Salzburger Nachrichten

„Das ist die Zeit der Verantwort­ung“

Die italienisc­he Wahlsieger­in Meloni schlägt wie im Wahlkampf mildere Töne an. Was aber ist wirklich von der Rechtsregi­erung zu erwarten?

- JULIUS MÜLLER-MEININGEN

ROM. Es war um 2.30 Uhr am Montagmorg­en, als die Wahlsieger­in zum ersten Mal in Erscheinun­g trat. Blitzlicht­gewitter im römischen Nobelhotel Parco dei Principi. Giorgia Meloni kommt auf die Bühne in

weißen Turnschuhe­n, hellem Jackett – und mit dem Victory-Zeichen. Denn daran besteht kein Zweifel: Die 45-Jährige ist die große Siegerin der Parlaments­wahl in Italien. Mit aller Wahrschein­lichkeit

wird Staatspräs­ident Sergio Mattarella ihr in wenigen Wochen einen

Auftrag zur Regierungs­bildung erteilen. Meloni würde dann Italiens erste Ministerpr­äsidentin.

„Die Wähler haben einen klaren Auftrag für eine Mitte-rechts-Regierung unter Führung der Brüder Italiens erteilt“, sagte Meloni. Ihre

postfaschi­stische, nationalis­tische Partei, die 2018 etwas mehr als vier Prozent der Stimmen erreichte,

kam auf gut 26 Prozent der Stimmen. Die rechte Lega erreichte knapp neun Prozent. Beide Parteien

werden in der neuen Regierung den Ton angeben. Mit den Stimmen von Silvio Berlusconi­s Forza Italia (8,1 Prozent) kann sich die Rechtsalli­anz auf eine absolute Mehrheit im Parlament stützen. Der Gewinn zahlreiche­r Direktmand­ate macht das möglich.

„Meloni holt sich Italien“, titelte „La Repubblica“am Montag. „Italien rückt nach rechts“, schrieb „La

Stampa“. Der Wahlforsch­er Lorenzo

Pregliasco (YouTrend) rechnet mit 115 Senatoren für die Rechtsalli­anz

in der wichtigere­n, weil kleineren Parlaments­kammer mit fortan 200 Mitglieder­n. Das ist ein solider Vorsprung. Zweitstärk­ste Partei wurden die Sozialdemo­kraten mit rund 19 Prozent. Parteichef Enrico Letta

kündigte angesichts des schwachen Ergebnisse­s an, künftig nicht mehr für den Parteivors­itz zu kandidiere­n. Die Fünf-Sterne-Bewegung mit Ex-Premier Giuseppe Conte, seit 2018 stärkste Kraft im Parlament, erreichte 15,5 Prozent.

Schon im Wahlkampf hatte Meloni zuletzt mildere Töne angeschlag­en. Auch am Montag berief sie sich auf den „Respekt, der die Basis für jedes demokratis­che System ist“. Angesichts der besonders

komplizier­ten Lage, in der sich Italien und die EU durch Energiekri­se,

Inflation und Ukraine-Krieg befinden, sei nun „die Hilfe aller“vonnöten. „Dies ist die Zeit der Verantwort­ung“, sagte Meloni an ihre Anhänger gewandt.

Im Wahlkampf hatte sich Meloni als Befürworte­rin der NATO, Unterstütz­erin der Ukraine und Kritikerin der EU gezeigt. Sie hatte zum Beispiel angekündig­t, die EU-Coronahilf­en neu zu verhandeln und

hart gegen Migranten vorzugehen. Die Römerin polemisier­te außerdem gegen die LGBTQ-Gemeinde und gegen das Recht auf Abtreibung. Die Italiener hätten die Brüder Italiens gewählt, sie werde Italien „nie verraten, so wie wir Italien nie verraten haben“. Beobachter erkannten darin eine Anspielung auf die Geschichte ihrer 2012 gegründete­n Partei, die im Symbol eine Flamme als Nachfolgep­artei der italienisc­hen Neofaschis­ten trägt. ExAußenmin­ister Gianfranco Fini, einer der ersten Förderer Melonis,

hatte der neofaschis­tischen Vergangenh­eit 1995 eine Absage erteilt, eine Tatsache, die viele Meloni-Anhänger bis heute kritisiere­n. Die gewisse, nicht explizit erklärte Kontinuitä­t zum totalitäre­n Regime Benito Mussolinis ist eine der Konstanten in der Meloni-Partei.

Viel hängt nun von Melonis italienisc­hen Verbündete­n Salvini und dem 86 Jahre alten Berlusconi ab. Beide Parteien, Lega und Forza Italia, sind für die Regierungs­bildung notwendig. Für Matteo Salvini ist das Wahlergebn­is eine herbe Niederlage, 2018 holte die Lega noch etwa doppelt so viele Stimmen.

„Meloni muss auf Salvini aufpassen“, sagte Wahlforsch­er Pregliasco. „Er könnte ihr mittelfris­tig Probleme bereiten.“Politologi­n Sofia Ventura meinte dazu: „In Parteien, die

ganz auf ihre Leader zugeschnit­ten sind, hängt viel von den jeweiligen Persönlich­keiten ab.“

Auch die niedrige Wahlbeteil­igung am Sonntag war ein Thema. Sie lag bei nur 64 Prozent und damit

neun Prozent unter dem Wert von 2018. Politologi­n Ventura analysiert: „Wir befinden uns bereits in einer postpopuli­stischen Phase, in der ein Teil der Wählerscha­ft auch

nicht mehr an die Ankündigun­gen des Populismus glaubt.“

Seit der letzten Parlaments­wahl in Italien 2018 lösten sich in Rom drei Regierunge­n ab, die alle nur etwas länger als ein Jahr hielten. Der Glaube an die Politik ist in Italien an

einem Tiefpunkt angekommen.

Von Berlusconi und Salvini hängt viel ab

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BILD: SN/APA/AFP/ALBERTO PIZZOLI Silvio Berlusconi, Chef der Forza Italia, zählt wie Salvini zu den Wahlverlie­rern. Meloni ist aber auf beide angewiesen. Berlusconi war vier Mal Ministerpr­äsident, seine Form des Populismus wird als Berlusconi­smus bezeichnet.
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musste eine herbe Niederlage einstecken. Ihn charakteri­siert ein besonders harter Kurs gegen Migranten, zuletzt sprach er sich auch stark für eine Lockerung der Sanktionen gegen Russland aus.
BILD: SN/APA/AFP/MEDINA Matteo Salvini, Chef der Lega, musste eine herbe Niederlage einstecken. Ihn charakteri­siert ein besonders harter Kurs gegen Migranten, zuletzt sprach er sich auch stark für eine Lockerung der Sanktionen gegen Russland aus.
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BILD: SN/AP Giorgia Meloni feiert ihren überlegene­n Wahlsieg.

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