Sind die Festspiele eine Frage des Alters?
„Wenger langweilt sich in der Oper zu
Tode. Das ist ja der schlimmste Teil an den Salzburger Festspielen, dass man tatsächlich Aufführungen besuchen
muss. Die Leute kommen wegen des roten Teppichs, wegen der Paparazzi, um aus der Kronen Zeitung zu grinsen am nächsten Tag, sie kommen wegen der
Aftershow-Trinkrunden im Triangel und im St. Peter Stiftskulinarium, wegen der Inszenierungen kommen sie nicht. Gibt
halt nur keiner zu, dass man da drinsitzt und das Gähnen unterdrückt, weil man sich furchtbar fadisiert. Das einzig Verlässliche an der Oper ist, dass am Ende alle tot sind, darauf wartet er jetzt.“
Diese fies-ironischen Gedanken stammen vom Schriftsteller Maximilian
Wenger. Er ist eine der Hauptfiguren in meinem Roman „Das Licht ist hier viel heller“aus dem Jahr 2019. Der Wenger
war mal begehrt und erfolgreich, jetzt ist er allein und grantig. Mitte fünfzig
und finanziell gut aufgestellt, entspricht er dem Bild, das wir vom typischen Festspielgast haben. Aber: Er ist erfunden.
Deshalb rufe ich jene Menschen aus meinem Umfeld an, von denen ich weiß, dass sie sich auch in diesem Jahr das gerade zu Ende gegangene Festspielvergnügen gegönnt haben: meinen Vater und seine Frau. Sie sind knapp sechzig, und ich möchte von ihnen wissen, warum zu den Salzburger Festspielen so wenig junge Leute gehen. „Das Festspielpublikum war immer schon alt, das ist nicht erst seit heute so“, antworten sie, „klassische Musik interessiert nicht die
breite Masse, das lässt sich überall beobachten.“Im Gegensatz zum Wenger haben sie sich in den Aufführungen nicht fadisiert: „Man bekommt Kunstgenuss auf einem sehr hohen Level, dazu Innovation und ein Quäntchen Überraschung. Das macht die Festspiele einzigartig.“Und wie steht es mit dem AdabeiFaktor?
„Die Leute, die wegen des StarAufmarschs kommen und nur mal dabei sein möchten“, sagen meine innerfamiliären Festspielgänger, „die sind nicht zu halten. Es braucht Liebe zur Musik und ein gewisses Gehör. Man muss infiziert sein.“
Das kann ich nachvollziehen und frage mich nun: Kommt diese Liebe erst mit dem Alter? Muss ich nur noch ein
bisserl warten, dann hab ich doch mal Lust auf den „Jedermann“? Es gab auch
heuer ein Kinder- und Jugendprogramm mit Vorführungen für Schulklassen, dem Siemens Kinderfestival und vergünstigten Karten für alle unter 27. Aber Kinder entscheiden sich nicht aktiv für diese Veranstaltungen, das tun die Schulen und Eltern.
Und was ist mit jenen, die älter sind als 27 und jünger als der Wenger, fällt diese Generation – also ich – raus? Ich
überlege weiter. Was braucht es, damit man sich in die Felsenreitschule setzt
und die Neuinszenierung von „Herzog Blaubarts Burg“auf Ungarisch anschaut (der Höchstpreis für eine Karte lag bei 455 Euro). Zeit. Geld. Interesse. Ich glaube, dass kaum Menschen Mitte zwanzig oder Mitte dreißig die Salzburger Festspiele besuchen, ist unter anderem ein
Prioritätenproblem, eine Frage der Kapazitäten, des Energiehaushalts. Hätte ich
mich diesen Sommer mit einer Oper auseinandersetzen, das Engagement und das Budget aufbringen, die Kinderbetreuung organisieren und stundenlang ruhig zuhören müssen, hätte ich das als zusätzliche Belastung empfunden. Ich kann mir allerdings vorstellen, das in zwanzig Jahren zu tun, wenn meine Kinder aus dem Haus sind, die Ressourcen Zeit, Geld und Energie wieder
frei werden. Für Kunstgenuss braucht es Ruhe, und die hat man in dieser Hochphase von Care-Arbeit und Erwerbsarbeit selten bis nie. Sie wird aber früher oder später kommen: Es heißt ja nicht
umsonst Ruhestand. Den kann man auch sitzend verbringen, im Großen
Festspielhaus.