so wichtig, dass Institutionen wie die Salzburger Festspiele – zusätzlich zu journalistischen Fotografen – eigene Produktionsfotografen engagieren. Für „Aida“ist eine berühmte Theaterfotografin in Salzburg: Ruth Walz.
Einen Überblick über deren Schaffen hat unlängst das Berliner Museum für Fotografie gegeben. Im Sommer 2023 wird sie im Rupertinum und am Eingang zur Felsenreitschule Fotos vor allem von den Salzburger Festspielen ausstellen.
SN: Wie lange sind Sie als Fotografin in eine Inszenierung wie „Aida“eingebunden?
Ruth Walz: Die wichtigen Termine zum Fotografieren sind Klavierhauptprobe, Bühnenorchesterprobe und Generalprobe. Da sind die Sänger in Kostüm und Maske. Allerdings komme ich viel früher, um
möglichst viele Proben zu sehen.
SN:
Nein, da sitze ich fast immer ohne Kamera, denn die Sänger sind meist in Privatkleidern. Aber ich will genau schauen, wie Shirin Neshat die Sänger führt und den Chor arrangiert und was das Spezielle der Inszenierung wird. Letzten Endes will
ich ja auf Bildern auch die Handschrift des Regisseurs zeigen.
Außerdem kann ich beobachten, was den Sängern wichtig ist und wo schöne Bewegungen oder Konstellationen gelingen, damit ich weiß,
wo ich beim Fotografieren hinrennen muss. Oper zu fotografieren ist
ja ein großes Vergnügen geworden, da die Sänger heute oft auch Freude am Schauspielen haben. Als ich angefangen habe, Musiktheater zu fotografieren,
war das ganz anders – da ging es immer nur um die Musik; ein Spiel, wie es heute zwischen den Sängern stattfindet, ist damals
praktisch nicht vorgekommen.
Wo in dieser „Aida“ist es für Sie wichtig, Konstellationen auf der Bühne zu kennen?
SN:
Fotografieren Sie da schon?
Zum Beispiel in Verbindung mit den
Videos. Manchmal steht ein Sänger links, daneben ist es dunkel und dann kommt ein Video. So ein Bild mit Schwärze in der Mitte würde
keine Zeitung drucken! Aber wenn ich nach links außen renne, kann ich den Sänger mit dem Video fotografieren. Auf so etwas muss ich mich in der Klavierhauptprobe konzentrieren. Da kann ich ja erstmals die komplette Aufführung in Kostüm und Maske fotografieren, und als Produktionsfotografin darf ich mich um die Bühne herum bewegen. In der Bühnenorchesterprobe (meist offizielle Fotoprobe, Anm.) sind auch viele andere Fotografen sowie Fernsehkameras, da kann ich kaum herumlaufen.
Aus der Klavierhauptprobe muss ich alle Fotos fürs Programmheft
liefern. Auf denen muss man wenigstens Teile des Bühnenbilds sehen und möglichst viele Kostüme. Und jeder Sänger sollte anständig
vorkommen – noch dazu meist in Hochformat. Das ist schwierig, weil
Theater ist ja eher quer.
SN: Was fotografieren Sie in den zwei letzten Proben?
Oft werden noch Details in Kostüm oder Maske geändert. In „Aida“haben wir ja eine neue Amneris (ÈveMaud Hubeaux). Wenn ich in der offiziellen Fotoprobe versuche, zu ihr
möglichst nah hinzukommen, kann es sein, dass sich jemand aufregt: „Sie stehen vor der Fernsehkamera!“Da muss ich aufpassen.
Wenn man Glück hat, ist in der Generalprobe ein Platz reserviert, damit man viele Totale machen
kann. Einmal hat Romeo Castellucci noch alle Chorkostüme geändert! Da stand ich in der Generalprobe
hinten in einer Loge und hab alles noch einmal fotografiert.
SN:
In einer Klavierhauptprobe renn ich
viel, das ist körperlich anstrengend. Das Große Festspielhaus ist ja riesig! Ich seh das immer auf meinem Handy, das ja meine Schritte zählt. An so einem Tag komm ich locker auf
mein Pensum von 10.000 Schritten.
SN:
Wann und wo laufen Sie? Wie verarbeiten Sie diese vielen Bilder?
Zu Hause am Computer feuere ich alles in den Papierkorb, was nicht
gut ist. Ich bin groß im Wegschmeißen. Dann mach ich eine Auswahl
von jenen Bildern, die ich besonders gut finde, dann eine zweite
Auswahl von jenen, die auch infrage kämen. Die anderen belasse ich unmarkiert, denn es kann ja später noch viel daherkommen. Da kommt zum Beispiel ein Statist und sagt: „Ach, da hab ich doch diesen Ball
geworfen! Dürfte ich das als Erinnerung haben?“Das mach ich gerne.
Auch wenn Kinder mitspielen, freuen sich immer die Eltern, wenn man
ihnen ein paar Bilder gibt.
SN:
Immer nur die schönsten Fotos! Es
gibt Sänger, die auf der Straße blendend aussehen, aber beim Singen ihr Gesicht verzerren – das darf freilich nicht ins Bild. Und lieber gar kein Foto als ein Sänger mit aufgerissenem Mund! Man muss also versuchen, auf den Sänger scharf zu stellen, der gerade nicht singt, oder
ihn beim Luftholen sofort nach dem Singen erwischen. Es gibt allerdings Regisseure, die lassen einen Sänger sofort, wenn die Arie fertig ist, irgendwo hinrennen. Da
wird ein Foto schwierig.
