Salzburger Nachrichten

Über das Wesen der Spekulatio­n und ihren schlechten Ruf

Dass über die Gründe der Finanznot der Wien Energie – war es Spekulatio­n? – munter spekuliert wird, gibt dem Fall eine ironische Note.

- Richard Wiens

Seit die Wien Energie über das Wochenende wegen ihrer Geschäfte an der Leipziger Strombörse in finanziell­e Bedrängnis geriet und sich das Land Wien um Hilfe an den Bund wenden

musste, hat sich die Mutmaßung, hier seien Spekulante­n am Werk gewesen, verselbsts­tändigt. Ergo wird seit Tagen vom Finanzmini­ster abwärts darüber spekuliert, ob sich die Händler bei der Wien Energie verspekuli­ert haben.

Im umgangsspr­achlichen Verständni­s kann man „spekuliere­n“gleichsetz­en mit „nichts wissen, aber den gegenteili­gen Eindruck erwecken

wollen“. Dieses Prinzip ist in der Politik gang und gäbe. Es wird immer dann angewendet,

wenn es an Fakten und sachlicher Argumentat­ion gebricht, aber man einer Debatte, im Wissen, dass im Gedächtnis der Menschen immer etwas hängen bleibt, einen Drall geben will.

Bis zum Beweis des Gegenteils – Rechnungsh­of und Wirtschaft­sprüfer werden das hoffentlic­h zweifelsfr­ei klären können – gibt es bisher kaum Grund zur Annahme, dass bei der Wien Energie im engeren Sinne des Begriffes spekuliert

wurde. Also etwa, dass versucht wurde, über hochriskan­te Finanzgesc­häfte zusätzlich­e Gewinne aus dem Energiehan­del zu ziehen.

Eher verdichten sich Hinweise, dass man das Risiko im Kerngeschä­ft, des Handels von Energie an der Börse, unterschät­zt und Preissprün­ge wie jenen am Freitag voriger Woche für ausgeschlo­ssen gehalten hat. An der Börse darf man aber nichts ausschließ­en und muss vorsichtsh­alber mit dem Schlimmste­n rechnen.

Zudem hat man bei der Wien Energie darauf gesetzt, dass im Zweifel von irgendwo Geld

kommen wird, um die nötigen finanziell­en Sicherheit­en, die an der Börse zu hinterlege­n sind, bereitstel­len zu können. Darauf lässt sich

leichter vertrauen, wenn man einen öffentlich­en Eigentümer mit hoher Bonität im Rücken

hat, der über beinahe unbegrenzt­e Möglichkei­ten verfügt, sich zu verschulde­n. Und erst

recht darf man sich in der Sicherheit wiegen, dass man als Energiever­sorger einer Zwei-Millionen-Einwohner-Stadt too big to fail ist und daher in jedem Fall vor dem Untergang be

wahrt wird. Das war möglicherw­eise kalkuliert­e Blauäugigk­eit, hat aber mit Spekulatio­n, wie sie gemeinhin verstanden wird, nichts zu tun.

Abseits vom Fall Wien Energie ist festzustel­len, dass dem Spekuliere­n ein schlechter Ruf anhaftet. Dabei wird freilich übersehen, dass

Spekulante­n, die auf das Auf und Ab von Preisen und Kursen wetten, eine wichtige Funktion haben, weil sie in beiden Fällen durch ihr Verhalten dafür sorgen, dass sich Angebot und Nachfrage bei einem Gleichgewi­chtspreis einpendeln. Ob man sich das Spekuliere­n leisten kann, hat Börsenexpe­rte André Kostolany einst so in Worte gefasst: „Wer viel Geld hat, kann spekuliere­n. Wer wenig Geld hat, darf nicht spekuliere­n. Wer kein Geld hat, muss spekuliere­n.“Auf die Ereignisse bei der Wien Energie

und ihre Aufarbeitu­ng umgelegt, könnte man es auch so sagen: Wer alles weiß, kann spekuliere­n. Wer wenig weiß, sollte nicht spekuliere­n. Wer gar nichts weiß, muss spekuliere­n.

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