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Systemfehler. Am 9. September 1947 hat eine Motte den größten elektromechanischen Rechner seiner Zeit lahmgelegt. Seitdem fürchtet sich die digitale Welt zu Recht vor kleinen Fehlern.
Als vor 75 Jahren, am 9. September 1947, die riesige Maschine im Rechnerlabor der US-Elite-Universität Harvard ihren Dienst versagte, waren die Ingenieure zunächst ratlos. Die Suche nach der Ursache dauerte fünf Stunden. Der Auslöser für die Funktionsstörung am Mark II war am Ende ein Insekt in einem Schalter, ein „Bug“(übersetzt „Käfer“). Seitdem
hat sich dieser Begriff für Computerfehler etabliert.
Dabei war es eigentlich gar kein Käfer, der sich an diesem heißen Spätsommertag im elektromagnetischen Schalter Nr. 70 des Rechner-Panels F
verklemmt hatte, sondern eine einfache Motte. Die Suche gestaltete sich dennoch äußerst aufwendig, schließlich erstreckte sich der Mark II über eine Fläche von mehr als 350 Quadratmetern und verfügte über rund 13.000 Relais. Darin sorgen kleine Schaltstifte dafür, dass die jeweiligen Stromkreise geschlossen oder unterbrochen werden. Insgesamt
bestand der tonnenschwere Koloss aus 765.000 Komponenten mit drei Millionen Verbindungen. Für den größten elektromechanischen Rechner seiner Zeit gab es keine Monitore zur Ausgabe und keine Tastaturen oder Computermäuse zur
Eingabe, das Wort Software existierte noch nicht. Die Maschine las ihre Anweisungen von einem Magnetband. „Eine Motte ist in den Zwischenraum von zwei Kontakten gelangt und hat einen Kurzschluss verursacht“, stellte der diensthabende Operator Bill Burke fest. Er klebte das kleine Tier ins Logbuch und schrieb dazu: „15:45 Uhr, erster tatsächlicher Fall eines gefundenen Bugs.“Die entsprechende Seite befindet sich heute – samt Motte – im National Museum of American History in Washington D.C., das Teil der Smithsonian Institution ist.
Die Geschichte des Harvard-Bugs mit der verirrten Motte wurde dann oft und gerne von Grace Hopper verbreitet. Die angesehene Mathematikprofessorin war erst 1941 nach dem
japanischen Angriff auf Pearl Harbor in die Navy eingetreten. Mit Mitte 30 hielt man sie dort aber für zu alt und zu schmächtig für den Kampfeinsatz, deswegen blieb sie in der Reserve und landete in einem von der Marine finanzierten geheimen Programm an der Harvard-Universität. Sie leitete ein kleines
Team rund um die ersten programmierbaren Computer, die von Howard Aiken
bei IBM gebaut worden waren. „Amazing Grace“, wie sie anerkennend
von ihren Kolleginnen und Kollegen genannt wurde, nutzte den Rechner, um ballistische Berechnungen
für Marinewaffen und Raketen zu erstellen. Außerdem entwickelte sie den ersten Compiler, der Computeranweisungen aus dem Englischen in den binären Code der Maschinensprache übertrug. „Menschen reagieren allergisch auf Veränderungen“, sagte sie einmal, „sie mögen es zu verharren: ,Wir haben das immer so gemacht.‘ Ich versuche das zu bekämpfen.“
Damals war Hopper nicht die einzige Frau, die in diesem Bereich tätig war. Lange Zeit lag das „Computing“fest in Frauenhand. Der Krieg und der zunächst als langweilig und eintönig geltende Job führten zu dieser Entwicklung. Erst in den 1980er-Jahren wurde die Computerwissenschaft zur Männerdomäne.
