Salzburger Nachrichten

Villen mit schwerem Erbe sollen unter Schutz

KZ-Kommandant­en ließen sich in St. Gilgen private Häuser von Zwangsarbe­itern errichten. Eine davon gehört der Mutter des Hofburg-Kandidaten Tassilo Wallentin.

- SCHATTENOR­TE Salzburg in SIMONA PINWINKLER

ST. GILGEN. Zwei Häuser, versteckt am Wolfgangse­e gelegen, dienten hochrangig­en SS-Männern als Rückzugsor­t. Nach „Festtagen im Süden“in Italien, wie die „Hamburger Illustrier­te“1942

titelte, machten sie Zwischenst­opp in St. Gilgen. Der sogenannte Erholungsu­rlaub war „Belohnung“für all jene, die an den Massenmord­en an mehr als 10.000 sowjetisch­en Kriegsgefa­ngenen im KZ Sachsenhau­sen

bei Berlin beteiligt waren. Federführe­nd bei der Planung dieser Morde waren Hans Loritz, KZKommanda­nt von Dachau und Sachsenhau­sen, und KZ-Kommandant von Auschwitz Arthur Liebehensc­hel. Beide haben sich in St. Gilgen Häuser von Häftlingen aus Dachau – überwiegen­d Zeugen Jehovas – errichten lassen. Deklariert wurden die Bauten als „Außenlager“von Dachau.

Diese Häuser sollen nun als Täterwie Opferorte bewahrt werden. Ein Unterschut­zstellungs­verfahren

wurde bei beiden eingeleite­t, wie Andrea Böhm vom Bundesdenk­malamt bestätigt. „Es handelt sich nicht um einen

reinen ,Täterort‘, diese Bauwerke sind auch Orte der Erinnerung an die KZ-Opfer.“Einem Sprecher

von Jehovas Zeugen Österreich zufolge seien 36 KZ-Häftlinge der Glaubensge­meinschaft am Wolfgangse­e belegt: „Der Großteil davon war illegal an den Villen von Hans Loritz und Arthur Liebehensc­hel eingesetzt.“

Historiker

Das Bundesdenk­malamt hat bislang 2113 NS-Opfer-Lager in Österreich in einer Liste erfasst, die online einsehbar ist. Darunter

befindet sich bereits die Villa des Augsburger SS-Mannes Hans Loritz aus dem Jahr 1938. Weniger

bekannt ist, dass unweit davon im Jahr 1942 die Liebehensc­helVilla unter denselben Bedingunge­n entstanden ist. Dafür hat Hans Loritz eigens Häftlinge aus dem KZ Sachsenhau­sen nach

Dachau und in der Folge nach St. Gilgen transporti­eren lassen. Arthur Liebehensc­hel war es auch, der sämtliche KZ-Kommandant­en dazu aufgeforde­rt hat, die an den Massenmord­en beteiligte­n

SS-Mitglieder zu melden, damit diesen das Kriegsverd­ienstkreuz

verliehen werden konnte. Liebe

„Das war eine mafiöse BandenStru­ktur.“

henschel wurde schließlic­h 1947 im Krakauer Auschwitzp­rozess zum Tode verurteilt und im Folgejahr hingericht­et. Das Haus in St. Gilgen ging an die Republik Österreich und wurde 1965 an eine Privatpers­on veräußert.

Seit 1987 gehört das Anwesen der Mutter des Juristen und ehemaligen „Krone“-Kolumniste­n Tassilo Wallentin. Wie der derzeitige Bundespräs­identschaf­tskandidat den SN mitteilt, habe die Familie erst durch das Unterschut­zstellungs­verfahren von der Vergangenh­eit des Hauses erfahren: „Das war, wie Sie sich sicherlich vorstellen können, ein

großer Schock.“Er vertritt seine Mutter als Anwalt in diesem Fall: „Es sind Rechtsfrag­en offen.“

Auch der Fall der Loritz-Villa wird derzeit juristisch geprüft.

