Salzburger Nachrichten

Dürfen Politikeri­nnen nicht tanzen?

Ein Video löst eine Debatte aus. Ob Politiker in ihrer Freizeit in die Oper oder in die Disco gehen, muss egal sein.

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Als vor etwa zwei Wochen private Videos der finnischen Ministerpr­äsidentin Sanna Marin ungewollt publik wurden, war die Aufregung und Kritik in einigen Medien groß. Die bei ihrem

Amtsantrit­t im Jahr 2019 mit 34 Jahren jüngste Regierungs­chefin der Welt postet bewusst immer wieder Bilder und Videos, welche sie umgeben

von jungen Menschen zeigen – etwa auf einem Rockfestiv­al oder in Discos.

Aber ist es wirklich so schlimm für Staaten, wenn eine Premiermin­isterin ausgelasse­n feiert? Schaden solche Partyclips dem souveränen Bild einzelner Nationen auf der internatio­nalen Bühne wirklich so sehr?

Natürlich gibt es eine rote Linie, die man als Premiermin­isterin nicht überschrei­ten darf. Aber das ist in diesem Fall anscheinen­d ja überhaupt nicht passiert. Sanna Marin betont, dass sie nichts Falsches oder Illegales gemacht hat, dass es sich um ihr Privatlebe­n handelt und dass sie ihre Arbeit dadurch in keiner Art und Weise vernachläs­sigt hat. Sie entschuldi­gte sich sogar für ein privates Video, das von jemand anderem

ungefragt veröffentl­icht wurde! Viele – nicht nur junge – Finninnen und Finnen sehen das alles zum Glück sehr entspannt und stehen hinter ihrer Ministerpr­äsidentin. Sie sind mit ihrer Arbeit sehr zufrieden.

Alle haben das Recht auf Privatlebe­n

Ich finde es äußerst wichtig, das Privatlebe­n

von in der Öffentlich­keit stehenden Personen zu respektier­en. Alle Menschen haben das Recht auf ein Privatlebe­n. Und wie wäre die Reaktion ausgefalle­n, hätte es sich um einen männlichen Ministerpr­äsidenten gehandelt? Ich bin mir sicher, dass bei männlichen oder älteren Politikern hier die öffentlich­e Toleranzgr­enze viel höher liegt. Darüber müssen wir uns auch einmal bewusst werden.

Ich würde sogar so weit gehen und behaupten, dass wir mehr Politiker und Politikeri­nnen bräuchten, die sich auch mit jungen Menschen umgeben und sich deren Sorgen und Probleme wirklich zu Herzen nehmen. Es gibt viel tiefgreife­ndere Probleme in Europa, die wir ernsthaft einmal benennen und zu lösen anfangen müssen. Ob eine junge Politikeri­n in Finnland ausgelasse­n feiert, ist doch in Wahrheit nebensächl­ich. Vielleicht sollten sich sogar viel mehr Menschen aus der Politik einmal trauen, mitten unter jungen Leuten zu feiern.

Das Wichtige ist doch im Grunde, dass Politikeri­nnen und Politiker ihre Arbeit gewissenha­ft

und ordentlich machen, dass sie den Mut haben, auch tiefgreife­nde Probleme anzusprech­en und anzupacken, Verantwort­ung übernehmen und vor allem Ehrlichkei­t großschrei­ben.

Ob man dabei nun aber in seiner Freizeit in einer Oper sitzt oder in einer Disco mit Freunden feiert, muss egal sein.

Armin Brandstätt­er ist 22 Jahre alt, kommt aus

St. Michael im Lungau und

studiert im sechsten Semester Architektu­r in

Graz.

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