Suizid Kirche und Islam über assistierten
In Österreich ist der assistierte Suizid seit Jahresbeginn erlaubt. Theologisch-ethische Stellungnahmen der katholischen Kirche formulieren strikte Ablehnung oder Skepsis. Religiöse Argumentation mischt sich dabei mit sozialethischen Bedenken.
ANGELIKA WALSER
Mit dem Sterbeverfügungsgesetz vom 1. Jänner 2022 wurde der assistierte Suizid, das heißt die Beihilfe zur Selbsttötung, in Österreich offiziell erlaubt. Laut dem neuen Gesetz muss die sterbewillige Person an
einer unheilbaren, zum Tod führenden oder an einer schweren dauerhaften Krankheit
mit anhaltenden Symptomen leiden, welche sie in ihrer Lebensführung erheblich beeinträchtigen. Die Person muss volljährig und zweifelsfrei entscheidungsfähig sein. Eine andere Person, z. B. ein Arzt, eine Ärztin oder nahe Angehörige, besorgen das Sterbepräparat, der bzw. die Sterbewillige nimmt es dann selbst ein.
In aktuellen offiziellen Stellungnahmen der katholischen Amtskirche wie „Samaritanus Bonus“(2020), einem Schreiben der
römischen Glaubenskongregation, wird die Legalisierung des assistierten Suizids als „schwer ungerecht“bezeichnet. Zwar sei die
individuelle Schuld dessen, der sich das Leben nehme, angesichts von Angst und
Verzweiflung gemindert oder gar nicht existent, doch ändere das nichts am grundsätzlichen Urteil: Der Suizid selbst und die Mitwirkung an dieser vorsätzlichen und direkten Tötungshandlung gelten als schwere Sünde gegen das menschliche Leben und als Verstoß gegen die Menschenwürde. Sie
widersprechen der Beziehung zu Gott, der Selbst- und der Nächstenliebe.
Abgesehen von der kühl-unbarmherzigen Sprache der Verbotsnormen, die auch
katholische Gläubige und Seelsorgerinnen und Seelsorger an solchen Dokumenten oft
befremdet, ist theologische Kritik notwendig: Von der (Selbst-)Verantwortung des Menschen ist hier nirgendwo ansatzweise
die Rede. Es dominiert das mittelalterliche Gottesbild eines Lehnsherrn, dessen Souveränität mit der Eigenmächtigkeit seines Geschöpfes in Konkurrenz gerät. Augustinus
hat das sogenannte Souveränitätsargument in seiner Schrift „De civitate Dei“ebenso angeführt wie Thomas von
Aquin in seiner „Summa theologica“, Letzterer unter Berufung auf die Heilige Schrift: „Ich bin es, der tötet und der lebendig macht“(Deuteronomium 32,39). Nicht nur katholische Christen zitieren es
bis heute und bringen damit eine spirituellreligiöse Grundhaltung zum Ausdruck, die
bewusst auf die Illusion verzichtet, als Mensch in den überaus heiklen Grenzfragen der Lebensethik über alles im Voraus verfügen zu können oder zu müssen.
Ein säkularer Staat im 21. Jahrhundert kann allerdings nicht damit rechnen, dass sich jeder einer solchen Grundhaltung anschließt, und so bringt die theologische
Ethik bei allem Respekt vor der Letztentscheidung einzelner Personen vor allem sozialethische Argumente in die öffentliche
Diskussion ein: Schrift und Tradition bezeugen gleichermaßen, dass (assistierter) Suizid immer auch die Gemeinschaft tangiert. Ein Blick in einige europäische Nachbarstaaten wie die Niederlande oder Belgien zeigt, wie Tötung auf Verlangen und assistierter Suizid zur Normalität werden.
Der soziale Druck auf schwer kranke Menschen wächst, ihrem Leiden (und dem
Leiden der Menschen, die sie lieben) ein rasches Ende zu bereiten, indem sie assistierten Suizid beanspruchen. Er wächst insbesondere in einer Leistungsgesellschaft, die
bislang keine Antwort auf den Mangel an medizinischem Personal und Pflegepersonal gefunden hat und deren Anteil an alten Menschen rasant steigt. Ob und wie lange Menschen also wirklich selbstbestimmt Hilfe beim Suizid beanspruchen, wird sich zeigen. Hier ist äußerste
Wachsamkeit geboten.
