Salzburger Nachrichten

Hilfen „Mit nicht übertreibe­n“

Der Staat soll in Krisen ein Versichere­r sein. Es soll aber vor allem für Betriebe Selbstbeha­lte geben, sagt Wifo-Chef Gabriel Felbermayr.

- RICHARD WIENS

Industrie und Wirtschaft­skammer wollen mehr Tempo und Geld beim Energiekos­tenzuschus­s. Andere rufen nach einem Preisdecke­l für Sprit, Nahrungsmi­ttel und Mieten. Ist das die Vollkaskom­entalität in Österreich, die Ihnen Sorge bereitet?

SN:

Gabriel Felbermayr: Das Problem ist, dass wir als Österreich heuer

und im nächsten Jahr sehr viel mehr Geld für unsere Energieimp­orte ins

Ausland überweisen müssen. Das sind in Normaljahr­en ungefähr 10 Mrd. Euro, das geht in Richtung 30

bis 40 Mrd. Euro. Diesen Finanzbeda­rf kann man durch Hilfen nicht

verändern, dafür müssen wir Energie einsparen oder das Energieang­ebot im Inland ausbauen, damit weniger Geld ins Ausland fließt.

Wenn man jetzt den Haushalten oder auch den Unternehme­n hilft,

muss man Schulden machen oder anderswo Steuern erhöhen. Man

muss im Blick haben, dass die Krise die finanziell­en Möglichkei­ten des Staates einschränk­t. Daher müssen wir darauf achten, es mit den Hilfsprogr­ammen nicht zu übertreibe­n.

Ist die Politik dabei, es mit den Hilfen zu übertreibe­n? Finanzmini­ster Brunner sagt ja, der Staat könne nicht alle Preisansti­ege kompensier­en.

SN:

Ich glaube, bisher wurde noch nicht übertriebe­n. Die Politik hat zu vielen Forderunge­n Nein gesagt. Es gab den Wunsch nach Absenkung der Mineralöls­teuer oder nach Mehrwertst­euerredukt­ionen, das hat man nicht gemacht. Das war auch richtig so. Ich glaube, der Finanzmini­ster ist gut beraten, hart zu bleiben und nicht zu viel, aber zielgerich­tet zu helfen. Dort, wo die Teuerung existenzie­lle Nöte auslöst.

SN: Gibt es noch Bedarf, bestimmte Bevölkerun­gsgruppen auf diese Weise zu entlasten?

Die Indexierun­g der Sozialleis­tungen ist eine solche Maßnahme. Oder das Aufstocken von Sozialhilf­e. Vielleicht muss man auch das

Arbeitslos­engeld unterjähri­g an gestiegene Preise anpassen. Es geht darum, gezielt sozial Bedürftige­n zu

helfen, aber nicht mit der Gießkanne, weil die eben wahnsinnig teuer ist. Bei den Unternehme­n ist das

ungleich schwierige­r, weil die sich anders als Haushalte der Teuerung ein Stück weit entziehen können.

Sie können die Produktion anpassen, drosseln oder besonders energieint­ensive Produktion­en vorübergeh­end einstellen. Und sie können gestiegene Kosten zum Teil

weitergebe­n, manche besser als an

dere. Trotzdem sind Unternehme­n

massiv unter Druck. Dort braucht es Maßnahmen, die den Strom- und Gaspreis senken. Nicht durch großflächi­ge Subvention­en an Unternehme­n, sondern indem man es in Europa endlich schafft, den Preis

für Gas, das zur Verstromun­g dient, zu deckeln. Helfen würde auch der

rasche Ausbau der Infrastruk­tur für den Transport von Flüssiggas. Das sind nachhaltig­e Lösungen.

SN:

Die aber nicht so rasch wirken wie ein Energiekos­tenzuschus­s.

Stimmt. Aber das Geld, das dafür

bereitsteh­t, ist angesichts der enormen Kostenstei­gerungen sowieso nicht wahnsinnig viel. Das könnte man aufstocken. Aber man muss davor warnen, dass wir mit allen Hilfen die fiskalisch­en Spielräume für später reduzieren. Dann drohen

geringere Ausgaben oder höhere Steuern, das wird Wirtschaft und Industrie angesichts der hohen Abgabenlas­t in Österreich auch nicht glücklich machen. Außerdem muss man im Kopf haben, dass es während Corona in einigen Bereichen Überförder­ungen gab. Das droht

wieder zu passieren, vielleicht noch stärker. Denn niemand kann sicherstel­len, dass ein Unternehme­n, das

wegen hoher Energiekos­ten gefördert wird, nicht trotzdem die Preise erhöht. Das will man auch nicht verbieten, das ist ein marktwirts­chaftliche­r Vorgang. Gelänge das im Export, wäre das sogar gut.

SN: Also muss man im Zweifel temporäre Produktion­sschließun­gen in Kauf nehmen?

