Der himmlische Staat-Bankomat
Energiekrise, Politkrise, Teuerungskrise,
überall Krise. Manchmal tröstet da ein Blick in die Geschichtsbücher. Vor 100
Jahren – im August 1922 – erreichte die Hyperinflation im Gefolge des Ersten
Weltkriegs ihren Höhepunkt. Die Preise in Österreich stiegen in diesem Monat
um 129 Prozent. 129 Prozent! Da sind die rund neun Prozent heute das reinste Inflationslercherl dagegen.
Die Umstände damals waren dramatisch. Wer in der Früh Geld bekam, rannte in ein Geschäft, um es auszugeben, denn am Abend war es nur noch einen Bruchteil wert. Größere Summen
mussten – obwohl 500.000-KronenScheine gedruckt wurden – in Wäschekörben transportiert werden. Die Lebenshaltungskosten, die vor dem Krieg
bei 86 Kronen gelegen waren, betrugen nun 800.000 Kronen. Aber kein Teuerungsausgleich weit und breit ...
Und auch kein Energiekostenzuschuss. Um an Brennholz zu gelangen, zogen die Städter damals in die Wälder
und klaubten jeden Zweig und jedes Ästchen auf. Es heißt, der Boden des Wienerwalds sei nie wieder so sauber gewesen wie in der Inflationszeit.
Auf der anderen Seite gab es aber auch, wie man heute sagen würde, Übergewinner. Manche wurden sagenhaft reich, indem sie mittels Krediten, deren Rückzahlung dank der Inflation einen Pappenstiel kostete, ganze Firmenimperien zusammenkauften.
Der deutsche Inflationskönig Hugo Stinnes besaß zuletzt 56 Eisen- und Stahlwerke, 69 Baufirmen, 150 Zeitungen und 389 Handels- und Transportunternehmen. Als Stinnes 1924 starb, erschien in der satirischen Zeitschrift „Simplicissimus“eine Karikatur, die den
heiligen Petrus zeigte, der mit der Himmelsglocke die Engel zusammenruft
und sagt: „Stinnes kommt. Jetzt heißt’s
aufpassen, Kinder, sonst gehört ihm in 14 Tagen der ganze Betrieb!“
Was natürlich eine ganz und gar unpassende, aber doch irgendwie die Fantasie anregende Vorstellung ist – der Himmel, marktwirtschaftlich organisiert. Kostenpflichtige Engelflügerl? Heiligenscheine im Sonderangebot? Dauerabos fürs ewige Leben? Geiz ist geil bis zur Auferstehung?
In Wahrheit ist es ja heutzutage genau umgekehrt: Nicht der Himmel ist marktwirtschaftlich, sondern die Marktwirtschaft himmlisch organisiert. Indem
nämlich das Geld abgeschafft ist. Hat eine Firma nix mehr in der Kassa – der
Staat zahlt. Steigen die Preise – der Staat zahlt. Verspekuliert irgendjemand Milliarden – der Staat zahlt. Und trotzdem
geht ihm nie das Geld aus. Bitte, wenn das nicht himmlisch ist!
Die Zeiten, als Johann Nestroy stoßseufzte: „Die Phönizier haben das Geld erfunden, aber warum so wenig?“, sind endgültig vorbei. Am Geld scheitert heute nichts mehr. Und sollte jemandem dennoch einmal aus unerfindlichen
Gründen das Geld ausgehen, dann heißt das noch lange nicht, dass er pleite ist. Sondern dann versichert er – sozusagen
voller Wiener Energie –, dass er finanziell kerngesund dastehe, aber halt momentan nicht zahlen könne.
Früher gab es für solche Fälle die Schandgeige und den Schuldturm, heute
gibt es dafür die OeBFA, die Österreichische Bundesfinanzierungsagentur. Sie kann man sich ungefähr so vorstellen
wie den Staat an sich: als riesengroßen Bankomaten, der jede gewünschte Menge Geldes ausspuckt. – Schon wieder so eine himmlische Einrichtung.
Falls Sie fragen sollten, wo die ganzen Milliarden herkommen, die da ausgespuckt werden, so ist die Antwort ganz einfach: Zum einen von den Steuerzahlern und zum anderen aus der Erhöhung des Geldumlaufs durch Anwerfen der Notenpresse. Wer nun einwendet, dass
genau so vor 100 Jahren das ganze Schlamassel angefangen hat, ist jetzt aber echt ein Spielverderber!