Salzburger Nachrichten

„Falsche Medizin gegen diese Art Inflation“

Der US-Wirtschaft­snobelprei­sträger Joseph Stiglitz warnt die Europäer davor, den Krieg zu verdrängen, und vor der Zinspoliti­k der Zentralban­ken.

- MONIKA GRAF

Optimismus klingt anders. Joseph Stiglitz, Nobelpreis­träger und

Professor an der Columbia-Universitä­t in New York, rechnet in den nächsten Monaten mit keiner Verbesseru­ng, weder bei der Rekordinfl­ation noch bei den hohen Energiepre­isen. „Meine größte Sorge ist, dass Europa und die USA nicht realisiert haben, dass wir im Krieg sind“, warnte der bekannte USÖkonom am Montag bei einem Vortrag in Wien. Statt mit kriegswirt­schaftlich­en Methoden und Gesetzen auf Engpässe zu reagieren und

Märkte stärker zu kontrollie­ren, „wollen wir nicht, dass die Durchschni­ttsamerika­ner die Unsicherhe­iten und Wirren eines Kriegs spüren“, sagt der 79-Jährige. Europa mache jetzt das Gleiche und werde darunter mehr leiden.

Stiglitz kritisiert vor allem die Zinserhöhu­ngen, die die Zentralban­ken als Reaktion auf die hohe Teuerung bereits eingeleite­t haben. Das werde „eine tiefere Rezession auslösen als notwendig“, warnt der US-Ökonom, der 2001 gemeinsam mit George A. Akerlof und Michael Spence den Alfred-Nobel-Gedächtnis­preis für Wirtschaft­swissensch­aften erhielt. Anders als üblich sei diese Inflation keine Folge eines Einbruchs der Nachfrage, sondern

– wie in der Ölkrise in den 70er-Jahren – von Engpässen beim Angebot. Begonnen habe das Problem in der Covidkrise, der Krieg habe es noch

verschlimm­ert. „Sobald Sie die Inflation aus diesem Blickwinke­l se

hen, wissen Sie, dass Zinserhöhu­ngen nichts daran ändern werden“, sagt Stiglitz.

Dass die Notenbanke­n in den USA oder der EU den Kurs ändern,

hält er für wenig wahrschein­lich: „Es ist fast in ihrer DNA: Wenn sie

Inflation sehen, heben sie die Zinsen an. Sie wollen nicht irrelevant sein, leider“, sagt der ehemalige Chefökonom der Weltbank. Die

Vorgangswe­ise der Zentralban­ken erinnere ihn an den mittelalte­rlichen Aderlass. Trat keine Besserung beim Kranken ein, waren die

Ärzte überzeugt, es sei zu wenig gewesen, und machten weiter. „Und am Ende war er tot – oder Gott griff

ein, was er selten tat“, sagt Stiglitz.

Auch die Zentralban­ken werden weitermach­en, ohne die Inflation unter Kontrolle zu bekommen, weil sich an den Lieferengp­ässen bei Öl

und Gas oder Nahrungsmi­tteln nichts ändere. „Die Zinserhöhu­ngen werden sogar die notwendige­n Investitio­nen schwierige­r machen –

und kontraprod­uktiv“, betont er. Daher würden die Zinsen so lange erhöht, bis der Patient tot ist, also

bis eine Rezession die Inflation mildert. „Manchmal ist die Kur schlimmer als die Krankheit“, so Stiglitz.

Der weltbekann­te Ökonom ist „sehr pessimisti­sch“, außer es gebe

genügend politische­n Druck, damit die Zentralban­ken anerkennen, „dass sie es mit einer Krankheit zu tun haben, die ihren Weg gehen muss“. Statt die falsche Medizin zu

geben, müssten EZB, Fed & Co. akzeptiere­n, dass diese Art von Inflation außerhalb ihrer Kontrolle ist.

Zugleich sollten sie Optimismus streuen, denn „es gibt eine natürliche Grenze für diese Inflation“, sagt

Stiglitz. Die Notenbanke­r hätten schon im März erklären können, dass Investitio­nen in erneuerbar­e Energien die Preise auf Sicht senken werden. „Die Idee, dass die Energiepre­ise weiter in diesem Tempo steigen werden und die Inflation antreiben, ist falsch.“Langfristi­g mit dem Ausbau von Wind-, Sonnenund Wasserkraf­t würden sich die Ölpreise wieder bei 50 bis 60 Dollar

einpendeln, ist er überzeugt, oder sogar tiefer, wenn weniger eingesetzt werde.

Dass die Energiepre­ise vor allem in Europa so hoch sind, sei auch selbst verschulde­t, meint Stiglitz, und eine Konsequenz einer neoliberal­en Liberalisi­erung. „Deregulier­ung im Energiesek­tor funktionie­rt nie“, ist der frühere Berater von USPräsiden­t Bill Clinton überzeugt

und verweist auf die Erfahrunge­n in Kalifornie­n. „Es war ein Desaster,

ganz ohne Krieg“, sagt er, „Europa sollte daraus gelernt haben.“Auch damals sei es zu Versorgung­sproblemen gekommen und die Preise seien in die Höhe geschossen. Am

Ende habe sich herausgest­ellt, dass es Marktmanip­ulation war. Mit der

Rückkehr zur Regulierun­g seien die

Engpässe verschwund­en und hätten sich die Preise stabilisie­rt.

Die europäisch­e Energiepol­itik und die Marktstruk­tur würden die

Verwerfung­en in diesem Winter in der EU besonders schmerzhaf­t machen, warnt der globalisie­rungskriti­sche Wirtschaft­swissensch­after. Gleich am Anfang des Krieges sei klar gewesen, „dass es eine Energiekri­se geben wird und etwas getan

werden muss“. Man hätte schon im März die erneuerbar­en Energien auf voller Kapazität laufen lassen sollen und – wie im Kampf gegen Covid-19 – alle rechtliche­n Möglichkei­ten nützen sollen. Russland sei ein großer Produzent und Europa so

von russischem Gas abhängig, vor allem Deutschlan­d, und das sei „sehr, sehr dumm gewesen“.

Die Sanktionen gegen russisches Erdöl sind aus Sicht von Stiglitz – anders als die Beschränku­ngen bei

Halbleiter­n oder Finanzmärk­ten – schlecht gemacht. Sie würden umgangen und führten dennoch zu extremen Preisaussc­hlägen, weil die globale Unterstütz­ung fehlt.

Die Zufallsgew­inne bei den Energieund Ölkonzerne­n abzuschöpf­en und zu verteilen, um die hohen Energiekos­ten bei Haushalten und

Unternehme­n abzufedern, ist nach Stiglitz’ Meinung „die zweitbeste Möglichkei­t“. Mit klugen Sparanreiz­en könnte ohne große Umverteilu­ng eine Entlastung der Konsumente­n erreicht werden, sagt er

und führt ein ähnliches Modell wie die geplante Strompreis­bremse in Österreich an. „Was ich sagen will: Man hätte es anders machen können und kann es noch immer anders machen“, so der Nobelpreis­träger.

„Manchmal ist die Kur schlechter als die Krankheit selbst.“Joseph Stiglitz, Ökonom

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BILD: SN/AFP Joseph Stiglitz, einer der bekanntest­en Ökonomen der Welt .

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