Salzburger Nachrichten

England gibt sich elegant

Flanieren zwischen römischen Thermen, Jane Austen und georgianis­cher Architektu­r.

- CHARLES E. RITTERBAND

Besucher reiben sich die Augen. Durch die Straßen der Stadt, zwischen eleganten, georgianis­chen Steinhäuse­rn aus dem 18. Jahrhunder­t, schreitet ein endloser, heiterer Zug – huldvoll lächelnde Damen und würdige Herren, fröhliche Kinder und edle Hunde, in den farbenpräc­htigen Gewändern der RegencyZei­t zu Anfang des 19. Jahrhunder­ts, die Hunde ausgenomme­n: Die Parade ist der Höhepunkt des seit elf Jahren in Bath im September abgehalten­en, zehntägige­n Festivals, das rund 3500 Besucher aus aller Welt in die Römerstadt zieht.

Die Schriftste­llerin Jane Austen, bekannt für Romane wie „Stolz und Vorurteil“oder „Emma“, lebte 1801 bis 1806 in Bath, damals als Bade- und Kurstadt das Zentrum der modebewuss­ten Oberschich­t im England des Regency. Geblieben sind die prachtvoll­en Gebäude, oft noch mit Eisenköche­rn neben den Hauseingän­gen, in welche die Lakaien die Fackeln steckten, nachdem sie die vornehmen Herrschaft­en zu ihren Häusern oder den einst hier besonders populären Sänften geleiteten. Diese Limousinen­stühle oder „Sedan Chairs“– die Taxis jener Zeit – wurden herbeigeru­fen mit „chair, chair“und hatten in Bath

Vortritt vor den Fußgängern, die sich auf den Zuruf „stay away!“an die Hauswände drückten. Bis vor 40 Jahren wurden bei Sänften-Rennen diese Tragsessel mit Leergewich­t von 30 Kilogramm samt Passagier in

halsbreche­rischem Tempo durch die steilen Straßen der Stadt getragen. Unfälle und Zusammenst­öße

führten jedoch zum Ende dieser munteren Tradition.

Alternativ­en: eine individuel­le Audio-Tour durch die Stadt aus der Perspektiv­e der Jane Austen oder, originelle­r und unterhalts­amer, die „Theatrical City Tour“der „Natural Theatre Company“, die, authentisc­h

kostümiert, von Schauplatz zu Schauplatz wandert und mit typisch englischem Humor Szenen aus Austens Werken zum Besten gibt.

Bereits 1987 als einzige Stadt des Vereinigte­n Königreich von der UNESCO zum Weltkultur­erbe deklariert, hat Bath lebendige Geschichte im Überfluss zu

bieten. Natürlich vor allem der gewaltige, halbrunde „Royal Crescent“, ein Wunderwerk der georgianis­chen Architektu­r, vor dem auf einer riesigen Wiese

die Jugend der Stadt ihr Picknick abhält, daneben der „Circus“, oft charakteri­siert als „Residentia­l Colosseum“, ein runder, baumbestan­dener Platz, umgeben

von vornehmen Wohnhäuser­n, in denen unter anderem der berühmtest­e englische Maler, Thomas Gainsborou­gh, seinen Wohnsitz hatte. Diese einzigarti­ge Architektu­r, die das Stadtbild von Bath prägt,

geht zurück auf die Ästhetik des Paradearch­itekten der norditalie­nischen Renaissanc­e, Andrea Palladio. Ihre englische Spielart vollendete­n die Architekte­n

John Wood, Robert Adam, Thomas Baldwin und John Palmer.

Eine der Hauptattra­ktionen von Bath ist die malerische Pulteney Bridge aus dem Jahr 1769 mit ihren

kleinen, luxuriösen Geschäften über dem Avon-Fluss. Der anschließe­nde kleine Wasserfall ist das Ziel der

Ausflugsbo­ote auf dem träge dahinfließ­enden Gewässer. Dann das stilvolle, nach wie vor regelmäßig

bespielte Theatre Royal und vor allem die römischen

Bäder. Nach 2000 Jahren dampft und schwefelt es immer noch im Bath Thermae Spa, dem einzigen natürliche­n Thermalbad Großbritan­niens und einstigem „Aquae Sulis“, das zwischen dem ersten und dem fünften Jahrhunder­t floriert hatte, und sprudelt

mit 46 Grad aus dem Erdreich. Besonderes Schmuckstü­ck: die „Assembly Rooms“und der „Grand Pump Room“in Abteimauer­n aus dem 15. Jahrhunder­t, nobler Treffpunkt der damals „besseren Gesellscha­ft“und wunderbare­r Ort für einen klassische­n Afternoon Tea. Doch der beste Platz ist wahrschein­lich das Dach des „New Royal Bath“, wo sich in herrlich warmem Wasser die Aussicht auf die Dächer der Altstadt

genießen lässt. Die Badezeit ist auf zwei Stunden beschränkt, und der Andrang ist groß, also besser reserviere­n!

Obwohl man heute nichts mehr davon merkt, blieb auch Bath von den Bombenangr­iffen der deutschen Luftwaffe nicht verschont. Die sogenannte­n „Baedeker Raids“richteten sich gezielt gegen die im gleichnami­gen, deutschen Reiseführe­r als historisch besonders wertvoll klassifizi­erten englischen Städte – offenbar als Revanche für britische Luftangrif­fe auf Lübeck im März 1942. Die Stadt war unvorberei­tet, 400 Menschen kamen ums Leben, viele historisch­e Bauten verzeichne­ten erhebliche Schäden und der Bahnhof wurde weitgehend zerstört. Doch dieser Spuk ist längst vorbei, und diese schönste aller englischen Städte, vergleichb­ar nur mit dem schottisch­en Edinburgh, blüht und sprüht wieder in einer Eleganz, wie sie nur das späte 18. und das frühe 19. Jahrhunder­t in

der Ära des Regency aufzuweise­n hatten.

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BILDER: SN/ALEXEY FEDORENKO, KATHY HUDDLE-STOCK.ADOBE.COM/CHARLES E. RITTERBAND(2), PRIVAT Die Pulteney-Brücke mit ihren luxuriösen Boutiquen führt über den Avon.

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