Vorwürfe gegen Regisseur Seidl
Laut „Spiegel“soll es Übergriffe am „Sparta“-Filmset gegeben haben.
WIEN, VENEDIG. Anstatt Vorfreude auf eine österreichische Weltpremiere in Toronto herrscht in der heimischen Filmbranche seit Freitagmittag Bestürzung. Nach Recherchen des „Spiegel“soll es bei
Dreharbeiten zu Ulrich Seidls Film „Sparta“2018 und 2019 in Rumänien zu Unregelmäßigkeiten gegenüber minderjährigen Darstellern
gekommen sein. Es seien gesetzliche Auflagen nicht befolgt worden, die psychologische und pädagogische Betreuung der Buben zwischen 9 und 16 Jahren sei nicht ausreichend gewesen und die Kinder seien ohne ausreichende Vorbereitung mit Alkoholismus, körperlichen Übergriffen und Nacktheit konfrontiert worden.
„Sparta“ist der zweite Teil eines Projekts, das zunächst als überlanger Film unter dem Titel „Böse Spiele“geplant war, über die beiden Söhne eines alten Nazis, die auf unterschiedliche Weise am Leben scheitern. Der erste Teil „Rimini“über den glücklosen Schlagersänger Richie Bravo hatte im Februar
bei der Berlinale seine Premiere und war kurz vor Filmstart im April
bei der Diagonale mit dem Hauptpreis ausgezeichnet worden. „Sparta“handelt nun von Richies Bruder Ewald (gespielt von Georg Friedrich), der in Rumänien als Judotrainer für Buben arbeitet und dabei seine pädophile Neigung entdeckt.
Von diesem Aspekt hätten die Eltern der beteiligten Buben jedoch nichts gewusst, gaben sie gegenüber dem „Spiegel“an. Allein die ökonomische Situation am Drehort deutet auf riskante Machtverhältnisse hin: Während der Mindestlohn in Rumänien bei etwa 400 Euro liegt, bekamen die Kinder für ihre Mitarbeit am Dreh zwischen 50 und 60 Euro am Tag.
Gegen Ende der Dreharbeiten soll es zu unangenehmen Situationen für die Kinder gekommen sein. Für eine Szene etwa sollte ein Laiendarsteller ein Kind fest am Ohr ziehen, für eine weitere Szene sei Hauptdarsteller Georg Friedrich nackt unter der Dusche gestanden, während ein Bub zu ihm geschickt worden sei. Ein Bub aus desolaten Familienverhältnissen soll durch eine Szene so erschreckt worden sein, dass er zu weinen begonnen habe. „Spiegel“-Reporter Bartholomäus Laffert zitiert einen Mitarbeiter des Teams, „dass der
Seidl genau weiß, wie man den M. triggern kann und wie man zu dem Ergebnis kommt, dass es irgendwie emotional wird“. Anlass für die Recherchen war, dass sich
Anfang des Jahres eine Person aus Seidls Team, die bei den Dreharbeiten in Rumänien dabei
war, direkt bei Laffert und seiner Kollegin Pascale Müller gemeldet
hatte, wie Laffert gegenüber den SN bestätigt.
Seidl bezeichnete die Vorwürfe schriftlich als „Zerrbild“: „Immer schon versuche ich in meiner Arbeit, das Widersprüchliche in unserem Handeln und
Denken als Essenz des Menschseins zu ergründen. Mir ist bewusst, dass meine künstlerische
Weltsicht, und wie ich sie in meinen Filmen ausdrücke, nicht zuletzt in krassem Gegensatz steht zu einem gegenwärtigen Zeitgeist, der ein verkürztes, vielfach kontextloses ,Entweder-oder‘
verlangt, wo ein ,Sowohl-alsauch‘ die menschliche Erfahrung deutlich besser beschreibt.“
Seidls Filme waren auf den drei großen Festivals Berlin, Cannes und Venedig im Wettbewerb und haben überall Hauptpreise errungen. Die Weltpremiere von „Sparta“jedoch ist erst für den 9. September beim Toronto Filmfestival angekündigt.