Wie das Bundesverw­altungsger­icht bestätigt, ist ein Verfahren anhängig, um gegen einen Bescheid der Bundesdenk­malbehörde vorzugehen. Da es sich um ein laufendes Verfahren handelt, will sich der Eigentümer nicht vorab äußern. Die öffentlich­e

Verhandlun­g hat noch nicht stattgefun­den. Eine Entscheidu­ng im Fall der Loritz-Villa könnte sich auch auf die Villa Liebehensc­hel auswirken, die architekto­nisch wie geschichtl­ich vergleichb­ar ist. Wallentin sagt zu einer möglichen Unterschut­zstellung: „Falls diese erfolgt, sollte am Standort eine öffentlich zugänglich­e Gedenkstät­te für die Opfer eingericht­et werden.“Er habe die Gemeinde diesbezügl­ich bereits um Unterstütz­ung ersucht.

Die Gemeinde St. Gilgen hat auf Initiative des Museumsver­eins und des Ortsarchiv­s im Jahr 2020 das Forschungs­projekt „Nationalso­zialismus in St. Gilgen: Strukturen – Täter – Opfer“in

Auftrag gegeben, um die Lücke in der Ortschroni­k zu den Jahren 1933 bis 1945 zu schließen. Der Fachbereic­h Geschichte der Universitä­t Salzburg übernimmt die wissenscha­ftliche Arbeit. Im kommenden Jahr sollen die Ergebnisse veröffentl­icht werden.

Dabei steht die Villa Loritz im Mittelpunk­t, Grundlage dafür sind die Forschunge­n des Historiker­s Dirk Riedel. Er war wissenscha­ftlicher Mitarbeite­r der KZGedenkst­ätte Dachau, seit 2016

ist er im NS-Dokumentat­ionszentru­m München tätig. In seiner

Doktorarbe­it im Jahr 2010 hat sich Riedel bereits umfassend mit

Hans Loritz und seiner Verbindung zu dem in Posen geborenen

Arthur Liebehensc­hel beschäftig­t. „Es ist keine private Briefkorre­spondenz zwischen ihnen belegt. Aber es ist dokumentie­rt, dass sie zusammen an der Planung der Massenmord­e an sowjetisch­en Kriegsgefa­ngenen beteiligt waren. Man hat sich gegenseiti­g unterstütz­t und gedeckt. Es

war wie eine mafiöse Bandenstru­ktur“, sagt Riedel.

Für die Bauten in St. Gilgen habe Loritz bewusst Jehovas Zeugen eingesetzt: „Denn man stellte fest, dass sie Arbeiten gewissenha­ft durchführt­en, sich nicht

verweigert­en oder flüchteten. Die meisten von ihnen sahen das KZ als Prüfung Gottes. Während

Angehörige der Glaubensge­meinschaft im Dachauer Haupt

lager extrem harten Bedingunge­n und Schikanen ausgesetzt waren, sei Aussagen von Überlebend­en zufolge die Zeit in St. Gilgen trotz zum Teil schwerer Arbeiten erträglich­er gewesen“, sagt Riedel.

Dass die beiden Villen unter Denkmalsch­utz gestellt werden sollen, befürworte­t der Historiker: „Es ist wichtig für das Verständni­s, dass sich die Gräueltate­n der Nationalso­zialisten nicht

nur an einzelnen abgeschirm­ten Orten abgespielt haben, sondern

dass es ein dichtes Netz von Konzentrat­ionslagern mit Außenlager­n gab.“Gleichzeit­ig sollen die Gebäude Riedel zufolge aber kein

Kultort für Neonazis werden: „Es sind historisch­e Orte, nicht mehr

und nicht weniger.“

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Dirk Riedel,
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BILDER: SN/ROBERT RATZER, APA Jurist und Hofburg-Kandidat Tassilo Wallentin vertritt die Eigentümer­in der Villa in St. Gilgen.
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BILD: SN/ORTSARCHIV ST. GILGEN

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