Über das Wesen der Spekulation und ihren schlechten Ruf
Dass über die Gründe der Finanznot der Wien Energie – war es Spekulation? – munter spekuliert wird, gibt dem Fall eine ironische Note.
Seit die Wien Energie über das Wochenende wegen ihrer Geschäfte an der Leipziger Strombörse in finanzielle Bedrängnis geriet und sich das Land Wien um Hilfe an den Bund wenden
musste, hat sich die Mutmaßung, hier seien Spekulanten am Werk gewesen, verselbstständigt. Ergo wird seit Tagen vom Finanzminister abwärts darüber spekuliert, ob sich die Händler bei der Wien Energie verspekuliert haben.
Im umgangssprachlichen Verständnis kann man „spekulieren“gleichsetzen mit „nichts wissen, aber den gegenteiligen Eindruck erwecken
wollen“. Dieses Prinzip ist in der Politik gang und gäbe. Es wird immer dann angewendet,
wenn es an Fakten und sachlicher Argumentation gebricht, aber man einer Debatte, im Wissen, dass im Gedächtnis der Menschen immer etwas hängen bleibt, einen Drall geben will.
Bis zum Beweis des Gegenteils – Rechnungshof und Wirtschaftsprüfer werden das hoffentlich zweifelsfrei klären können – gibt es bisher kaum Grund zur Annahme, dass bei der Wien Energie im engeren Sinne des Begriffes spekuliert
wurde. Also etwa, dass versucht wurde, über hochriskante Finanzgeschäfte zusätzliche Gewinne aus dem Energiehandel zu ziehen.
Eher verdichten sich Hinweise, dass man das Risiko im Kerngeschäft, des Handels von Energie an der Börse, unterschätzt und Preissprünge wie jenen am Freitag voriger Woche für ausgeschlossen gehalten hat. An der Börse darf man aber nichts ausschließen und muss vorsichtshalber mit dem Schlimmsten rechnen.
Zudem hat man bei der Wien Energie darauf gesetzt, dass im Zweifel von irgendwo Geld
kommen wird, um die nötigen finanziellen Sicherheiten, die an der Börse zu hinterlegen sind, bereitstellen zu können. Darauf lässt sich
leichter vertrauen, wenn man einen öffentlichen Eigentümer mit hoher Bonität im Rücken
hat, der über beinahe unbegrenzte Möglichkeiten verfügt, sich zu verschulden. Und erst
recht darf man sich in der Sicherheit wiegen, dass man als Energieversorger einer Zwei-Millionen-Einwohner-Stadt too big to fail ist und daher in jedem Fall vor dem Untergang be
wahrt wird. Das war möglicherweise kalkulierte Blauäugigkeit, hat aber mit Spekulation, wie sie gemeinhin verstanden wird, nichts zu tun.
Abseits vom Fall Wien Energie ist festzustellen, dass dem Spekulieren ein schlechter Ruf anhaftet. Dabei wird freilich übersehen, dass
Spekulanten, die auf das Auf und Ab von Preisen und Kursen wetten, eine wichtige Funktion haben, weil sie in beiden Fällen durch ihr Verhalten dafür sorgen, dass sich Angebot und Nachfrage bei einem Gleichgewichtspreis einpendeln. Ob man sich das Spekulieren leisten kann, hat Börsenexperte André Kostolany einst so in Worte gefasst: „Wer viel Geld hat, kann spekulieren. Wer wenig Geld hat, darf nicht spekulieren. Wer kein Geld hat, muss spekulieren.“Auf die Ereignisse bei der Wien Energie
und ihre Aufarbeitung umgelegt, könnte man es auch so sagen: Wer alles weiß, kann spekulieren. Wer wenig weiß, sollte nicht spekulieren. Wer gar nichts weiß, muss spekulieren.