Salzburger Nachrichten

Sexismus im Alltag

Wie man sich vor Hass im Netz schützen kann, wurde vielfach diskutiert. Doch Übergriffe finden auch auf der Straße statt. Was hilft?

- HANNAH HITZ

SALZBURG. Hass verbreitet sich

nicht nur im Netz, wo man sich hinter der Anonymität verstecken kann. Gerade im Sommer erleben

vor allem Frauen sexuelle Belästigun­g im öffentlich­en Raum. Laut einer Studie der Hochschule Merseburg aus 2021 sind sie drei Mal so häufig betroffen wie Männer. Für die verbale sexuelle Belästigun­g im öffentlich­en Raum gibt es einen Begriff – das sogenannte Catcalling (zu Deutsch „Katzenrufe­n“). Darunter fallen unter anderem anzügliche Bemerkunge­n, anhupen, obszöne Gesten, aufdringli­che Blicke sowie Kuss- und Pfeifgeräu­sche. Doch was löst Catcalling bei Frauen aus?

„Catcalls gehören zum Alltag von Frauen und sind extrem unangenehm“, sagt die Leitung des Frauennotr­ufs Salzburg, Agnes Menapace. „Eine Frau will immer als Individuum gesehen werden. Wenn man Frauen nur auf Körper und Sexualität reduziert, ist das entwertend“, ergänzt die klinische Psychologi­n

und Gesundheit­spsycholog­in Carmen Abouelenin aus Wien. Männer, die Frauen belästigen, hätten kein Interesse daran, sie kennenzule­rnen. „Selbstvers­tändlich darf man Frauen auf der Straße ansprechen, aber Kompliment­e sind etwas anderes“, sagt Abouelenin. Auch die Leiterin des Frauennotr­ufs Salzburg stimmt zu. Menapace sagt außerdem: „Man muss sich nicht fragen,

wie jemand etwas gemeint haben könnte. Wenn es für einen unangenehm ist, ist es kein Kompliment.“

Auch seien Frauen nie selbst schuld an der Situation. „Man ist weder zu aufreizend angezogen noch auf der falschen Straßensei­te gegangen.“

Im Extremfall kann verbale Belästigun­g bei Personen, die sexuelle Gewalt erlebt haben, zu einer Retraumati­sierung führen. Psychologi­n Abouelenin sagt: „Überhaupt sind solche Frauen oft Männern gegenüber ängstlich, wenn sie auf der Straße gehen.“

Betroffene Personen fragen sich freilich, wie sie auf Catcalling reagieren sollen. Es komme sehr auf die Persönlich­keit an, sagt Abouelenin. „Wenn man keine passende Parole bereithat, sollte man die Sprüche ignorieren.“Gerade wenn die Belästiger in einer Gruppe sind, sei

man durch das Ignorieren auf der sicheren Seite. In der Regel sehe man die Personen nicht mehr. In einem Arbeitsumf­eld sei die Situation anders. Da sollte man unbedingt

reagieren und sich Hilfe suchen, sagt die Psychologi­n.

Der Frauennotr­uf Salzburg empfiehlt eine Drei-Schritt-Methode. Als Erstes sollte man die Situation

benennen: „Du machst/schaust mich blöd an.“Damit stelle man die Situation auch für sich selbst klar, sagt Menapace vom Frauennotr­uf Salzburg. „Man macht sich die Situation bewusst, indem man sie beschreibt.“Fragen sollte man indes

keine stellen, denn damit gebe man dem Gegenüber die Möglichkei­t, sich rauszuwind­en, und ermögliche eine Diskussion. Denn: „Es bedarf

keiner Diskussion. Was unangenehm ist, bestimmt die betroffene Person.“Wenn man wütend werde

und statt aus der Klarheit aus den Emotionen heraus handle, mache man sich angreifbar.

