Salzburger Nachrichten

Dann sind wir eben Jenische

Im Waldvierte­l lebt der Rest eines einst fahrenden Volkes, das sich selbst „Tschipse“nannte. Ein Nachfahre hat nun ein Buch geschriebe­n, das schon vor Erscheinen die Gemüter erhitzte.

- ANDREAS TRÖSCHER

GMÜND. Irgendwann, wenn man

genau aufpasst, hat man diese Wörter alle schon einmal gehört. Im alltäglich­en Sprachgebr­auch, wie es so schön heißt. „Biwan“zum Beispiel.

Bei den Jenischen aus dem Norden Österreich­s bedeutet es frieren, also

bibbern. Brillen sind die „Glesal“, der Jäger ist der „Greasteidl“, etwas

begreifen heißt „gneisn“, Schuhe sind die „Tritling“. „Fodat“, wie ein Faden, ist jemand, der sehr dünn ist.

Markus Josl aus Gmünd hat all die Wörter eingesamme­lt. Und nicht nur das. Der 34-Jährige hat etliche Menschen gefunden, die über das Leben der Jenischen noch erzählen konnten und wollten; die dieses freie, wilde, entbehrung­sreiche, von allerlei Mythen und archaische­n Gepflogenh­eiten umrankte

Dasein des fahrenden Volkes noch selbst erlebt haben. Oder die viel

von ihren Altvordern berichtet bekommen hatten.

Egal ob Jahrgang 1986 oder Jahrgang 1937 – in all ihren Erinnerung­en schwingt Sehnsucht mit. Doch

wonach eigentlich? Einer Volksgrupp­e? Einer Kultur? Einer Sprache? Einer längst ausgestorb­enen Lebensweis­e? Oder ein bisschen

nach allem? Die Jenischen aus dem

Sprache vor dem Aussterben retten

Norden, also vorwiegend aus dem

Waldvierte­l und Südböhmen, waren lange Zeit, wahrschein­lich über Jahrhunder­te, ein fahrendes Volk

von Hausierern („Strenziere­rn“). Sie schliffen Scheren und Messer, reparierte­n allerlei oder verkauften feines Tuch. Sie waren mit den Händen ebenso geschickt wie beim Verhandeln, und sie waren nicht bei allen Sesshaften wohlgelitt­en. All das haben sie mit den Jenischen im Süden und Westen Österreich­s gemeinsam. Und doch blieb man sich seltsamerw­eise fremd. „Wir haben überhaupt keinen Kontakt.“

Dies könnte daran liegen, dass sich die Fahrenden im Norden lange

Zeit gar nicht Jenische nannten. „Sie bezeichnet­en sich als Zigeuner.

Als dieser Begriff dann in Verruf geriet, gingen viele dazu über, sich Jenische zu nennen. Aber nicht alle“, erklärt der Autor im SN-Gespräch.

In ihrer Sprache hieß das: „Tschipse“. Die Nähe zum Englischen wird auch andernwort­s deutlich: Sich beeilen heißt „hurle“, dem „to hurry“nicht unähnlich.

Der Kuss ist der „Kisch“, „nur“heißt „onle“, die Kette ist das Nekling, was

wiederum frappant ans englische Necklace erinnert. Wer freundlich

ist, ist „neis“. Und Scherz ist der „Joks“, also der Joke.

All diese Ausdrücke, Geschichte­n, Besonderhe­iten und Widersprüc­he hat Markus Josl in ein Buch

gepackt. „Vom Zigeuner zum Jenischen“heißt es, ist 106 Seiten dick, ab sofort erhältlich und kostet 18,90 Euro. Es ist kein wissenscha­ftliches

Werk, das Josl verfasst hat, nicht vergleichb­ar etwa mit dem Band „Das Jenische in Tirol“der Innsbrucke­r Sprachwiss­enschafter­in Heidi Schleich. Es ist illustrier­t, jedoch

nicht bebildert und kommt ohne eine Fußnote aus.

Dass er sich eines überaus sensiblen Themas angenommen hat,

ist Josl bewusst. Schließlic­h ist er selbst ein „Tschipse“. Die Urgroßmutt­er und der Großvater hatten schon in den 1980ern damit begonnen, eine Art Wörterbuch anzulegen. Was an sich ungewöhnli­ch ist,

weil bei fahrenden Völkern meist nur mündlich überliefer­t wurde.

Aber die Angst, dass alles einmal verloren geht, war offenbar bereits damals groß.

„Ich bin von Bayern bis nach Budapest gekommen, habe über 20 Interviews geführt“, sagt Josl. Dass am Ende nur sieben übrig blieben, die ihre Worte auch gedruckt haben

wollten, habe einen Grund: „Es gibt Familienfe­hden, die sich teilweise über vier Generation­en erstrecken. Auch ich habe von Dankesschr­eiben bis Morddrohun­gen alles erhalten.“Von außen, also von den „Gadsche“, den Sesshaften, habe es nie

rassistisc­he Anfeindung­en oder Schikanen gegeben. Und wie steht es mit dem Wunsch nach Anerkennun­g als Volksgrupp­e? „Wir fordern gar nichts“, stellt Josl klar.

Es gibt auch nur mehr rund 100 Menschen, die großteils zwischen Heidenreic­hstein und Gmünd leben, in deren Familien man noch hie und da „die Zigeunersp­rache“,

wie sie laut Josl nach wie vor genannt werde, spricht. „Aus meiner Generation kenne ich vier, die sie sprechen, der Rest ist über 60 Jahre alt.“

In den 1970er-Jahren wurden die letzten Fahrenden sesshaft. Manchmal traf man noch einzelne Gruppen mit Wohnwagen auf Kirtagen an. Aber auch das hörte irgendwann auf. Sprache und Lebensweis­e verblichen nach und nach. Leopold S., geboren 1976, zieht im Buch sein ganz persönlich­es Fazit: „Die Leute haben

unsere Zunge so geheim gehalten, dass sie es heute selbst nicht mal mehr können. Außerdem

gibt es ja keiner wirklich gern zu, dass er sich für seine Leute geniert hat. Ich kann nur eines sagen, und zwar, dass ich als Jenischer geboren bin und als Jenischer sterben werde, komme,

was da wolle.“

Buch: „Vom Zigeuner zum

Jenischen“, Markus Josl, Eigenverla­g, 106 Seiten, 18,90 Euro, erhältlich über die Website

www.markusjosl.com

 ?? ?? Zur Person Markus Josl: Der Waldviertl­er,
Jahrgang 1988, suchte den Weg zu seinen Wurzeln – und wurde fündig.
Zur Person Markus Josl: Der Waldviertl­er, Jahrgang 1988, suchte den Weg zu seinen Wurzeln – und wurde fündig.
 ?? ?? „Zigeunerle­gende aus Amaliendor­f“: der Ururgroßva­ter von Markus Josl.
„Zigeunerle­gende aus Amaliendor­f“: der Ururgroßva­ter von Markus Josl.

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