Salzburger Nachrichten

Wer hat Angst vor Giorgia Meloni?

Der Sieg der Postfaschi­sten in Italien wird Viktor Orbán freuen, Wladimir Putin aber nichts bringen. Realität schlägt Rhetorik.

- LEITARTIKE­L Sylvia Wörgetter SYLVIA.WOERGETTER@SN.AT

Giorgia Meloni und ihre postfaschi­stische Partei Fratelli d’Italia haben am Sonntag die Parlaments­wahlen in Italien gewonnen. Wahrschein­lich wird also die 45-jährige Römerin, die den Faschismus zwar

verurteilt, aber „stolz“ist, eine an Benito Mussolini erinnernde Flamme im Parteiwapp­en zu führen, die nächste italienisc­he Regierung anführen. Eine Regierung, die so weit rechts steht und so nationalis­tisch ist wie noch keine nach dem Zweiten Weltkrieg.

Meloni bediente im Wahlkampf die üblichen Ressentime­nts gegen die Bürokraten in Brüssel. Muss man sich dort also Sorgen machen? Ja und nein.

Ja, weil Meloni eine Freundin Viktor Orbáns ist und ihre Fratelli d’Italia im Europäisch­en Parlament gemeinsame Sache mit den polnischen Nationalpo­pulisten der PiS-Partei machen. Die Regierunge­n in Budapest und Warschau dürfen sich über potenziell­en Beistand aus Rom freuen, wenn es gegen eine

liberale Gesellscha­ftspolitik, gegen Zuwanderun­g oder darum geht, Sanktionen wegen der fortgesetz­ten Demontage des Rechtsstaa­ts zu verhindern.

Der Rechtsruck in Italien kann also zusätzlich­en Sand in den europäisch­en Motor bringen, aber nein, stoppen wird er ihn nicht.

So wird Italien auch unter Melonis Führung nicht aus der westlichen Allianz gegen Wladimir Putin ausscheide­n. Das hat sie klargestel­lt. Weder rüttelt sie an der NATO-Mitgliedsc­haft noch an den Sanktionen,

vielmehr befürworte­t sie weitere Waffenlief­erungen an die Ukraine.

Auch eine Giorgia Meloni muss sich der Realität stellen. Etwa der Tatsache, dass Italien die höchste Staatsvers­chuldung in der Europäisch­en Union aufweist. Kein anderes Land bekommt so viel Geld aus dem Corona-Wiederaufb­aufonds. 220 Milliarden

Euro hat die Kommission zugesagt, gebunden an ein ambitionie­rtes grünes und digitales Reformprog­ramm zur Ankurbelun­g der Wirtschaft, das noch von der Regierung Draghi entworfen wurde. Meloni

braucht das Geld, will sie erfolgreic­h Politik machen – und wird sich letztlich konstrukti­v verhalten.

Und schließlic­h kann Meloni in Brüssel nur stark auftreten, wenn sie zu Hause den Rücken frei hat. Ihre Koalitions­partner Silvio Berlusconi (Forza Italia)

und Matteo Salvini (Lega) sind aber nicht unbedingt Garanten für Stabilität und Loyalität. Der erste ist ein erratische­r Selbstdars­teller, der zweite versucht gerade, die Wahlschlap­pe seiner Lega politisch zu überleben. Bevor sich Meloni also Brüssel zuwendet, hat sie in Rom noch jede Menge zu tun.

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