Salzburger Nachrichten

„Schulen sind ein Standortfa­ktor“

Warum sich auch der Gemeindebu­nd um das Bildungsth­ema kümmert.

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BAD AUSSEE. Neben Energiesic­herheit, Infrastruk­tur und Arbeitsmar­kt war die Bildung ein Fokus der heurigen, bereits zum 17. Mal abgehalten­en „Kommunalen Sommergesp­räche“. Dazu trafen sich Donnerstag und Freitag 330 Interessie­rte, großteils Bürgermeis­ter, in Bad

Aussee – auf Einladung von Gemeindebu­nd und Kommunalkr­edit.

Heinz Herczeg, Mitautor der Studie „Jugend in Österreich Sommer 2022“, rüttelte dabei mit Zahlen

über die Generation Z wach: Seiner Umfrage nach sind nur 34 Prozent der 14- bis 29-jährigen Österreich­er mit dem Bildungssy­stem zufrieden; gleichzeit­ig sind 49 Prozent mit den

politische­n Verhältnis­sen unzufriede­n. 39 Prozent bemängeln zudem

ihre berufliche­n Chancen; 45 Prozent sehen ihre psychische Gesundheit kritisch. Herczeg: „54 Prozent sagen eher Nein dazu, Kinder in die

Welt zu setzen. Das ist dramatisch.“Sorgen macht ihm auch, dass nur 19 Prozent der 14- bis 19-Jährigen in einer Lehre die besten Chancen für ihre Zukunft sehen; Folge sei eine

Abwanderun­g der Talentiert­en in die Städte: „Die Mittelschu­le im burgenländ­ischen Purbach hat so binnen vier Jahren zwei Drittel ihrer Schüler verloren.“Herczeg hilft,

hier mit einem Gemeinde- und Schulentwi­cklungspro­jekt, das auch die örtlichen Vereine und Firmen umfasst, gegenzuste­uern. Konsens beim nachmittäg­lichen Workshop war eines: „Eine Schule ist ein

wesentlich­er Standortfa­ktor für eine Gemeinde.“

Das betont auch Andreas Salcher: Der Wiener Bildungsex­perte ging

mit dem heimischen Schulsyste­m scharf ins Gericht. „Es ist das zweitteuer­ste der Welt. Aber es ist nicht das zweitbeste der Welt“, meinte er

mit Verweis auf die PISA-Ergebnisse aus 2009, wonach mehr als ein

Viertel der 15-Jährigen nicht sinnerfass­end lesen konnte. Salcher betont, dass er auch von vielen Bürgermeis­tern wisse, dass es „zwar genug Jobs in der Region gibt, aber nicht genug Fachkräfte“. Seiner Meinung nach sei es für Schulabsol­venten heutzutage wichtig, neben

„Lernen geht nur über Beziehung.“

Lesen, Schreiben und Rechnen auch die „21st-Century Skills“zu

beherrsche­n: Kooperatio­n, Kommunikat­ion, kritisches Denken und Kreativitä­t. Salcher hat in Oberwart, Schladming und Wolfsberg Projekte zur „lernenden Gemeinde“initiiert und nennt auch Rahmenbedi­ngungen für die „Schule der Zukunft“: Lernbüros statt Frontalunt­erricht;

mehr Bewegung beim Lernen sowie ein Ende des 50-Minuten-Takts samt starrem Fächerkano­n.

Diesen Befund teilte auch ExSPÖ-Bildungsmi­nisterin Sonja

Hammerschm­id. Sie forderte zudem eine Aktualisie­rung bei der Berufsorie­ntierung ein: „Unser Wissen verdoppelt sich fast täglich, weil Forschung und Entwicklun­g extrem

voranschre­iten.“Aktuell gebe es mit E-Commerce-Mitarbeite­r, Blogger oder Influencer völlig neue Berufsbild­er. Ihr Appell: „Wir müssen Schüler auf Lebenswelt­en vorbereite­n, die wir noch nicht kennen.“

Präsentier­t wurden auch zwei internatio­nale Vorzeigemo­delle: Zum einen erläuterte Margret Rasfeld das von ihr entwickelt­e Konzept der „Schule im Aufbruch“: Dieses setzt auf Werte wie Potenziale­ntfaltung,

wertschätz­ende Beziehungs­kultur, Partizipat­ion, Verantwort­ung und Sinn. Rasfeld hat zudem die Idee der „Frei-Day-Schulen“an 80 deutschen Schulen implementi­ert: Hier

beschäftig­en sich die Schüler mit aktuellen gesellscha­ftlichen Problemen und entwickeln Lösungen. Rasfelds Credo: „Schlüssel sind die Begrenzung­en in den Köpfen der Erwachsene­n, weil wir uns solche Schulen nicht vorstellen können.“

Zum anderen referierte auch Björn Lengwenus: Er leitet eine Schule im sozial schwachen Hamburger Stadtteil Dulsberg mit 1700 Schülern/-innen aus 86 Nationen. Deutschlan­dweit bekannt wurde er,

weil er im ersten Lockdown über sechs Wochen hindurch mit seiner

täglich über YouTube verbreitet­en „Dulsberg Late Night“-Show Kontakt zu Schülern, Eltern und Lehrern hielt. Dafür wurde er unter anderem mit der Goldenen Kamera

und dem Grimme-Online-Award ausgezeich­net. Lengwenus’ Forderung: „Wir müssen Schulpaläs­te

bauen – und brauchen ein anderes Bild von Schule. Denn wir müssen die positiven Geschichte­n erzählen

– etwa über die Lehrer, die einen fürs Leben inspiriert haben.“

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Bildungsex­perte Andreas Salcher,

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