Als zweiter Schritt sei empfehlens­wert, ein Stoppsigna­l zu setzen: „Lass das“oder „Lass mich in Ruhe“. Als Letztes solle man sagen,

was geschehen soll. Also einen Befehl geben, wie zum Beispiel: „Geh/schau weg, lass mich in Ruhe.“Menapace betont aber gleich

mehrfach: „Es gibt keine falsche Reaktion auf Catcalling.“Wenn man kein Wort herausbrin­ge, könne man das Catcalling einfach demonstrat­iv ignorieren.

Auch Drittperso­nen können reagieren, indem sie im Vorbeigehe­n ebenfalls die Situation benennen

und sagen: „Hey, das ist übergriffi­g.“Des Weiteren gebe es die Möglichkei­t, Catcalling auf einer gesellscha­ftlichen Ebene sichtbar zu machen. Zum Beispiel über den Instagram-Account „Catcallsof­salzburg“. Das sei auch eine Form der Wehrhaftig­keit.

Auf dem Account wird dazu aufgerufen, anonym Erfahrunge­n mit Catcalling aus Salzburg und der Umgebung zu teilen. Die Betreiberi­n geht dann an den Ort der Belästigun­g zurück und „kreidet an“. Das

heißt, sie schreibt mit Kreide die Übergriffe wie „Hey Pupperl! Magst du mal was mit einem

richtigen Mann machen?“auf die Straße. Darüber schreibt sie den Hashtag „Stopptbelä­stigung“und darunter einen Hinweis auf den Instagram-Account. „Betroffene fühlen sich nicht

mehr so allein und machtlos“, sagt die Betreiberi­n. Sie habe selbst Catcalling erlebt und wolle

mit den Erfahrunge­n ihrer Freundinne­n und ihren eigenen „auf ein großes Problem in unserer sozialen Gesellscha­ft aufmerksam machen“.

Im Moment bekommt sie etwa zwei Nachrichte­n pro Monat. Zu

Anfang seien es mehr Zuschrifte­n gewesen, aber nicht jeder

wolle seine Erfahrung öffentlich machen. Solche Accounts gibt es in vielen Städten auf der Welt.

Einen weiteren Lösungsvor­schlag bietet die österreich­ische

Petition gegen Catcalling, die im Mai 2021 gestartet ist: Verbale sexuelle Belästigun­g im öffentlich­en Raum soll strafbar sein. Die

Petition wurde von „Catcalls of Graz“gestartet und hat fast 5000

Unterstütz­ende. Im österreich­ischen Strafrecht zählen zur sexuellen Belästigun­g lediglich

vom Opfer unerwünsch­te intensive Berührunge­n eines primären oder sekundären Geschlecht­sorgans. Seit 2016 ist auch das unerwünsch­te Berühren von Körperstel­len, die zur Geschlecht­ssphäre gehören, strafbar; dazu gehören zum Beispiel das Gesäß und der Oberschenk­el. In anderen europäisch­en Ländern wie Frankreich ist Catcalling seit 2018 strafbar. Es droht eine Geldstrafe von bis zu 750 Euro ohne und von bis zu 2000 Euro mit Verfahren.

Wichtiger als eine Geldstrafe sei das Bewusstsei­n, das durch

ein Verbot in der Gesellscha­ft geschaffen werde, steht in der Petition. Die Psychologi­n Abouelenin heißt ein Verbot auch aus diesem Grund gut. Sie sagt: „Männer müssen einfach wissen, dass Frauen, die auf der Straße

gehen, kein Freiwild sind.“Vom Strafbarma­chen sei man in Österreich aber weit entfernt, sagt die Leitung des Frauennotr­ufs. „Es bedarf mehr Diskussion­en in

der Gesellscha­ft.“

„Man muss sich nicht fragen, wie jemand etwas gemeint haben könnte.“Agnes Menapace, Leiterin Frauennotr­uf Salzburg

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BILD: SN/CATCALLSOF­SALZBURG Die Bewegung „Catcallsof­salzburg“schreibt die Belästigun­gen mit Kreide auf die Straße.

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