Biden eröffnet den Kampf „um die Seele“der Nation
Mit seiner Rede in Philadelphia hat der US-Präsident die Kampagne für die Halbzeitwahlen zur Chefsache gemacht.
Zwei Monate vor den Halbzeitwahlen geht Joe Biden in eine Frontaloffensive gegen den „Extremismus, der die Grundlagen unserer Republik bedroht“. In einer
Ansprache vor der Independence Hall in Philadelphia warnte er am Donnerstag eindringlich vor Donald Trump und seinen Anhängern
und ihrer „extremen Ideologie“. Biden erklärte: „Zu viel, das heute in
unserem Land geschieht, ist nicht normal.“
Dabei unterschied der US-Präsident zwischen „MAGA-Republikanern“(die Großbuchstaben stehen für Trumps nationalistischen Slogan „Make America Great Again“) und anderen Republikanern. Es
klang, als handle es sich um zwei unterschiedliche Parteien, von denen eine Verfassung, Rechtsstaat
und friedlichen Machttransfer respektiert, während die andere nicht
willens ist, das Ergebnis von freien
Wahlen zu akzeptieren, und gegenwärtig quer durch das Land daran arbeitet, die nächsten Wahlen zu
manipulieren und die „Demokratie zu untergraben“.
Bidens Ansprache war vom Weißen Haus als „Bemerkungen zum anhaltenden Kampf um die Seele
unserer Nation“angekündigt worden. Knapp zwei Jahre nach den Präsidentschaftswahlen knüpfte der US-Präsident damit an eine Wahlkampfstrategie an, die ihm 2020 zum Sieg verholfen hat. Dieses Mal
kann Biden aus der stärkeren Position des Amtsinhabers argumentieren, dem fast alle Mikrofone der
Welt offenstehen. Doch zugleich steht er unter dem Eindruck von zwei Jahren, in denen Trump die Kampfbereitschaft seiner Basis noch weiter ausgebaut hat.
Biden beschrieb den Sturm auf das Kapitol wie eine Generalprobe
für kommende Wahlen: „Ihren gescheiterten Versuch, eine friedliche
Machtübergabe nach der Wahl 2020 zu verhindern, sehen sie als
Vorbereitung für die Wahlen 2022 und 2024.“
Wenige Tage zuvor hatte Biden den Trumpismus als „Semifaschismus“bezeichnet. Diesen Ausdruck, für den der Fraktionsführer der Republikaner im Repräsentantenhaus, Kevin McCarthy, eine Entschuldigung verlangt, hat Biden in Philadelphia nicht erneut benutzt. Doch seine Stoßrichtung blieb unverändert. In seiner Rede machte Biden gar nicht erst den Versuch, Trump-Anhänger zurückzugewinnen. „Sie leben nicht im Licht der
Wahrheit, sondern im Schatten der Lüge.“Stattdessen richtete er sich an „Demokraten, Unabhängige und Mainstream-Republikaner“. An ihre Adresse sagte er: „Sagt, was ihr zu sagen habt. Engagiert euch. Wählt. Wählt. Wählt.“
Für Biden ist der Zeitpunkt günstig. Die Arbeitslosigkeit in den USA ist so niedrig wie vor Beginn der Pandemie, die Inflationsbekämpfung
trägt – in Form sinkender Benzinpreise – erste Früchte und in den letzten Wochen hat der Präsident
politische Erfolge erzielt, die sowohl seine eigene Popularität als auch die Wahlaussichten seiner
Partei bei den Midterms vergrößern. Dazu gehören der vorsichtige
Ausbau der Schusswaffenkontrolle, das weitreichendste Klimagesetz der US-Geschichte, eine Senkung der Medikamentenpreise für Senioren sowie die partielle Streichung
von Studienschulden für Menschen mit niedrigem Einkommen.
Mit seiner Rede in Philadelphia, vor dem Gebäude, in dem die Unabhängigkeitserklärung der USA angenommen wurde, hat Biden die Kampagne für die Halbzeitwahlen zur Chefsache gemacht. Er hat seine Mahnungen mit der Aussicht auf eine rosige Zukunft verknüpft, falls sein Land sich gegen den Extremismus entscheidet: „Wenn wir unsere Pflicht tun, bleibt Amerika ein Leuchtturm für die Welt.“