MOUHANAD KHORCHIDE
Die Frage nach dem assistierten Suizid wird sowohl in der klassischen als auch der zeitgenössischen islamischen Lehre mit einem klaren Verbot beantwortet. Der assistierte Suizid wird als Mord eingestuft. Einige Schulen verlangen sogar eine Strafe für alle Beteiligten an diesem vermeintlichen Mord, die
bis zur Todesstrafe reicht. Diese Haltung wird in der Regel mit vier Argumenten begründet: 1. Der Koran verbiete Mord an mehreren Stellen unmissverständlich (z. B. Sure 4, Vers 93, 6:151). In Sure 4, Vers 29 würde sogar der
Selbstmord direkt angesprochen: „Und tötet euch nicht selbst. Gott ist doch barmherzig
mit euch.“
2. Der Prophet Mohammed habe ebenfalls den Mord strikt verboten. In einer Aussage
heiße es, dass ein Selbstmörder im Höllenfeuer verewigt werde. In einer anderen Überlieferung soll Mohammed über jemanden, der sich nach einer Verwundung selbst das
Leben genommen hat, um den Tod zu beschleunigen und sich von den Qualen zu befreien, gesagt haben: „Gott schließt ihn vom Paradies aus.“
3. Das Leben eines Menschen sei eine Gabe Gottes, es gehöre nicht dem Menschen selbst, er habe vielmehr die Pflicht, verantwortungsvoll mit dieser Gabe umzugehen. Dazu gehöre, dass man sich das Leben nicht
nehmen und auch nicht darüber entscheiden dürfe, wann es enden solle. Dies obliege allein dem Entschluss Gottes.
4. Jegliche Form von Qual bzw. Leiden oder Schmerz, welche der Mensch mit Geduld durchstehe, werde ihm von Gott im Jenseits ersetzt. Leid habe eine Funktion des Läuterns und der Reinigung von Sünden, daher seien Krankheiten und Schmerzen eine Art
göttliche Gnade, mit der er den Status der Betroffenen bei sich erhöhen wolle. Es sei daher geboten, sich in Geduld zu üben und
Dankbarkeit statt Frust und Hadern zu zeigen.
Es scheint einen innerislamischen Konsens über das Verbot des assistierten Suizids zu geben. Diesem widerspreche ich mit dem Argument der gebotenen Bewahrung der dem Menschen von Gott verliehenen Freiheit zur Selbstbestimmung.
Die Vertreter dieser Position sprechen sich dennoch in einem Fall für eine Form der passiven Sterbehilfe aus, und zwar beim Hirntod. Vorausgesetzt wird, dass die Ärzte jegliche Hoffnung auf Heilung verloren haben. Nur in diesem Fall dürften lebenserhaltende medizinische Geräte abgestellt werden.
Das Verbot des assistierten Suizids hat einen Hintergrund: Der Mensch wird dabei
nicht als selbstbestimmtes Subjekt gesehen, das über Freiheit verfügt und selbst entscheiden kann, wie es mit seinen Leiden umgehen
will. Tatsächlich ist das Leben nach islamischer Auffassung eine göttliche Gabe. Desgleichen ist aber auch die Freiheit, mit der der Mensch ausgestattet ist, sich selbst zu
bestimmen, eine göttliche Gabe, die der Mensch nicht veräußern darf.
Als Vertreter einer islamischen Freiheitstheologie verstehe ich das islamische Menschenbild so, dass der Mensch ein selbstbestimmtes Subjekt ist, dem Gott das Ruder in die Hand gegeben hat. Daher bezeichnet der Koran den Menschen als „Kalifen“, als Statthalter. Als solcher trägt er Verantwortung für sich selbst, für seine Mitmenschen und für die Schöpfung. Dies bedeutet auf keinen Fall, egoistisch sein zu dürfen. Das heißt für den assistierten Suizid:
1. Es gibt darauf keine islamisch-universale
Antwort. Jeder betroffene Mensch muss für sich selbst entscheiden, wie er mit seinem
Leiden umgehen will.
2. Niemand darf gezwungen werden, gegen seinen Willen zu handeln, solange er niemandem Schaden zufügt, auch nicht sich selbst. 3. Auch leidende Menschen dürfen nicht zu
pädagogischen Objekten instrumentalisiert werden. Man darf ihnen nicht auferlegen, ihr Leiden aushalten zu müssen, um als Objekte der Belehrung anderer über Geduld und Tapferkeit
zu agieren.
Mouhanad Khorchide, Leiter des Zentrums für Islamische Theologie und Professor für Islamische Religionspädagogik, Uni Münster.