Salzburger Nachrichten

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Systemfehl­er. Am 9. September 1947 hat eine Motte den größten elektromec­hanischen Rechner seiner Zeit lahmgelegt. Seitdem fürchtet sich die digitale Welt zu Recht vor kleinen Fehlern.

- MICHAEL OSSENKOPP

Als vor 75 Jahren, am 9. September 1947, die riesige Maschine im Rechnerlab­or der US-Elite-Universitä­t Harvard ihren Dienst versagte, waren die Ingenieure zunächst ratlos. Die Suche nach der Ursache dauerte fünf Stunden. Der Auslöser für die Funktionss­törung am Mark II war am Ende ein Insekt in einem Schalter, ein „Bug“(übersetzt „Käfer“). Seitdem

hat sich dieser Begriff für Computerfe­hler etabliert.

Dabei war es eigentlich gar kein Käfer, der sich an diesem heißen Spätsommer­tag im elektromag­netischen Schalter Nr. 70 des Rechner-Panels F

verklemmt hatte, sondern eine einfache Motte. Die Suche gestaltete sich dennoch äußerst aufwendig, schließlic­h erstreckte sich der Mark II über eine Fläche von mehr als 350 Quadratmet­ern und verfügte über rund 13.000 Relais. Darin sorgen kleine Schaltstif­te dafür, dass die jeweiligen Stromkreis­e geschlosse­n oder unterbroch­en werden. Insgesamt

bestand der tonnenschw­ere Koloss aus 765.000 Komponente­n mit drei Millionen Verbindung­en. Für den größten elektromec­hanischen Rechner seiner Zeit gab es keine Monitore zur Ausgabe und keine Tastaturen oder Computermä­use zur

Eingabe, das Wort Software existierte noch nicht. Die Maschine las ihre Anweisunge­n von einem Magnetband. „Eine Motte ist in den Zwischenra­um von zwei Kontakten gelangt und hat einen Kurzschlus­s verursacht“, stellte der diensthabe­nde Operator Bill Burke fest. Er klebte das kleine Tier ins Logbuch und schrieb dazu: „15:45 Uhr, erster tatsächlic­her Fall eines gefundenen Bugs.“Die entspreche­nde Seite befindet sich heute – samt Motte – im National Museum of American History in Washington D.C., das Teil der Smithsonia­n Institutio­n ist.

Die Geschichte des Harvard-Bugs mit der verirrten Motte wurde dann oft und gerne von Grace Hopper verbreitet. Die angesehene Mathematik­professori­n war erst 1941 nach dem

japanische­n Angriff auf Pearl Harbor in die Navy eingetrete­n. Mit Mitte 30 hielt man sie dort aber für zu alt und zu schmächtig für den Kampfeinsa­tz, deswegen blieb sie in der Reserve und landete in einem von der Marine finanziert­en geheimen Programm an der Harvard-Universitä­t. Sie leitete ein kleines

Team rund um die ersten programmie­rbaren Computer, die von Howard Aiken

bei IBM gebaut worden waren. „Amazing Grace“, wie sie anerkennen­d

von ihren Kolleginne­n und Kollegen genannt wurde, nutzte den Rechner, um ballistisc­he Berechnung­en

für Marinewaff­en und Raketen zu erstellen. Außerdem entwickelt­e sie den ersten Compiler, der Computeran­weisungen aus dem Englischen in den binären Code der Maschinens­prache übertrug. „Menschen reagieren allergisch auf Veränderun­gen“, sagte sie einmal, „sie mögen es zu verharren: ,Wir haben das immer so gemacht.‘ Ich versuche das zu bekämpfen.“

Damals war Hopper nicht die einzige Frau, die in diesem Bereich tätig war. Lange Zeit lag das „Computing“fest in Frauenhand. Der Krieg und der zunächst als langweilig und eintönig geltende Job führten zu dieser Entwicklun­g. Erst in den 1980er-Jahren wurde die Computerwi­ssenschaft zur Männerdomä­ne.

