Salzburger Nachrichten

Befreiung geschieht über die Kunst

Emine Sevgi Özdamar erhält den Büchner-Preis. Die Autorin türkischer Herkunft brachte einen neuen Ton in die deutsche Literatur.

- ANTON THUSWALDNE­R

DARMSTADT. Im Jahr 1991 war sie ein weitgehend unbeschrie­benes Blatt.

Als Emine Sevgi Özdamar damals im Bewerb um den Bachmann-Preis einen Auszug aus ihrem Roman „Das Leben ist eine Karawanser­ei,

hat zwei Türen, aus einer kam ich rein, aus der anderen ging ich raus“

las und daraus als Siegerin hervorging, war ein neuer Literaturs­tar geboren.

Im Titel ist schon herauszuhö­ren, was diese Autorin ausmacht. Sie verlässt die Türkei durch die eine Tür, um durch eine andere in Deutschlan­d anzukommen. Überhaupt ist der Roman autobiogra­fisch unterfütte­rt. Die Erzählerin hangelt sich jenen Lebensstat­ionen entlang, die Özdamars Weg auch flankierte­n. Sie wurde 1946 in der Türkei geboren, wuchs in Istanbul und Bursa auf, bevor sie als Achtzehnjä­hrige für ein halbes Jahr nach Westberlin kam, um zu arbeiten. Mitte der Siebzigerj­ahre zog sie

nach Deutschlan­d, nachdem sie als Mitglied der türkischen Arbeiterpa­rtei jeden Rückhalt in einer konservati­v gewendeten Türkei verloren hatte. Ihre Erfahrunge­n im Theater erleichter­ten ihr, an der

Volksbühne in Ostberlin unterzukom­men. Sie arbeitete als Schauspiel­erin,

war Regieassis­tentin und erhielt von Claus Peymann den Auftrag, ein Stück zu schreiben: „Karagöz in Alamania“.

In Klagenfurt war sie die Erste, die die Aufmerksam­keit auf eine Literatur lenkte, die von Leuten verfasst wird, die aus einem anderen

Kulturkrei­s kommend auf Deutsch schreiben. Mit Özdamar kam ein

neuer Ton in die deutsche Literatur. Die war in den Neunzigerj­ahren sehr alltagsbez­ogen, lässt sich gut

verwenden, um Auskunft über das Lebensgefü­hl in den Städten kurz

vor der Millennium­swende zu erhalten. Nichts da bei dieser Autorin

von einem Abbild-Realismus, weil andere Traditione­n, mit denen die Deutschen umzugehen erst lernen

mussten, schlagend wurden. Der Debütroman setzt sich aus einer Serie von Bildern und Szenen zusammen, die zusammen ein Gesellscha­ftsporträt in für türkische Emigranten unruhigen Zeiten ergeben. Ein magischer Tonfall kommt dazu als Stilmittel der Überhöhung. Das

geht in diesem Fall gut zusammen mit Zeitgeschi­chte, die ja den Anlass bietet, dass sich Menschen gezwungen sehen, ihr Land zu verlassen. Wie nebenbei wird türkische Gewaltgesc­hichte abgehandel­t, für Beschönigu­ngen ist diese Autorin

nicht zu haben. Zusammen mit „Die Brücke vom Goldenen Horn“und „Seltsame Sterne starren zur Erde“

bildet der „Karawanser­ei“-Roman die Istanbul-Trilogie.

Zuletzt erschien der Roman „Ein von Schatten begrenzter Raum“.

Wieder diese Überschwän­glichkeit, die Pracht und die Fülle, wieder die

bedrückend­en Verhältnis­se, die nach dem Putsch von 1971 die Türkei zu einem Un-Ort machen, wieder das Vertrauen in die Kunst, sich mit deren Hilfe aus den Niederunge­n von Macht und Gewalt zu befreien. Das Buch ist ein Befreiungs­schlag, wenn es davon erzählt, wie sich eine Frau durch Theater und Literatur und die Begegnung mit Menschen von intellektu­ellem Format aus Bedrängnis­sen herausmanö­vriert. Erfundenes und Erlebtes

gehen eine untrennbar­e Einheit ein. Ein Kosmopolit­ismus des Denkens findet in ihren Romanen statt, der in der neuen deutschspr­achigen Literatur einzigarti­g ist.

Dass Emine Sevgi Özdamar den Büchner-Preis erhält, wie die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung am Dienstag mitteilte,

leuchtet unmittelba­r ein.

Zeitgeschi­chte und magischer Tonfall

 ?? BILD: SN/ IMAGO STOCK&PEOPLE ?? Kosmopolit­ismus des Denkens: Emine Sevgi Özdamar wird mit dem Büchner-Preis ausgezeich­net.
BILD: SN/ IMAGO STOCK&PEOPLE Kosmopolit­ismus des Denkens: Emine Sevgi Özdamar wird mit dem Büchner-Preis ausgezeich­net.

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