Salzburger Nachrichten

Kahle Räume erzählen von Anstalten

Mit einem besonderen Blau hat der Künstler Ben Willikens die Wirkung von Schwarz-Weiß-Zeichnunge­n intensivie­rt.

- HEDWIG KAINBERGER

SALZBURG. Nüchterne, kahle Räume kann man als bedrohlich hart

und kalt oder als angenehm entschlack­t verstehen. Was ist richtig?

Die Salzburger Galerie Nikolaus Ruzicska legt mit jüngsten Gemälden von Ben Willikens, der sich als „Maler der Räume der Menschen“

bezeichnet, die Fährte zu einer Antwort – oder besser: zu einem Gespür für Architektu­r.

Der gebaute Raum sage über Menschen mehr aus als ihre Konterfeis, zitiert die in der Galerie tätige

Kunsthisto­rikerin Katja Mittendorf­er den deutschen Künstler. Dieser

wurde 1939 in Leipzig geboren, also mitten in den Zweiten Weltkrieg hinein; er verbrachte – der russischen Besatzung entkommend – neun Jahre in einem Flüchtling­slager und musste 1969 ein Jahr lang in eine geschlosse­ne psychiatri­sche Anstalt. Aus dieser Anstalt hielt er zunächst

– ab Anfang der 1970er-Jahre – zeichneris­ch seine Eindrücke fest.

Erst jetzt, Jahrzehnte später, habe Ben Willikens diese Serie der „Anstaltsbi­lder“wieder aufgenomme­n, berichtet Katja Mittendorf­er

und hält zum Vergleich die alten Schwarz-Weiß-Zeichnunge­n aus einem Katalog zu den neuen Gemälden in der Galerie. In diese hat Ben

Willikens eine Farbe aufgenomme­n: ein nach seinen Angaben besonders kalt wirkendes Blau.

Zu diesem hat er gefunden, als er sich ab den 1990er-Jahren mit Architektu­r des Nationalso­zialismus

befasst hat. Als jüngste Ergebnisse davon zeigt die Galerie Ruzicska drei Gemälde, für die Ben Willikens ein Fenster aus dem Berghof Adolf Hitlers nach historisch­en Fotos malerisch interpreti­ert hat: Was gleißend winterlich erscheint, ist Ausdruck von Anti-Humanität. Ein Bild

zeigt die makellose Fensterwan­d

vor von Nebelschwa­den getrübten Bergen. Eines zeigt dasselbe Fenster, doch sind einige Sprossen

verschwund­en, was den Blick in die Berge vom Raster befreit; Katja Mittendorf­er weist zudem auf das „götterdämm­erungsarti­ge Licht“

hin. Das dritte Bild zeigt das Fenster nach Luftangrif­fen kurz vor Kriegsende als zertrümmer­tes Loch.

Wenn diese Berghof-Gemälde für „Interieurs des Grauens“, wie es in der Pressemitt­eilung heißt, sowie

für Repression und Anti-Humanität stehen, wie schaut das Gegenteil aus? Katja Mittendorf­er erinnert an „Räume der Moderne“, in denen Ben Willikens Architektu­r von Mies

van der Rohe, Piet Mondrian und Richard Neutra malerisch interpreti­ert hat. Auch die sind präzise und nüchtern, doch die Ordnung enthält Offenheit sowie dort und da andere Farben als das eisige Blau.

Frisch aus dem Atelier in Wallhausen in Württember­g sind in der Galerie zwei mal drei Bilder mit Blicken aus einem Fenster aufs Meer

wie auf Sonnenauf- oder -untergang. Da erlaube sich der Künstler „eine positive Stimmung“, sagt Katja Mittendorf­er, „etwas Schönes

und Versöhnlic­hes“– erkennbar am Gelb des Sandes oder am Orange

von Abend- oder Morgenrot.

Ausstellun­g: Ben Willikens, Galerie Nikolaus Ruzicska, Salzburg, bis 30. 8.

 ?? BILD: SN/HKK ?? Die Kunsthisto­rikerin Katja Mittendorf­er zeigt den Vergleich: Im Buch zwei SchwarzWei­ß-Zeichnunge­n aus 1981, an der Wand zwei schwarz-weißblaue Gemälde aus 2022.
BILD: SN/HKK Die Kunsthisto­rikerin Katja Mittendorf­er zeigt den Vergleich: Im Buch zwei SchwarzWei­ß-Zeichnunge­n aus 1981, an der Wand zwei schwarz-weißblaue Gemälde aus 2022.

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