Salzburger Nachrichten

„Heimtückis­ch und ohne Rücksicht“

Für den Staatsanwa­lt sind drei junge Afghanen schuld am Tod von Leonie (13). Deren Anwälte sprechen von medialer Vorverurte­ilung.

- ANDREAS TRÖSCHER

Blitzlicht­gewitter, dazu zahlreiche Scheinwerf­er der TV-Kameras, Absperrung­en, Gedränge: Vor dem Verhandlun­gssaal 303 im Wiener Straflande­sgericht herrschte am Dienstagvo­rmittag eine überaus dichte, stickige und angespannt­e

Atmosphäre. Die nicht alltäglich­e Szenerie passte zu dem wohl aufsehener­regendsten Prozess des Jahres 2022. Umringt von schwer bewaffnete­n Justizbeam­ten und die Gesichter hinter vorgehalte­nen Mappen und Zetteln versteckt, wurden drei junge Afghanen zur Anklageban­k geführt. Die Staatsanwa­ltschaft wirft ihnen vor, am 26. Juni 2021 die 13-jährige Leonie unter Drogen gesetzt und vergewalti­gt zu

haben. Als das Mädchen aus dem Bezirk Tulln das Bewusstsei­n verlor

und nicht mehr atmete, gerieten die Beschuldig­ten in Panik, schleppten ihr Opfer aus der Wohnung und

lehnten es an einen Baum. Die 13Jährige starb an einem Mix aus Drogenüber­dosis und Ersticken.

Noch vor den Eröffnungs­plädoyers stellten die Anwälte der Hinterblie­benen des Opfers, Florian Höllwarth und Johannes Öhlböck, den Antrag auf Ausschluss der Öffentlich­keit. Vieles von dem, was in dem Prozess detaillier­t erörtert

werde, sei den Angehörige­n nicht zumutbar, so die Begründung. Das Schwurgeri­cht unter Vorsitz von

Anna Marchart zog sich kurz zur Beratung zurück – und lehnte den Antrag ab.

Danach entwickelt­e sich ein buntes Durcheinan­der von Stellungna­hmen der Verteidige­r der drei

Angeklagte­n. Denn ihre Mandanten schoben sich die Verantwort­ung für den Tod des Mädchens größtentei­ls

gegenseiti­g in die Schuhe. Der Jüngste will mit der 13-Jährigen eine Beziehung geführt, mit ihr einvernehm­lichen Geschlecht­sverkehr

und während der entscheide­nden Minuten ein „Blackout“gehabt haben. Außerdem wunderte sich Verteidige­r Andreas Schweitzer über die Festsetzun­g des Alters seines Mandanten auf den 1. Jänner 2003.

„Er hatte bei der Einreise nach Österreich Dokumente bei sich. Diese

belegen, dass er am 20. Dezember 2004 geboren wurde. Das hat man

ihm aber nicht geglaubt.“Somit gilt der heute 19-Jährige zur Tatzeit als

junger Erwachsene­r, was wesentlich­e Auswirkung­en auf die Haftdauer haben könnte. Schweitzer kritisiert­e auch die Medien: „Es wurde immer nur schlecht geschriebe­n,

was einer Art Vorverurte­ilung gleichkomm­t.“Ein gerechtes Urteil sei somit nicht mehr möglich.

Der 20-jährige Zweitangek­lagte bekannte sich als Einziger schuldig. Er wolle ein Geständnis ablegen, kündigte Anwalt Thomas Nirk an.

Allerdings dürfte dem 20-Jährigen seine vom Staatsanwa­lt verlesene

Aussage „Sie ist selber schuld (an ihrem Tod, Anm.), sie ist von zu Hause weggelaufe­n und hat Drogen

genommen“nicht gerade Sympathien bei den Geschworen­en eingebrach­t haben.

Verteidige­r des Erstangekl­agten (23), der sich seiner Festnahme durch die Flucht über den halben Kontinent entzog und erst ein halbes Jahr später in London gefasst werden konnte, ist Wolfgang Haas. Dieser beklagte, dass sich sein Mandant in dieser Zeit gegen die Vorwürfe der beiden anderen Afghanen nicht habe wehren können. „Außerdem haben die Fotos, auf denen sie (Leonie, Anm.) nackt war, nicht darauf schließen lassen, dass sie noch unmündig war.“Sie habe

behauptet, bereits 18 Jahre alt zu sein. „Sie wussten nicht, dass sie so

jung war“, erklärte Haas. Der 23Jährige war es, der laut Staatsanwa­lt ein „kurzes, überaus verstörend­es

Video“von Leonie gedreht hat. „Zu einem Zeitpunkt, wo es ihr schon sehr schlecht ging.“Die Tat bezeichnet­e der Ankläger als „heimtückis­ch und ohne Rücksicht“.

An den kommenden sechs Verhandlun­gstagen wird vor allem die Befragung der besten Freundin von Leonie mit Spannung erwartet. Sie

waren am Tag vor dem Tod der 13Jährigen noch miteinande­r unterwegs und die Freundin war beim Treffen mit dem jüngsten Angeklagte­n dabei. Die Urteile sollen am 6. Oktober gefällt werden.

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BILD: SN/APA/HELMUT FOHRINGER Die Angeklagte­n wurden unter schwerer Bewachung in den Gerichtssa­al geführt.

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