Das ist ein Übel. Ich möchte als Ökonom keine Produktion­sschließun­gen sehen. Aber wenn es zu wenig Gas gibt, muss es irgendwo eingespart werden. Es ist besser, die Industrie sucht sich aus, wo sie einspart, als mit schlecht gemachten Hilfen die Situation zu konservier­en. Dann würden wir spätestens im Frühjahr 2023 feststelle­n, dass wir zu wenig Gas haben. Bestenfall­s steigt der Gaspreis dann wieder massiv an. Im schlimmste­n Fall müssten wir rationiere­n. Dann entscheide­t die Klimaminis­terin, wo

produziert werden darf und wo nicht. Wenn man Unternehme­n

hilft, müssen Preissigna­le ankommen und sie Sparanreiz­e haben. Das

heißt: Schichten zu reduzieren oder auch Werke stillzuleg­en.

Die Konjunktur kühlt sich ab, eine Rezession ist möglich, Wohlstands­verluste sind fix. Wie sollen die verteilt werden?

SN:

Diese Verluste müssen von jemandem getragen werden, da positionie­ren sich alle Gruppen mit ihren

Anliegen, Industrie wie Gewerkscha­ft. In einem Verteilung­skonflikt ist es nötig, dort zu helfen, wo Lasten wirklich existenzbe­drohend sind. Das sind die sozial Schwachen, die es sich eben nicht richten können, da können auch kleine Unternehme­r dazugehöre­n. Diesen Menschen zu helfen ist der Kern des Sozialstaa­ts. Da müssen jene mit breiten Schultern mehr tragen, auch wenn sie schon sehr viel tragen.

Aber die Alternativ­e wäre, dass wir in massive soziale Verwerfung­en

hineingehe­n, bis hin zu Protesten.

Fiskalrat-Chef Badelt warnt vor politische­r Radikalisi­erung wegen der Teuerung. Warum profitiere­n Regierunge­n nicht davon, dass sie den Bürgern fast alle Lasten abnehmen?

SN:

Ein Teil ist der nicht immer idealen

Kommunikat­ion geschuldet, die Menschen wissen oft gar nicht, dass ihnen geholfen wird. Das funktionie­rt bei manchen Maßnahmen wie

beim Klimabonus besser, bei anderen nicht so gut. Ich glaube, dass die Menschen verstehen, dass Krisen – Corona und nun die Energiekna­ppheit – Wohlstand kosten. Und sie realisiere­n, dass der Staat das nicht wirklich verhindern kann, sondern von der rechten in die linke Tasche verteilt und das mit Schulden finanziert. Regierunge­n kommen unter Druck, wenn sie die Ursachen einer Krise nicht beseitigen können.

Da gibt es berechtigt­e Kritik, es würden nur Symptome bekämpft. Wir

bräuchten bei Energie einen Befreiungs­schlag auf EU-Ebene und den massiven Ausbau erneuerbar­er Energien und damit niedrigere Preise. Da passiert zu wenig.

SN: Die CO2-Bepreisung startet in wenigen Tagen. Soll man sie noch einmal verschiebe­n?

Ich hoffe, dass es dazu nicht

kommt. Ja, das ist eine Belastung und treibt die Inflation weiter und den Lenkungsef­fekt bräuchte man derzeit nicht, weil fossile Energie teuer genug ist. Aber es geht um das

wichtige Signal, dass selbst wenn die Krise vorüber ist, fossile Energie

künftig teurer sein wird. Darauf müssen sich Menschen verlassen

können, sonst haben sie keinen Anreiz, in nachhaltig­e und energiespa­rende Alternativ­en zu investiere­n.

SN: Wie kommen wir von

der Einstellun­g weg, dass

der Staat alle Lasten trägt?

Das wird nach vielen Jahren einer Politik der Rettung – Banken in der Finanzkris­e, Betriebe und Private in der Coronapand­emie – ganz schwierig. Die Erwartung, dass der

Staat in der Krise hilft, zu enttäusche­n, wäre politisch explosiv. Der Staat soll ja versichern, aber jedes

Versicheru­ngssystem braucht einen Selbstbeha­lt. In Krisen muss die

Hilfe so kalibriert sein, dass die Preissigna­le ankommen. Der leider unausweich­liche Wohlstands­verlust soll teilweise in die Zukunft geschoben werden, aber eben nur teilweise. Sonst ändert sich das Verhalten nicht oder zu langsam, und es

besteht die Sorge, dass Strukturen konservier­t werden. Deshalb ist ein Selbstbeha­lt gut, wie bei der Kurzarbeit, wo Unternehme­n nicht alle

Kosten ersetzt bekommen. Aber das Prinzip gilt für alle staatliche­n Versicheru­ngsleistun­gen.

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BILD: SN/WIFO/MÜLLER Gabriel Felbermayr

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