Wonach wählen Sie aus? SN: Wie lange brauchen Sie für die Erstauswahl?
Seit je ist das eine Nachtarbeit. Bei „Lohengrin“(Osterfestspiele Salzburg 2022) war ich bis früh am Morgen dran, und als später Jossi Wieler, Sergio Morabito und Anna Viebrock (Regisseure und Bühnenbildnerin) kamen, da hatte ich noch keine Sekunde geschlafen.
SN: Wie war das früher mit analoger Fotografie?
Da gab es im Festspielhaus im Keller ein Labor. Als ich das erste Mal in Salzburg fotografiert habe, „Prometheus, gefesselt“(1986, Anm.), war das reserviert für den einstigen
Hausfotografen Harry Weber. Da durfte ich nicht hinein. Da habe ich
bei irgendwelchen Studenten im Badezimmer Filme entwickelt.
Als Gerard Mortier kam, wurde dieses Labor ausgebaut, da kamen auch mehrere, einander abwechselnde Fotografen. Alle Filme haben
wir von Hand entwickelt und aufgehängt. Es gab eine Maschine mit Plastikpapier für die Pressefotos.
Wenn man da sechs Stunden fotografiert hat, hat man mindestens acht Stunden entwickelt. Man
konnte ja maximal sechs Filme
gleichzeitig entwickeln. Bei „Julius Caesar“(1992/93) waren es sicher zwanzig Filme, also mehrere Entwicklungsgänge. Dann hatte man erst die Kontakte! Von denen haben wir mit Lupe ausgewählt, was wir vergrößert haben. Oft kam ich erst am frühen Morgen aus dem Festspielhaus und konnte zusehen, wie
der Grünmarkt aufgebaut wurde.
SN:
Was noch ist mit Digitalfotografie anders geworden?
Beim analogen Fotografieren konnte man die Belichtung ohnehin nicht kontrollieren, da war das ein
Abenteuer. Da man bei digitalen Kameras die gemachten Bilder sofort sehen kann, besteht die Gefahr, das
häufig zu kontrollieren. Denn auf der Bühne wird ja weitergespielt
und gesungen, und man versäumt eventuell einen wichtigen Moment.
SN: Was ist so knifflig beim Belichten?
Das Licht spielt eine entscheidende Rolle für die Qualität eines Fotos. Schwierig sind zum Beispiel Verfolger. Die machen den jeweiligen Protagonisten viel heller als alles andere. Wenn man normal belichtet, ist rundum alles schwarz. Daher muss man unterbelichten und später das,
was im Dunkeln ist, über Photoshop herausholen. Alles Überbelichtete wird knallgelb und ist verloren.
Überhaupt Bühnenlicht! Ist das kontrastreich, ist das toll anzusehen, aber schwer zu fotografieren. Felice Ross, die Beleuchterin von „Aida“, macht ein ganz wunderbares Licht. Bob Wilson ist ein meisterhafter Beleuchter; er macht noch
viel von der Rampe.
SN:
Na, Licht von unten vorn, von der
Rampe, das ist zum Aufhellen der
Was heißt das?
Gesichter sehr schmeichelhaft. Bei Ober- und Seitenlicht bekommen zum Beispiel tief liegende Augen
kein Licht. Aber heute gibt es wunderbare Beleuchter, die eigene
Handschriften entwickeln. Und auch das wäre schön, wenn man das auf den Fotos zeigte.
SN:
Die ersten sind fürs Programmheft, das wähle ich mit Regisseurin und Dramaturgin aus. Allerdings bin ich
mir nie sicher, wo zwischen Wäsche-, Kaffee- und Dirndlwerbung der richtige Platz für unsere Fotos
ist. Dann gibt es eine Auswahl für die Presseabteilung, die die an die Medien weitergibt. Wenn eine Zeitung einen speziellen Wunsch hat, kriegt die das auch – ich hab ja alles
von nah und von weit weg. Dann kommt eine große Auswahl – so 100 Fotos – ins Archiv der Salzburger Festspiele. Zudem gibt es eigens Fotos für Technik und Kostümabteilung, nützlich zum Beispiel für eine eventuelle Wiederaufnahme.
Wer bekommt Ihre Fotos?
„Lieber gar kein Foto als ein Sänger mit aufgerissenem Mund!“Ruth Walz, Fotografin „Licht von der Rampe ist für Gesichter sehr schmeichelhaft.“Ruth Walz, Fotografin
SN: Haben Sie selber ein Archiv? Ich hab ein Riesenarchiv! Alles, was ich seit 1976 im Theater fotografiert
habe – von Berliner Schaubühne, Salzburger Festspielen, Wiener Festwochen und sonst überall, alles
in Lichtschutzkästen. Allein von „Julius Caesar“in der Felsenreitschule könnte man nur mit Dias Cäsars Ermordung wie in einem Film darstellen. Serien mag ich überhaupt gern. Denn es macht Riesenspaß, von guten Schauspielern die Bewegung zu fotografieren! Jutta Lampe war unglaublich schön in ihren Bewegungen. Oder Michel Piccoli! Der hat immer wieder extra zu mir hingekuckt, wenn er mich mit der Kamera gesehen hat. Auch Asmik Grigorian, eine tolle Schauspielerin,
ist herrlich zu fotografieren.
Buch: Ruth Walz, „Theater im
Sucher“, 400 Seiten, Hatje Cantz 2021. Fotos aus „Aida“(Premiere: 12. August) von Ruth Walz sind online auf
WWW.SN.AT/SALZBURGER-FESTSPIELE.