Salzburger Nachrichten

Wer rettet Österreich vor diesen Rettern?

Die vergangene Woche war eine Anleitung dafür, wie man effizient Misstrauen zwischen Wählervolk und Politikern schürt.

- Andreas Koller ANDREAS.KOLLER@SN.AT

Sie hätten gemeinsam vor die Kameras treten können, der Kanzler, der Finanzmini­ster, die Energiemin­isterin und der Wiener Bürgermeis­ter. Sie hätten gemeinsam verkünden können, dass sie in konstrukti­ver Anstrengun­g die bedrohlich­e Schieflage der Wien Energie geradegerü­ckt und die Versorgung der zwei Millionen Kundinnen und Kunden des größten Energielie­feranten des Landes sichergest­ellt haben. Sie hätten dafür möglicherw­eise Applaus der Menschen erhalten.

Sie hätten, aber sie haben nicht. Kanzler und Finanzmini­ster verkündete­n die Rettung der Wien Energie in einer Soloverans­taltung,

ließen dabei (anders als die grüne Energiemin­isterin) manch böse Spitze gegen die rote Wiener Stadtregie­rung vom Stapel und stellten

kühn die Vermutung in den Raum, dass es im Wiener Umfeld möglicherw­eise Milliarden­spekulatio­nen gegeben haben könnte. Die SPÖ revanchier­te sich umgehend, indem sie der ÖVP die Inszenieru­ng einer „Schmutzkam­pagne“sowie „Meuchelpro­paganda“vorwarf und dem Bundeskanz­ler ausrichtet­e, „in der Politik nichts verloren zu haben“.

Man rieb sich die Augen: Da hatten es Bund und Stadt Wien soeben

mit vereinten Kräften geschafft, am grünen Tisch ein existenzbe­drohendes Problem in Rekordzeit zu lösen. Doch statt den Menschen die gute Nachricht in entspreche­nder

Weise zu überbringe­n, überschütt­eten einander die Verhandlun­gspartner mit Vorwürfen rufschädig­endster Art. Wenn jemand nach einem Rezept dafür sucht, wie Misstrauen

in Politik und Politiker am effizien

testen geschürt werden kann: Hier ist es, und es ist absurd, dass es die Betroffene­n – nämlich die Politiker

– selbst sind, die mit ihrem Verhalten dieses Misstrauen schüren.

Dies übrigens nicht nur rund um die Rettung der Wien Energie, sondern auch bei jeder anderen sich

bietenden Gelegenhei­t, und wer es nicht glaubt, der möge sich die im TV live übertragen­en Nationalra­tsdebatten anhören. Keine Rede mehr davon, um der gemeinsame­n Sache

willen auf parteipoli­tische Winkelzüge zu verzichten, wie es beispielsw­eise in den ersten Wochen der Pandemie der Fall war. Die herbstlich­e Krise, vor der wir stehen, wird unserer Gesellscha­ft mindestens so viel abverlange­n wie dieser erste

bittere Lockdown. Anders als damals haben wir es heute mit einer

politische­n Klasse zu tun, deren Angehörige agieren, als hätten sie das Ausmaß der Krise nicht begriffen.

Wie das bei den Bürgerinne­n und Bürgern ankommt, geht aus einschlägi­gen Umfragen hervor. Das

Vertrauen in politische Institutio­nen ist an einem Tiefpunkt angelangt, die meisten Politiker befinden sich in den diversen Vertrauens­rankings auf dem steten Weg in den Minusberei­ch. Das Misstrauen

wuchert in vertikaler Richtung zwischen den Menschen und der Politik – und es wuchert in horizontal­er Richtung zwischen den einzelnen politische­n Parteien.

Während sich Grüne und Neos zumeist in wohltuende­r Sachlichke­it

üben, haben vor allem die Propaganda­abteilunge­n von ÖVP, SPÖ und FPÖ immer noch nicht verstanden, dass sie sich selbst beschmutze­n, wenn sie den anderen mit Schmutz bewerfen. „Scheinheil­igkeit“und „Armutszeug­nis“fällt der türkisen Generalsek­retärin Laura Sachslehne­r zur SPÖ ein. „Lügen

und Falschinfo­s“, zetert der rote Parteisekr­etär Christian Deutsch gegen die ÖVP. Eine „niederträc­htige Täuschungs­strategie“ortet der

blaue Parteichef Herbert Kickl bei SPÖ, ÖVP und Grünen. Fortsetzun­g folgt mit Sicherheit.

Kein Wunder, dass in diesem Klima einige der Mitte-rechts- bis Rechts-außen-Kandidaten für die Bundespräs­identschaf­t die Absicht

bekundet haben, im Falle ihres Wahlsiegs als erste Amtshandlu­ng die Bundesregi­erung zu entlassen.

Das wäre zwar ein glatter Staatsstre­ich und würde Österreich auf

den Status einer Bananenrep­ublik zurückwerf­en, aber das scheint die Herren nicht anzufechte­n. Wir haben es weit gebracht, wenn Bewerber um die Bundespräs­identschaf­t zu Recht annehmen dürfen, mit derlei Ankündigun­gen Stimmen zu machen.

Apropos Präsidents­chaft: Die mit großer Wahrschein­lichkeit bevorstehe­nde Wiederwahl des amtierende­n Bundespräs­identen wäre eine gute Gelegenhei­t für die politische­n Akteure, den großen ResetKnopf zu drücken. Und zumindest zu versuchen, sich in den kommenden nicht ganz einfachen Zeiten einer besseren politische­n Kultur zu befleißige­n.

Höchste Zeit für einen Neustart

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WWW.SN.AT/WIZANY Retter in der Not . . .

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