Staatstrauerakt unter Protest
Gäste aus aller Welt gaben Shinzo Abe die letzte Ehre – bei vielen Japanern dagegen ist die Anteilnahme gering.
In Trauer vereint – so wirkte der Staatsakt für den im Juli ermordeten japanischen Ex-Regierungschef Shinzo Abe. Rund 4300 Trauergäste aus dem In- und Ausland
nahmen am Dienstag an der Trauerfeier in Tokio teil, darunter die US-Vizepräsidentin Kamala Harris und der frühere deutsche Bundespräsident Christian Wulff. Sie alle schritten vor das riesige Porträt von Abe und verbeugten sich.
Doch der staatliche Trauerakt für den rechtskonservativen Ex-Premier Abe sorgte nicht nur für Anteilnahme. Rund um die Kampfsporthalle Budokan, wo die Trauerfeier stattfand, hatten sich etwa 20.000 Polizisten formiert. Vor der
Halle und an anderen Plätzen in Tokio
protestierten zahlreiche Menschen gegen den pompösen Staatsakt. „Hantai“– auf Deutsch: „dagegen“– prangte auf den Schildern.
Japan hat untypische Wochen hinter sich. Auch im ostasiatischen Land ist es nicht üblich, schlecht
über Tote zu sprechen. Und direkt nachdem Shinzo Abe, der am längsten regierende Staatschef Japans
nach dem Zweiten Weltkrieg, am 9. Juli auf offener Straße erschossen worden war, war im Land fast nur Anteilnahme zu vernehmen.
Doch als die Regierung unter Fumio Kishida die Absicht verkündete, dem ermordeten Abe ein Staatsbegräbnis zu widmen, kippte die Stimmung im Land. Eine Mehrheit der Menschen in Japan war laut
Umfragen gegen eine solche Ehre für ihren früheren Regierungschef.
Seit Kriegsende hatte es eine Staatstrauer für einen Premier nur ein einziges Mal gegeben: 1967 für Shigeru Yoshida.
Im Ausland gilt Abe zwar als verdienter Staatsmann, doch im eigenen Land ist der Ex-Premier mit seiner nationalistischen Agenda und seiner Verwicklung in Skandale um Freunderlwirtschaft umstritten. Der Attentäter von Abe hatte ihm
vorgeworfen, mit der Moon-Sekte in Verbindung zu stehen. Die für ihre ultrakonservative Gesinnung
bekannte Organisation habe seine Mutter in den finanziellen Ruin getrieben und die Familie zerstört. Mittlerweile ist eine Verbindung nicht nur bestätigt. Es hat sich auch
herausgestellt, dass rund 200 Abgeordnete in Japan Verbindungen zu dieser Sekte unterhalten haben.
Und es gibt noch einen weiteren Kritikpunkt: die hohen Kosten für den Staatsakt. Sie werden auf rund 1,6 Milliarden Yen (rund 11,5 Millionen Euro) geschätzt. Vielen Japanern ist das laut Umfragen zu teuer für einen Ex-Premier mit umstrittenem Vermächtnis.
Trotzdem hat Regierungschef Fumio Kishida an dem Staatsbegräbnis für Abe festgehalten. Laut Beobachtern wollte sich der japanische Regierungschef so das Wohlwollen des mächtigen Abe-Lagers in seiner Liberaldemokratischen Partei LDP sichern. Doch Kishida
bewirkte das Gegenteil: Seine Umfragewerte sanken zuletzt drastisch. Japanische Medien spekulierten schon, dass Kishidas Tage als Premierminister bald gezählt sein
könnten.