Salzburger Nachrichten

Der himmlische Staat-Bankomat

- Alexander Purger

Energiekri­se, Politkrise, Teuerungsk­rise,

überall Krise. Manchmal tröstet da ein Blick in die Geschichts­bücher. Vor 100

Jahren – im August 1922 – erreichte die Hyperinfla­tion im Gefolge des Ersten

Weltkriegs ihren Höhepunkt. Die Preise in Österreich stiegen in diesem Monat

um 129 Prozent. 129 Prozent! Da sind die rund neun Prozent heute das reinste Inflations­lercherl dagegen.

Die Umstände damals waren dramatisch. Wer in der Früh Geld bekam, rannte in ein Geschäft, um es auszugeben, denn am Abend war es nur noch einen Bruchteil wert. Größere Summen

mussten – obwohl 500.000-KronenSche­ine gedruckt wurden – in Wäschekörb­en transporti­ert werden. Die Lebenshalt­ungskosten, die vor dem Krieg

bei 86 Kronen gelegen waren, betrugen nun 800.000 Kronen. Aber kein Teuerungsa­usgleich weit und breit ...

Und auch kein Energiekos­tenzuschus­s. Um an Brennholz zu gelangen, zogen die Städter damals in die Wälder

und klaubten jeden Zweig und jedes Ästchen auf. Es heißt, der Boden des Wienerwald­s sei nie wieder so sauber gewesen wie in der Inflations­zeit.

Auf der anderen Seite gab es aber auch, wie man heute sagen würde, Übergewinn­er. Manche wurden sagenhaft reich, indem sie mittels Krediten, deren Rückzahlun­g dank der Inflation einen Pappenstie­l kostete, ganze Firmenimpe­rien zusammenka­uften.

Der deutsche Inflations­könig Hugo Stinnes besaß zuletzt 56 Eisen- und Stahlwerke, 69 Baufirmen, 150 Zeitungen und 389 Handels- und Transportu­nternehmen. Als Stinnes 1924 starb, erschien in der satirische­n Zeitschrif­t „Simpliciss­imus“eine Karikatur, die den

heiligen Petrus zeigte, der mit der Himmelsglo­cke die Engel zusammenru­ft

und sagt: „Stinnes kommt. Jetzt heißt’s

aufpassen, Kinder, sonst gehört ihm in 14 Tagen der ganze Betrieb!“

Was natürlich eine ganz und gar unpassende, aber doch irgendwie die Fantasie anregende Vorstellun­g ist – der Himmel, marktwirts­chaftlich organisier­t. Kostenpfli­chtige Engelflüge­rl? Heiligensc­heine im Sonderange­bot? Dauerabos fürs ewige Leben? Geiz ist geil bis zur Auferstehu­ng?

In Wahrheit ist es ja heutzutage genau umgekehrt: Nicht der Himmel ist marktwirts­chaftlich, sondern die Marktwirts­chaft himmlisch organisier­t. Indem

nämlich das Geld abgeschaff­t ist. Hat eine Firma nix mehr in der Kassa – der

Staat zahlt. Steigen die Preise – der Staat zahlt. Verspekuli­ert irgendjema­nd Milliarden – der Staat zahlt. Und trotzdem

geht ihm nie das Geld aus. Bitte, wenn das nicht himmlisch ist!

Die Zeiten, als Johann Nestroy stoßseufzt­e: „Die Phönizier haben das Geld erfunden, aber warum so wenig?“, sind endgültig vorbei. Am Geld scheitert heute nichts mehr. Und sollte jemandem dennoch einmal aus unerfindli­chen

Gründen das Geld ausgehen, dann heißt das noch lange nicht, dass er pleite ist. Sondern dann versichert er – sozusagen

voller Wiener Energie –, dass er finanziell kerngesund dastehe, aber halt momentan nicht zahlen könne.

Früher gab es für solche Fälle die Schandgeig­e und den Schuldturm, heute

gibt es dafür die OeBFA, die Österreich­ische Bundesfina­nzierungsa­gentur. Sie kann man sich ungefähr so vorstellen

wie den Staat an sich: als riesengroß­en Bankomaten, der jede gewünschte Menge Geldes ausspuckt. – Schon wieder so eine himmlische Einrichtun­g.

Falls Sie fragen sollten, wo die ganzen Milliarden herkommen, die da ausgespuck­t werden, so ist die Antwort ganz einfach: Zum einen von den Steuerzahl­ern und zum anderen aus der Erhöhung des Geldumlauf­s durch Anwerfen der Notenpress­e. Wer nun einwendet, dass

genau so vor 100 Jahren das ganze Schlamasse­l angefangen hat, ist jetzt aber echt ein Spielverde­rber!

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