Salzburger Nachrichten

„Die Verfassung katapultie­rt Chile ins 21. Jahrhunder­t“

- Mit Elisa Loncón Klaus Ehringfeld

Elisa Loncón (59) saß der verfassung­gebenden Versammlun­g vor.

Die Mapuche-Ureinwohne­rin ist Feministin und Hochschull­ehrerin.

Wie erklären Sie sich die Umfragewer­te, die eine Mehrheit für eine Ablehnung der neuen Verfassung sehen?

SN:

Elisa Loncón: Die chilenisch­en Medien haben dafür gesorgt, dass wir

kaum Platz hatten, um die Errungensc­haften des neuen Grundgeset­zes bekannt zu machen. Zudem sind in den TV-Spots für die Option „Ablehnung“Unwahrheit­en verbreitet worden. Etwa, dass die neue Verfassung die Abtreibung unbegrenzt erlaubt oder das Privateige­ntum abgeschaff­t werde. Dagegen anzukommen ist und war schwer.

SN: Was ist die Errungensc­haft des Verfassung­sentwurfs?

Das neue Grundgeset­z katapultie­rt Chile ins 21. Jahrhunder­t und lässt

endlich die Verfassung der Diktatur zurück. Sie nimmt die Wünsche der Menschen auf, die bei den Protesten vor drei Jahren massiv formuliert wurden. Außerdem ist das eine

Verfassung, die demokratis­ch und vor allem paritätisc­h sowie fernab der politische­n Elite geschriebe­n

wurde. Das ist für sich genommen schon ein Meilenstei­n. Es werden endlich die sozialen und grundlegen­den Rechte der Menschen anerkannt: das Recht auf Bildung, Gesundheit und Wohnung. Zudem

werden die Natur als Rechtssubj­ekt anerkannt und die Plurinatio­nalität

des Staates festgeschr­ieben.

SN: Was passiert, wenn die Verfassung abgelehnt wird?

Das wäre ein schwerer Rückschlag. Denn sie ist die Antwort auf eine

große soziale Krise, die 2019 ihren Höhepunkt fand. Sehr wahrschein­lich beginnen bei einer Ablehnung früher oder später die Proteste erneut. Es gibt kein Zurück mehr. Vor allem die chilenisch­en Frauen werden nach so vielen Jahren harter Kämpfe bei der Gleichbere­chtigung

nicht mehr zurückstec­ken. Gleiches gilt für die Plurinatio­nalität. Die Rechte behauptet zwar, sie wolle auch eine neue Verfassung, aber sie redet dabei nur von sozialen Rechten. Frauen und Ureinwohne­r

kommen nicht vor.

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