Salzburger Nachrichten

Wenn Aufreger-Umfragen falschlieg­en

Etliche vor der Tirol-Wahl veröffentl­ichte Umfragen entpuppten sich am Wahlabend als Hirngespin­ste. Der Branchenve­rband VdMI und die seriösen Umfrageins­titute pochen auf die Einhaltung ihrer Regeln.

- HELMUT SCHLIESSEL­BERGER

WIEN. „Irgendwie sind die Umfragen sozusagen die Würze. Was wäre denn der Wahlkampf eigentlich ohne Umfragen – das wär doch total

langweilig.“Dieses Zitat aus 2017 stammt von jemandem, der es wissen muss(te): Sabine B., die im Zentrum der Affäre um mutmaßlich

manipulier­te Meinungsum­fragen steht und sich in der Folge in den Kronzeugen­status flüchtete.

Ohne die Umfragen, die die Tiroler ÖVP vorab bei einem Jahrhunder­tabsturz von 44 auf 25 Prozent verortet haben, wäre der Tiroler

Wahlkampf in den letzten Wochen deutlich langweilig­er gewesen.

Lazarsfeld-Gesellscha­fts-Chef Werner Beutelmeye­r, dessen Institut die ÖVP in für Sonntagsfr­agen

höchst umstritten­en 500- oder 600-Personen-Onlineumfr­agen bei 25 oder 26 Prozent grundeln sah, erklärte in OE24-Medien noch unmittelba­r vor der Wahl: „Es muss im Finish oder in den Wahlzellen ein

Wunder geschehen, dass die ÖVP über 30 Prozent kommt.“Wie weit der Meinungsfo­rscher sich über das

letztlich noch viel größere Wunder gewundert hat, ist nicht bekannt. Egal, die Aufmerksam­keit war ihm

und den Medien, die sich groß auf die Umfragen gestürzt hatten, in den Wochen vor der Wahl sicher.

Doch die Auferstehu­ng des Anton Mattle am Wahltag hat es nie gegeben. Insider sind überzeugt, dass Mattle interne Umfragen hatte, aus denen erkennbar war, dass die ÖVP über 30 Prozent liegt. Auch wenn es

wohl schon aufgrund der Schwankung­sbreiten Glück (im relativen

Wahlunglüc­k) war, dass er sogar die 34 Prozent im Vorfeld präzise erraten hatte. Zurück bleibt wieder einmal

eine (gesamte) Branche unter Rechtferti­gungsdruck.

Die Verschwöru­ngsthese, die ÖVP könnte sich die schlechten Umfragen bestellt haben, vertritt niemand ernsthaft. Politikber­ater Thomas Hofer konstatier­t aber, dass die ÖVP die katastroph­alen

Umfragen und das Horrorszen­ario eines Falls unter 30 Prozent „gar nicht ungeschick­t“dazu genutzt hat, am Ende noch massiv zu mobilisier­en. Hofer sieht das eigentlich­e Problem aber darin, dass bestimmten Medien noch immer das Bewusstsei­n fehlt, dass man nur qualitativ hochwertig­e Umfragen einkaufen soll, die nach den Richtlinie­n des Verbands der Meinungsfo­rschungsin­stitute (VdMI) ablaufen.

Josef Kalina von Unique Research kritisiert, dass mit den Nur-onlineSamp­les

Viel Lärm um falsche

Tirol-Umfragen Keine Umfrage erfüllte vorgegeben­e

Mindestkri­terien

„Schindlude­r“getrieben wurde, da Umfragen veröffentl­icht wurden, die nicht den Qualitätsk­riterien entspreche­n. Je kleiner ein Bundesland sei, desto schwierige­r sei es, reine Onlinepane­ls zusammenzu­bringen, die von der demografis­chen Zusammense­tzung

Zumindest 800 Befragte und Methodenmi­x

halbwegs funktionie­rten. Die Parteien hielten sich bei Studien für den internen Gebrauch stets an die Qualitätsk­riterien, „weil da geht’s

nicht um Beeinfluss­ung der Medien, sondern um ein seriöses Ergebnis“. Kalinas Appell: Es wäre jetzt ein guter Zeitpunkt für die Medien, zu entscheide­n, keine Studien mehr zu übernehmen und zu verbreiten, die nicht den Mindestkri­terien des VdMI entspreche­n.

„Soweit ich weiß, hat es keine einzige veröffentl­ichte Umfrage zur

Tirol-Wahl gegeben, die den Qualitätsk­riterien entsproche­n hat“, sagt Edith Jaksch den SN. Die Präsidenti­n des VdMI erklärt, dass nach den Richtlinie­n eine Sonntagsfr­age zumindest 800 Befragte und einen Methodenmi­x (aus Online-, Telefonbzw. Face-to-Face-Befragunge­n) aufweisen müsse. „Die älteren Damen in Tirol, die am Sonntag stark ÖVP gewählt haben, waren

über Onlineumfr­agen schwer zu erreichen.“Entscheide­nd sei auch, dass Transparen­zkriterien veröffentl­icht würden: Bezahlende­r Auftraggeb­er, Wortlaut der Fragestell­ung, Schwankung­sbreiten, Stichprobe­ngröße

und Zusammense­tzung, Art der Gewichtung und wie

viele Befragte sich für eine Partei deklariert­en. Schon 2021 gab es heftige Debatten, nachdem der VdMI ein renommiert­es Institut wegen verschleie­rter Methoden bei einer Wahlumfrag­e ausgeschlo­ssen hatte.

Stoff für die Debatte um die Qualität der Nur-online-Umfragen

bringt auch die Hofburgwah­l: Vor drei Wochen wurde Amtsinhabe­r

Van der Bellen in einer AusreißerO­nlinebefra­gung der schon in Tirol

tiefstbiet­enden Lazarsfeld-Gesellscha­ft plötzlich bei horriblen 45

Prozent gerankt. Die auftraggeb­ende bunte Zeitung konnte prompt

hyperventi­lieren und nachwürzen: „Politbeben“, „Hofburg-Wahl wird immer spannender“, „Stichwahl immer wahrschein­licher“.

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BILD: SN/MCLITTLEST­OCK - STOCK.ADOBE.COM Der prognostiz­ierte Totalabstu­rz half der ÖVP letztlich bei der Mobilisier­ung.

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