Dann sind wir eben Jenische
Im Waldviertel lebt der Rest eines einst fahrenden Volkes, das sich selbst „Tschipse“nannte. Ein Nachfahre hat nun ein Buch geschrieben, das schon vor Erscheinen die Gemüter erhitzte.
GMÜND. Irgendwann, wenn man
genau aufpasst, hat man diese Wörter alle schon einmal gehört. Im alltäglichen Sprachgebrauch, wie es so schön heißt. „Biwan“zum Beispiel.
Bei den Jenischen aus dem Norden Österreichs bedeutet es frieren, also
bibbern. Brillen sind die „Glesal“, der Jäger ist der „Greasteidl“, etwas
begreifen heißt „gneisn“, Schuhe sind die „Tritling“. „Fodat“, wie ein Faden, ist jemand, der sehr dünn ist.
Markus Josl aus Gmünd hat all die Wörter eingesammelt. Und nicht nur das. Der 34-Jährige hat etliche Menschen gefunden, die über das Leben der Jenischen noch erzählen konnten und wollten; die dieses freie, wilde, entbehrungsreiche, von allerlei Mythen und archaischen Gepflogenheiten umrankte
Dasein des fahrenden Volkes noch selbst erlebt haben. Oder die viel
von ihren Altvordern berichtet bekommen hatten.
Egal ob Jahrgang 1986 oder Jahrgang 1937 – in all ihren Erinnerungen schwingt Sehnsucht mit. Doch
wonach eigentlich? Einer Volksgruppe? Einer Kultur? Einer Sprache? Einer längst ausgestorbenen Lebensweise? Oder ein bisschen
nach allem? Die Jenischen aus dem
Sprache vor dem Aussterben retten
Norden, also vorwiegend aus dem
Waldviertel und Südböhmen, waren lange Zeit, wahrscheinlich über Jahrhunderte, ein fahrendes Volk
von Hausierern („Strenzierern“). Sie schliffen Scheren und Messer, reparierten allerlei oder verkauften feines Tuch. Sie waren mit den Händen ebenso geschickt wie beim Verhandeln, und sie waren nicht bei allen Sesshaften wohlgelitten. All das haben sie mit den Jenischen im Süden und Westen Österreichs gemeinsam. Und doch blieb man sich seltsamerweise fremd. „Wir haben überhaupt keinen Kontakt.“
Dies könnte daran liegen, dass sich die Fahrenden im Norden lange
Zeit gar nicht Jenische nannten. „Sie bezeichneten sich als Zigeuner.
Als dieser Begriff dann in Verruf geriet, gingen viele dazu über, sich Jenische zu nennen. Aber nicht alle“, erklärt der Autor im SN-Gespräch.
In ihrer Sprache hieß das: „Tschipse“. Die Nähe zum Englischen wird auch andernworts deutlich: Sich beeilen heißt „hurle“, dem „to hurry“nicht unähnlich.
Der Kuss ist der „Kisch“, „nur“heißt „onle“, die Kette ist das Nekling, was
wiederum frappant ans englische Necklace erinnert. Wer freundlich
ist, ist „neis“. Und Scherz ist der „Joks“, also der Joke.
All diese Ausdrücke, Geschichten, Besonderheiten und Widersprüche hat Markus Josl in ein Buch
gepackt. „Vom Zigeuner zum Jenischen“heißt es, ist 106 Seiten dick, ab sofort erhältlich und kostet 18,90 Euro. Es ist kein wissenschaftliches
Werk, das Josl verfasst hat, nicht vergleichbar etwa mit dem Band „Das Jenische in Tirol“der Innsbrucker Sprachwissenschafterin Heidi Schleich. Es ist illustriert, jedoch
nicht bebildert und kommt ohne eine Fußnote aus.
Dass er sich eines überaus sensiblen Themas angenommen hat,
ist Josl bewusst. Schließlich ist er selbst ein „Tschipse“. Die Urgroßmutter und der Großvater hatten schon in den 1980ern damit begonnen, eine Art Wörterbuch anzulegen. Was an sich ungewöhnlich ist,
weil bei fahrenden Völkern meist nur mündlich überliefert wurde.
Aber die Angst, dass alles einmal verloren geht, war offenbar bereits damals groß.
„Ich bin von Bayern bis nach Budapest gekommen, habe über 20 Interviews geführt“, sagt Josl. Dass am Ende nur sieben übrig blieben, die ihre Worte auch gedruckt haben
wollten, habe einen Grund: „Es gibt Familienfehden, die sich teilweise über vier Generationen erstrecken. Auch ich habe von Dankesschreiben bis Morddrohungen alles erhalten.“Von außen, also von den „Gadsche“, den Sesshaften, habe es nie
rassistische Anfeindungen oder Schikanen gegeben. Und wie steht es mit dem Wunsch nach Anerkennung als Volksgruppe? „Wir fordern gar nichts“, stellt Josl klar.
Es gibt auch nur mehr rund 100 Menschen, die großteils zwischen Heidenreichstein und Gmünd leben, in deren Familien man noch hie und da „die Zigeunersprache“,
wie sie laut Josl nach wie vor genannt werde, spricht. „Aus meiner Generation kenne ich vier, die sie sprechen, der Rest ist über 60 Jahre alt.“
In den 1970er-Jahren wurden die letzten Fahrenden sesshaft. Manchmal traf man noch einzelne Gruppen mit Wohnwagen auf Kirtagen an. Aber auch das hörte irgendwann auf. Sprache und Lebensweise verblichen nach und nach. Leopold S., geboren 1976, zieht im Buch sein ganz persönliches Fazit: „Die Leute haben
unsere Zunge so geheim gehalten, dass sie es heute selbst nicht mal mehr können. Außerdem
gibt es ja keiner wirklich gern zu, dass er sich für seine Leute geniert hat. Ich kann nur eines sagen, und zwar, dass ich als Jenischer geboren bin und als Jenischer sterben werde, komme,
was da wolle.“
Buch: „Vom Zigeuner zum
Jenischen“, Markus Josl, Eigenverlag, 106 Seiten, 18,90 Euro, erhältlich über die Website
www.markusjosl.com