Befreiung geschieht über die Kunst
Emine Sevgi Özdamar erhält den Büchner-Preis. Die Autorin türkischer Herkunft brachte einen neuen Ton in die deutsche Literatur.
DARMSTADT. Im Jahr 1991 war sie ein weitgehend unbeschriebenes Blatt.
Als Emine Sevgi Özdamar damals im Bewerb um den Bachmann-Preis einen Auszug aus ihrem Roman „Das Leben ist eine Karawanserei,
hat zwei Türen, aus einer kam ich rein, aus der anderen ging ich raus“
las und daraus als Siegerin hervorging, war ein neuer Literaturstar geboren.
Im Titel ist schon herauszuhören, was diese Autorin ausmacht. Sie verlässt die Türkei durch die eine Tür, um durch eine andere in Deutschland anzukommen. Überhaupt ist der Roman autobiografisch unterfüttert. Die Erzählerin hangelt sich jenen Lebensstationen entlang, die Özdamars Weg auch flankierten. Sie wurde 1946 in der Türkei geboren, wuchs in Istanbul und Bursa auf, bevor sie als Achtzehnjährige für ein halbes Jahr nach Westberlin kam, um zu arbeiten. Mitte der Siebzigerjahre zog sie
nach Deutschland, nachdem sie als Mitglied der türkischen Arbeiterpartei jeden Rückhalt in einer konservativ gewendeten Türkei verloren hatte. Ihre Erfahrungen im Theater erleichterten ihr, an der
Volksbühne in Ostberlin unterzukommen. Sie arbeitete als Schauspielerin,
war Regieassistentin und erhielt von Claus Peymann den Auftrag, ein Stück zu schreiben: „Karagöz in Alamania“.
In Klagenfurt war sie die Erste, die die Aufmerksamkeit auf eine Literatur lenkte, die von Leuten verfasst wird, die aus einem anderen
Kulturkreis kommend auf Deutsch schreiben. Mit Özdamar kam ein
neuer Ton in die deutsche Literatur. Die war in den Neunzigerjahren sehr alltagsbezogen, lässt sich gut
verwenden, um Auskunft über das Lebensgefühl in den Städten kurz
vor der Millenniumswende zu erhalten. Nichts da bei dieser Autorin
von einem Abbild-Realismus, weil andere Traditionen, mit denen die Deutschen umzugehen erst lernen
mussten, schlagend wurden. Der Debütroman setzt sich aus einer Serie von Bildern und Szenen zusammen, die zusammen ein Gesellschaftsporträt in für türkische Emigranten unruhigen Zeiten ergeben. Ein magischer Tonfall kommt dazu als Stilmittel der Überhöhung. Das
geht in diesem Fall gut zusammen mit Zeitgeschichte, die ja den Anlass bietet, dass sich Menschen gezwungen sehen, ihr Land zu verlassen. Wie nebenbei wird türkische Gewaltgeschichte abgehandelt, für Beschönigungen ist diese Autorin
nicht zu haben. Zusammen mit „Die Brücke vom Goldenen Horn“und „Seltsame Sterne starren zur Erde“
bildet der „Karawanserei“-Roman die Istanbul-Trilogie.
Zuletzt erschien der Roman „Ein von Schatten begrenzter Raum“.
Wieder diese Überschwänglichkeit, die Pracht und die Fülle, wieder die
bedrückenden Verhältnisse, die nach dem Putsch von 1971 die Türkei zu einem Un-Ort machen, wieder das Vertrauen in die Kunst, sich mit deren Hilfe aus den Niederungen von Macht und Gewalt zu befreien. Das Buch ist ein Befreiungsschlag, wenn es davon erzählt, wie sich eine Frau durch Theater und Literatur und die Begegnung mit Menschen von intellektuellem Format aus Bedrängnissen herausmanövriert. Erfundenes und Erlebtes
gehen eine untrennbare Einheit ein. Ein Kosmopolitismus des Denkens findet in ihren Romanen statt, der in der neuen deutschsprachigen Literatur einzigartig ist.
Dass Emine Sevgi Özdamar den Büchner-Preis erhält, wie die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung am Dienstag mitteilte,
leuchtet unmittelbar ein.
Zeitgeschichte und magischer Tonfall