Der Blick auf die Gletscher ist hier inkludiert
Auf der Kürsingerhütte sitzt man umgeben von Dreitausendern. Und: Hier gibt es Hühner, die im vielleicht höchsten Hühnerstall der Alpen leben.
NEUKIRCHEN. Wer durch das Obersulzbachtal geht und entlang des Obersulzbaches wandert, der kommt aus dem Schauen nicht mehr heraus: Von der Kraft des Schmelzwassers immer
wieder neu zusammengeschobene Steinansammlungen am Ufer des Baches, riesige Felsbrocken, die vor allem die Jüngeren zum
Hinaufklettern animieren, und dazu der Ausblick auf den Großen Geiger und die ihn umgebenden Gletscherfelder. Nach dem steilen Anstieg Richtung Kürsingerhütte taucht die Spitze des 3657 Meter hohen Großvenedigers vor den Augen der Wanderer auf. Er ist der höchste Berg der
Venedigergruppe in den Hohen Tauern. Die Kürsingerhütte ist für die allermeisten, die hierherkommen, Ausgangspunkt für eine Tour auf den Großvenediger. „Ich habe mich einfach in den Ort
hier verliebt“, sagt Siegfried „Siegi“Karl. „Es ist einfach brutal schön“, sagt er und schaut auf das Bergpanorama, das ihn immer
wieder fasziniert: Vom Keeskogel über die schon in Südtirol liegenden Dreiherrenspitze bis zur Schlieferspitze sei er hier von einer
Reihe von Dreitausendern umgeben. Sein Lieblingsberg ist aber der Große Geiger. Für ihn hat der gelernte Schmied das Gipfelkreuz gemacht.
Siegfried Karl (50) hat schon vor 20 Jahren damit begonnen, sich ehrenamtlich um die Trinkwasserbelange und die Haustechnik bei der Kürsingerhütte zu kümmern. Schmelzwasser gelangt über ein Wasserschloss in die Wasserleitungen der Hütte, der Strom kommt aus einem Kleinkraftwerk im Obersulzbach.
Als der Alpenverein dann einen
„Alle haben gesagt, ich spinn’. Aber die Hütte zu pachten war die richtige Entscheidung für mich.“Siegfried Karl, Hüttenpächter
neuen Pächter gesucht hat, war er zur Stelle: Heuer ist es seine dritte Saison auf 2558 Metern Seehöhe. Das Erste, was er macht, sobald es Tag wird: „Der erste Blick geht immer zum Großvenediger – ob er frei ist.“Das heißt, ob er aus den
Wolken heraußen ist. Wer hinaufwill, muss früh losstarten.
Etwa viereinhalb Stunden geht man von der Kürsingerhütte zum Gipfel. Der Tag von Siegi Karl und seinem Team beginnt um vier
Uhr früh – und mit dem Frühstücksbuffet für die Berggeher.
Mittags gibt es À-la-carte-Speisen, abends ein Abendessen für bis zu 150 Übernachtungsgäste.
Eine Besonderheit in dieser Höhenlage sind die Hühner, die
hier im vermutlich höchsten alpinen Hühnerstall leben. Sie kamen – so wie acht Tonnen weiterer Lebensmittel auch – zu Saisonbeginn Anfang März mit dem Hubschrauber herauf. „Eine Henne war so aufgeregt, sie hat noch im Hubschrauber ein Ei gelegt“, schildert der Hüttenpächter. Zwei Hühner dürften dem Adler zum Opfer gefallen sein, der Verbleib von zwei weiteren Tieren ist ungeklärt. Möglicherweise steht Haushündin Zeta, ein Australian Shepherd, damit im Zusammenhang – es gilt die Unschuldsvermutung. Auch
wenn die verbliebenen „glorrei
chen Sieben“, wie Siegfried Karl die Hühner nennt, brav Eier legen, reicht das bei Weitem nicht für den Bedarf von 300 bis 400 Eiern pro Woche. Sie gelangen – so
wie alle anderen Lebensmittel – seit der Schneeräumung auf der
Straße und dann mit der Materialseilbahn zur Kürsingerhütte.
In der Küche führt Manni Exenberger das Regiment. Der gelernte Koch verarbeitet die Eier der eigenen Hühner (und die zugekauften Eier) zu Kaspressoder Spinatknödeln genauso wie zu Kuchen. Heute steht TopfenStreuselkuchen mit frischen Nektarinen auf seinem Programm. Er nützt aber auch das
wenige, was die Natur in der Umgebung der Kürsingerhütte bietet: Heute sind es Eierschwammerl, die hier „Zachling“genannt
werden. Das Schwammerlfeld unterhalb der Hütte ist bereits leer, aber auf der oberen Seite stehen noch ein paar. Das heißt, sie standen dort, denn jetzt verarbeitet sie Manni Exenberger mit Herrenpilzen, Däublingen, gekochten,
geraspelten Kartoffeln und Zwiebeln zu einer schmackhaften Fülle für seine Eierschwammerlkrapfen. In den Krapfenteig – er besteht zur Hälfte aus Roggen- und Weizenmehl sowie heißem Wasser und darin
geschmolzener Butter – mischt er ein Stamperl Schnaps. „Das ist ein Tipp von meiner Oma“, sagt er, „dadurch saugt sich der Teig beim Frittieren nicht mit Öl an.“
Zum Hüttenteam gehört im Sommer auch Siegfried Karls
Töchter: Während die angehende Maturantin Amelie auf der Hütte
hilft, ist ihre ältere Schwester Lea mit dem Kürsinger-Taxi zwischen dem Parkplatz Hopffeldboden und der Talstation der Materialseilbahn unterwegs. Auch wenn sie ihr Lehramtsstudium in
Wien abgeschlossen haben wird, steht fest: „In Wien bleibe ich
nicht, ich brauche meine Berge, ich komme wieder ganz zurück.“