Salzburger Nachrichten

Wahl-Abstürze sind fast schon Alltag

Ein Blick ins Archiv zeigt: Wahlschlap­pen historisch­en Ausmaßes gibt es auch, aber nicht nur in Tirol.

- ANDREAS KOLLER

WIEN. Die ÖVP hat also in Tirol knapp ein Viertel ihrer Stimmen

verloren und landete bei der Landtagswa­hl am Sonntag bei 34,7 Prozent. Dass die Parteiober­en um Anton Mattle gelassen reagierten, liegt

nicht nur daran, dass die ÖVP trotz dieser Schlappe unangefoch­ten auf

Platz eins liegt. Die Gelassenhe­it der ÖVP hat auch mit dem Umstand zu tun, dass erdrutscha­rtige Wählerbewe­gungen seit den Achtzigerj­ahren Tradition haben. Ganz anders als in den stabilen Nachkriegs­jahren, als man Wahlsiege und -niederlage­n oft nur im Zehntelpro­zentbereic­h bemessen konnte.

Abstürze

Wählervers­chiebungen größeren Ausmaßes sind erstmals Ende der Achtzigerj­ahre belegt, als Jörg Haider in der FPÖ die Macht übernahm

und in der Folge die heimische Parteienla­ndschaft durcheinan­derwirbelt­e. Beispiel Tirol 1989: Alois Partl, der glücklose Nachfolger des legendären Landesvate­rs Eduard

Wallnöfer, erlitt bei der Landtagswa­hl ein wahres Desaster, seine ÖVP stürzte von 64,6 auf 48,7 Prozent, ein Minus von 15,9 Prozentpun­kten. Das war für damalige Verhältnis­se – man war noch die Stabilität der Nachkriegs­jahrzehnte gewohnt – eine Sensation. Drei Tage später verstarb der alte Patriarch

Wallnöfer.

in fast

Seither gehören radikale Veränderun­gen in der Wählerguns­t fast zum

Alltag. Beispiel Kärnten: Dort hatte BZÖ-Landeshaup­tmann Gerhard

Dörfler, der kurz zuvor an die Stelle des tödlich verunglück­ten Jörg Haider

getreten war, bei der Landtagswa­hl 2009 seine Partei auf 45 Prozent gepusht. Vier Jahre später folgte die Implosion. Dörflers Partei, nunmehr als FPK firmierend, sackte um 28 Punkte auf 16,9 Prozent ab. Die Partei hatte grob gerechnet zwei Drittel ihrer

Wähler verloren.

allen

Das freiheitli­che Lager war auch auf Bundeseben­e stets für Erdrutsche gut, und zwar vor allem dann, wenn wieder einmal eine

Regierungs­beteiligun­g im Chaos endete. 2002, nachdem sich die

in einer schwarz-blauen Koalition befindlich­e FPÖ in Knittelfel­d selbst zerfleisch­t hatte, erfolgte

bei der Nationalra­tswahl ein Absturz von 26,9 auf 10 Prozent. Ganz ähnlich war es 2019 nach

Ibiza: Die FPÖ sackte von 25,9 auf 16,2 Prozent. Noch deutlicher war der blaue Rumms bei der Wiener Gemeindera­tswahl 2020. Die FPÖ erlitt ein Minus

von 23,7 Punkten und stürzte in die Einstellig­keit (7,1 Prozent). Mehr als zwei Drittel ihrer Wähler hatten sich verflüchti­gt.

Parteifarb­en

Auch die Grünen sind tektonisch­e Verschiebu­ngen gewohnt. 2017 wurden sie von den Wählern atomisiert (von 12,4 auf 3,8 Prozent), zwei Jahre später eindrucksv­oll wiederbele­bt bzw.

mehr als verdreifac­ht (von 3,8 auf 13,9 Prozent). Und auch die einstigen Großpartei­en geben mitunter Lebenszeic­hen in Form

von Wahlsiegen von sich. Zuletzt etwa die SPÖ Kärnten, die SPÖ Burgenland – oder die ÖVP unter Sebastian Kurz.

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