Wahl-Abstürze sind fast schon Alltag
Ein Blick ins Archiv zeigt: Wahlschlappen historischen Ausmaßes gibt es auch, aber nicht nur in Tirol.
WIEN. Die ÖVP hat also in Tirol knapp ein Viertel ihrer Stimmen
verloren und landete bei der Landtagswahl am Sonntag bei 34,7 Prozent. Dass die Parteioberen um Anton Mattle gelassen reagierten, liegt
nicht nur daran, dass die ÖVP trotz dieser Schlappe unangefochten auf
Platz eins liegt. Die Gelassenheit der ÖVP hat auch mit dem Umstand zu tun, dass erdrutschartige Wählerbewegungen seit den Achtzigerjahren Tradition haben. Ganz anders als in den stabilen Nachkriegsjahren, als man Wahlsiege und -niederlagen oft nur im Zehntelprozentbereich bemessen konnte.
Abstürze
Wählerverschiebungen größeren Ausmaßes sind erstmals Ende der Achtzigerjahre belegt, als Jörg Haider in der FPÖ die Macht übernahm
und in der Folge die heimische Parteienlandschaft durcheinanderwirbelte. Beispiel Tirol 1989: Alois Partl, der glücklose Nachfolger des legendären Landesvaters Eduard
Wallnöfer, erlitt bei der Landtagswahl ein wahres Desaster, seine ÖVP stürzte von 64,6 auf 48,7 Prozent, ein Minus von 15,9 Prozentpunkten. Das war für damalige Verhältnisse – man war noch die Stabilität der Nachkriegsjahrzehnte gewohnt – eine Sensation. Drei Tage später verstarb der alte Patriarch
Wallnöfer.
in fast
Seither gehören radikale Veränderungen in der Wählergunst fast zum
Alltag. Beispiel Kärnten: Dort hatte BZÖ-Landeshauptmann Gerhard
Dörfler, der kurz zuvor an die Stelle des tödlich verunglückten Jörg Haider
getreten war, bei der Landtagswahl 2009 seine Partei auf 45 Prozent gepusht. Vier Jahre später folgte die Implosion. Dörflers Partei, nunmehr als FPK firmierend, sackte um 28 Punkte auf 16,9 Prozent ab. Die Partei hatte grob gerechnet zwei Drittel ihrer
Wähler verloren.
allen
Das freiheitliche Lager war auch auf Bundesebene stets für Erdrutsche gut, und zwar vor allem dann, wenn wieder einmal eine
Regierungsbeteiligung im Chaos endete. 2002, nachdem sich die
in einer schwarz-blauen Koalition befindliche FPÖ in Knittelfeld selbst zerfleischt hatte, erfolgte
bei der Nationalratswahl ein Absturz von 26,9 auf 10 Prozent. Ganz ähnlich war es 2019 nach
Ibiza: Die FPÖ sackte von 25,9 auf 16,2 Prozent. Noch deutlicher war der blaue Rumms bei der Wiener Gemeinderatswahl 2020. Die FPÖ erlitt ein Minus
von 23,7 Punkten und stürzte in die Einstelligkeit (7,1 Prozent). Mehr als zwei Drittel ihrer Wähler hatten sich verflüchtigt.
Parteifarben
Auch die Grünen sind tektonische Verschiebungen gewohnt. 2017 wurden sie von den Wählern atomisiert (von 12,4 auf 3,8 Prozent), zwei Jahre später eindrucksvoll wiederbelebt bzw.
mehr als verdreifacht (von 3,8 auf 13,9 Prozent). Und auch die einstigen Großparteien geben mitunter Lebenszeichen in Form
von Wahlsiegen von sich. Zuletzt etwa die SPÖ Kärnten, die SPÖ Burgenland – oder die ÖVP unter Sebastian Kurz.