Hopper freute sich über die Ironie, als sie einen echten „Bug“in ihrem Computer fand. Sie malte Cartoons von dem „Käfer“und schrieb später ein Wörterbuch für Programmierer, in dem sie für das Beseitigen von Programmierfehlern den Begriff „debuggen“prägte. Sie verließ die Marine 1949
und ging in die Industrie, kehrte aber 1967 mit 61 Jahren in den aktiven Dienst zurück, um Computerprogrammiersprachen im gesamten Navy-Netzwerk zu standardisieren. 1986
verabschiedete sich die „Queen of Code“im Rang einer Konteradmiralin als älteste aktive Offizierin im US-Militär in den Ruhestand. Allerdings gab es offenbar auch schon vor dem Insekt in Harvard „Bugs“in der Technik, wenn auch
nicht in Computern. Eine der ältesten Erwähnungen stammt aus der Mitte des 19. Jahrhunderts und betraf die neue Morsetaste. Später wurde der Begriff „Bug“für kleinere Fehler in mechanischen und elektrischen Bauteilen verwendet, dazu gehörte
beispielsweise
das Knistern in Telefonleitungen. In einem Brief aus dem Jahr 1878 schrieb Thomas Edison an einen Freund: „Das Insekt scheint Bedingungen für seine Existenz in allen Anrufteilen von Telefonen zu finden.“Edisons Lösung für dieses Problem nannte er „Bug Trap“, also „Käferfalle“.
Der erste mechanische Flipperautomat, der „Baffle Ball“, wurde 1931 mit dem Slogan „Free of Bugs“beworben. Ein Seitenhieb auf die Konkurrenz, die mutmaßlich mit Fehlern zu kämpfen hatte. 1934 hielt die Definition Einzug in „Webster’s New International Dictionary“, dort heißt es zum Eintrag „Bug“unter anderem: „Ein Defekt in einem Apparat oder dessen Funktion.“Im Zweiten Weltkrieg dienten
„Bugs“auch dazu, Probleme in der Radartechnik zu beschreiben.
Oft bedarf es nur eines fehlenden Leerzeichens oder eines Punkts statt eines Kommas, um einen Fehler in einem Computerprogramm auszulösen. Auch wenn Bugs nicht selten als unbedeutende Computerpannen angesehen werden,
können sie gewaltige Schäden verursachen, Panik verbreiten oder zu großen finanziellen Verlusten führen. 1962 kam die
Raumsonde „Mariner 1“vom Kurs ab. Ein Entwickler hatte einen Überstrich in der handgeschriebenen Spezifikation eines Programms zur Steuerung des Antriebs übersehen,
was zu einer potenziell gefährlichen Fehlsteuerung führte. Die Trägerrakete musste gesprengt werden.
Im November 1994, gut anderthalb Jahre nach der Markteinführung des Pentium-Chips, räumte Hersteller Intel ein, dass der Prozessor bei komplizierten Gleitkomma-Berechnungen ungenaue Ergebnisse liefern könnte. Für die Fehlerbehebung musste der Chipriese fast eine halbe Milliarde Dollar aufwenden, den Imageschaden nicht mit eingerechnet. Der folgenschwerste Bug der Computergeschichte war
bislang wohl der Millennium-Fehler. Vor dem Jahr 2000 sah das Datumsformat für die Jahreszahl nur zwei Stellen vor.
Viele Anwender fürchteten, am 1. Jänner 2000 würden Bankomaten kein Geld mehr ausgeben und Stromnetze kollabieren. Atomkraftwerke in die Luft fliegen oder sich gar Nuklearwaffen verselbstständigen. „Bug-Fixing“lautete das Gebot der Stunde, Computer wurden komplett ausgetauscht und Softwareprogramme neu angeschafft. Horrorszenarien
blieben glücklicherweise aus. Trotzdem werden die Computer-Bugs auch in Zukunft nicht aussterben – vor allem neu
veröffentlichte Softwareprogramme sind gefährdet. Vor Motten im PC sollte sich aber keiner mehr ängstigen.