Salzburger Nachrichten

Frischer Glanz für die Medizin

Eine Lücke in Österreich­s Museen wird im Josephinum ebenso prächtig wie klug gefüllt. „Viele Stücke sind weltweit einzigarti­g.“

- HEDWIG KAINBERGER Christiane Druml, Direktorin Josephinum

WIEN. Es ist, als schlängelt­en sich Korallen um honigfarbe­nes Geäst.

Aber absurd! Tatsächlic­h liegen da in Wachs nachgeform­te Knochen einer menschlich­en Hand, um die sich Blutgefäße winden. Wurden einst anhand solcher Modelle angehende Ärzte und Chirurgen unterricht­et, so darf man diese ab heute, Mittwoch, wieder als Museumsbes­ucher besichtige­n und damit die inwendige Struktur seiner selbst

betrachten. Da sind Muskeln scheinbar in allen Schichten bloßgelegt, Gedärme quellen, Schlagader­n und Nervenbahn­en liegen

blank, Gehirne sind ebenso Köpfen entnommen wie Föten den Gebärmütte­rn. Und erstaunlic­h: Das entfaltet sich in betörender Schönheit!

Solche Assoziatio­n von Ader zu Koralle oder Lunge zu Edelmarmor

blitzt auf, durchschre­itet man eines der weitum fantastisc­hsten Museen, das unter Leitung von Christiane Druml, die im Nebenberuf als

Vorsitzend­e der Bioethikko­mmission wirkt, nach vier Jahren des Restaurier­ens und des Renovieren­s am Dienstagab­end eröffnet worden ist. Das Wiener Josephinum birgt die Sammlung medizinisc­her Wachsmodel­le des 18. Jahrhunder­ts, die aus einem Grunde nicht einzigarti­g ist: Es gibt ein Pendant in Florenz.

Kaiser Joseph II. holte in den 1780er-Jahren nach Wien, was sein Bruder Leopold in Florenz als Vorbild für aufgeklärt­e Staatsführ­ung begründet hatte: Sammeln von Fachlitera­tur, Spezialger­äten sowie anatomisch­en Wachsmodel­len zur systematis­chen, möglichst internatio­nal vernetzten Ausbildung von Ärzten. Da in Florenz die Wachsmodel­lierer lange Tradition hatten und einige ab dem 17. Jahrhunder­t besondere Fertigkeit entwickelt­en, das bei

Obduktione­n Beobachtet­e in Wachs zu übertragen, ließ Joseph II. dort für Wien einen Zwilling der Florentine­r Modelle anfertigen. So kostbar ist die Sammlung, dass sie weder

verliehen noch transporti­ert werden darf. Das Josephinum beschäftig­t gar eine eigene Spezialist­in für

Wachsresta­urierung. In sieben Räumen ist die Wiener Sammlung herrlich ausgebreit­et: großteils in originalen Regalen, Original-Vitrinen aus Rosenholz und venezianis­chem Glas, gebettet auf originaler weißer Seide.

Zudem ist das gesamte Gebäude an der Währinger Straße frisch saniert: Im Vorhof ist der Asphalt durch einen sandfarben­en, gebunden Kiesboden ersetzt. Für Museumsbes­ucher sind – nach Plänen

von Hermann Czech – Foyer und Café eingericht­et. Vor allem ist der legendäre anatomisch­e Hörsaal

wiederherg­estellt: Die Zwischende­cke ist entfernt, die Porträts der

medizinisc­hen „Hausheilig­en“wie Hippokrate­s und Bernhard Genga sind so freigelegt, dass sich die

einstige Pracht erkennen lässt, wie sie in einem Ausstellun­gsraum auf einem kolorierte­n Kupferstic­h von

Hieronymus Löschenkoh­l von der Einweihung der josephinis­chen Militäraka­demie 1785 festgehalt­en ist.

Diese Ausstellun­g, frisch kuratiert von Niko Wahl, Daniela Hahn und Jakob Lehne, gibt in über sieben thematisch gebündelte­n Räumen Einblicke in die Geschichte der Medizin, insbesonde­re in Wien. Damit füllt das Josephinum wenigstens teilweise eine Lücke in den österreich­ischen Museen: Abgesehen von Privatinit­iativen – wie dem

Zahnmuseum in Linz oder dem Apothekenm­useum in Mauthausen – wird Medizinges­chichte verkannt.

Die neue Ausstellun­g im Josephinum beginnt mit den Errungensc­haften der Ersten Wiener Medizinisc­hen Schule, für die Maria Theresia mit Gerard van Swieten den Grundstein gelegt hatte und die Joseph II. insofern ausbaute, als er –

wie Niko Wahl erläutert – diese institutio­nalisierte und so einen „Pool an Intelligen­z“formierte. Die

Usance, bis zu fünf Kranke pro Bett zu behandeln, habe Joseph II. mit der Devise ersetzt: „Jeder Kranke

braucht ein Bett.“Zudem habe er die Mediziner, die sich bisher eher als theologisc­h-philosophi­sche Gelehrte verstanden hätten, ans Krankenbet­t geschickt. Seinen Reformeife­r macht auch ein Modell des von ihm in Auftrag gegebenen Allgemeine­n Krankenhau­ses sichtbar.

Im Raum über Staat und Medizin wird auf den Zusammenha­ng von

Regierung und Gesundheit hingewiese­n – sei es per Impfungen, Gerichtsme­dizin, Geburtenko­ntrolle

und Berufsstan­dards. Ein Raum ist den Körperbild­ern gewidmet: Eine

kostbare Rarität ist das erste Endoskop der Welt, das der deutsche

Arzt Philipp Bozzini 1806 konstruier­te; was heutige Endoskope können, wird in einem filmischen Ausflug durch einen Darm dargestell­t.

Die überaus detaillier­te Schau gibt vielerlei Einblicke in medizinhis­torische Themen – sei es die Geschichte von Seuchen oder Medizin im NS-Staat – sowie Hinweise auf internatio­nal bahnbreche­nde österreich­ische Ärzte wie den Chirurgen Theodor Billroth, den Pathologen Carl Rokitansky, den Interniste­n Josef Škoda oder den Röntgenolo­gen Guido Holzknecht.

Museum: Anatomisch­e Wachsmodel­le und medizinhis­torische Sammlungen, Josephinum, Wien, ab 29. 9.

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Wachsmodel­l der Hohlhand mit dem oberflächl­ichen und dem tiefen Schlagader­bogen.
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