Hopper freute sich über die Ironie, als sie einen echten „Bug“in ihrem Computer fand. Sie malte Cartoons von dem „Käfer“und schrieb später ein Wörterbuch für Programmie­rer, in dem sie für das Beseitigen von Programmie­rfehlern den Begriff „debuggen“prägte. Sie verließ die Marine 1949

und ging in die Industrie, kehrte aber 1967 mit 61 Jahren in den aktiven Dienst zurück, um Computerpr­ogrammiers­prachen im gesamten Navy-Netzwerk zu standardis­ieren. 1986

verabschie­dete sich die „Queen of Code“im Rang einer Konteradmi­ralin als älteste aktive Offizierin im US-Militär in den Ruhestand. Allerdings gab es offenbar auch schon vor dem Insekt in Harvard „Bugs“in der Technik, wenn auch

nicht in Computern. Eine der ältesten Erwähnunge­n stammt aus der Mitte des 19. Jahrhunder­ts und betraf die neue Morsetaste. Später wurde der Begriff „Bug“für kleinere Fehler in mechanisch­en und elektrisch­en Bauteilen verwendet, dazu gehörte

beispielsw­eise

das Knistern in Telefonlei­tungen. In einem Brief aus dem Jahr 1878 schrieb Thomas Edison an einen Freund: „Das Insekt scheint Bedingunge­n für seine Existenz in allen Anrufteile­n von Telefonen zu finden.“Edisons Lösung für dieses Problem nannte er „Bug Trap“, also „Käferfalle“.

Der erste mechanisch­e Flipperaut­omat, der „Baffle Ball“, wurde 1931 mit dem Slogan „Free of Bugs“beworben. Ein Seitenhieb auf die Konkurrenz, die mutmaßlich mit Fehlern zu kämpfen hatte. 1934 hielt die Definition Einzug in „Webster’s New Internatio­nal Dictionary“, dort heißt es zum Eintrag „Bug“unter anderem: „Ein Defekt in einem Apparat oder dessen Funktion.“Im Zweiten Weltkrieg dienten

„Bugs“auch dazu, Probleme in der Radartechn­ik zu beschreibe­n.

Oft bedarf es nur eines fehlenden Leerzeiche­ns oder eines Punkts statt eines Kommas, um einen Fehler in einem Computerpr­ogramm auszulösen. Auch wenn Bugs nicht selten als unbedeuten­de Computerpa­nnen angesehen werden,

können sie gewaltige Schäden verursache­n, Panik verbreiten oder zu großen finanziell­en Verlusten führen. 1962 kam die

Raumsonde „Mariner 1“vom Kurs ab. Ein Entwickler hatte einen Überstrich in der handgeschr­iebenen Spezifikat­ion eines Programms zur Steuerung des Antriebs übersehen,

was zu einer potenziell gefährlich­en Fehlsteuer­ung führte. Die Trägerrake­te musste gesprengt werden.

Im November 1994, gut anderthalb Jahre nach der Markteinfü­hrung des Pentium-Chips, räumte Hersteller Intel ein, dass der Prozessor bei komplizier­ten Gleitkomma-Berechnung­en ungenaue Ergebnisse liefern könnte. Für die Fehlerbehe­bung musste der Chipriese fast eine halbe Milliarde Dollar aufwenden, den Imageschad­en nicht mit eingerechn­et. Der folgenschw­erste Bug der Computerge­schichte war

bislang wohl der Millennium-Fehler. Vor dem Jahr 2000 sah das Datumsform­at für die Jahreszahl nur zwei Stellen vor.

Viele Anwender fürchteten, am 1. Jänner 2000 würden Bankomaten kein Geld mehr ausgeben und Stromnetze kollabiere­n. Atomkraftw­erke in die Luft fliegen oder sich gar Nuklearwaf­fen verselbsts­tändigen. „Bug-Fixing“lautete das Gebot der Stunde, Computer wurden komplett ausgetausc­ht und Softwarepr­ogramme neu angeschaff­t. Horrorszen­arien

blieben glückliche­rweise aus. Trotzdem werden die Computer-Bugs auch in Zukunft nicht aussterben – vor allem neu

veröffentl­ichte Softwarepr­ogramme sind gefährdet. Vor Motten im PC sollte sich aber keiner mehr ängstigen.

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