Hilfen „Mit nicht übertreiben“
Der Staat soll in Krisen ein Versicherer sein. Es soll aber vor allem für Betriebe Selbstbehalte geben, sagt Wifo-Chef Gabriel Felbermayr.
Industrie und Wirtschaftskammer wollen mehr Tempo und Geld beim Energiekostenzuschuss. Andere rufen nach einem Preisdeckel für Sprit, Nahrungsmittel und Mieten. Ist das die Vollkaskomentalität in Österreich, die Ihnen Sorge bereitet?
SN:
Gabriel Felbermayr: Das Problem ist, dass wir als Österreich heuer
und im nächsten Jahr sehr viel mehr Geld für unsere Energieimporte ins
Ausland überweisen müssen. Das sind in Normaljahren ungefähr 10 Mrd. Euro, das geht in Richtung 30
bis 40 Mrd. Euro. Diesen Finanzbedarf kann man durch Hilfen nicht
verändern, dafür müssen wir Energie einsparen oder das Energieangebot im Inland ausbauen, damit weniger Geld ins Ausland fließt.
Wenn man jetzt den Haushalten oder auch den Unternehmen hilft,
muss man Schulden machen oder anderswo Steuern erhöhen. Man
muss im Blick haben, dass die Krise die finanziellen Möglichkeiten des Staates einschränkt. Daher müssen wir darauf achten, es mit den Hilfsprogrammen nicht zu übertreiben.
Ist die Politik dabei, es mit den Hilfen zu übertreiben? Finanzminister Brunner sagt ja, der Staat könne nicht alle Preisanstiege kompensieren.
SN:
Ich glaube, bisher wurde noch nicht übertrieben. Die Politik hat zu vielen Forderungen Nein gesagt. Es gab den Wunsch nach Absenkung der Mineralölsteuer oder nach Mehrwertsteuerreduktionen, das hat man nicht gemacht. Das war auch richtig so. Ich glaube, der Finanzminister ist gut beraten, hart zu bleiben und nicht zu viel, aber zielgerichtet zu helfen. Dort, wo die Teuerung existenzielle Nöte auslöst.
SN: Gibt es noch Bedarf, bestimmte Bevölkerungsgruppen auf diese Weise zu entlasten?
Die Indexierung der Sozialleistungen ist eine solche Maßnahme. Oder das Aufstocken von Sozialhilfe. Vielleicht muss man auch das
Arbeitslosengeld unterjährig an gestiegene Preise anpassen. Es geht darum, gezielt sozial Bedürftigen zu
helfen, aber nicht mit der Gießkanne, weil die eben wahnsinnig teuer ist. Bei den Unternehmen ist das
ungleich schwieriger, weil die sich anders als Haushalte der Teuerung ein Stück weit entziehen können.
Sie können die Produktion anpassen, drosseln oder besonders energieintensive Produktionen vorübergehend einstellen. Und sie können gestiegene Kosten zum Teil
weitergeben, manche besser als an
dere. Trotzdem sind Unternehmen
massiv unter Druck. Dort braucht es Maßnahmen, die den Strom- und Gaspreis senken. Nicht durch großflächige Subventionen an Unternehmen, sondern indem man es in Europa endlich schafft, den Preis
für Gas, das zur Verstromung dient, zu deckeln. Helfen würde auch der
rasche Ausbau der Infrastruktur für den Transport von Flüssiggas. Das sind nachhaltige Lösungen.
SN:
Die aber nicht so rasch wirken wie ein Energiekostenzuschuss.
Stimmt. Aber das Geld, das dafür
bereitsteht, ist angesichts der enormen Kostensteigerungen sowieso nicht wahnsinnig viel. Das könnte man aufstocken. Aber man muss davor warnen, dass wir mit allen Hilfen die fiskalischen Spielräume für später reduzieren. Dann drohen
geringere Ausgaben oder höhere Steuern, das wird Wirtschaft und Industrie angesichts der hohen Abgabenlast in Österreich auch nicht glücklich machen. Außerdem muss man im Kopf haben, dass es während Corona in einigen Bereichen Überförderungen gab. Das droht
wieder zu passieren, vielleicht noch stärker. Denn niemand kann sicherstellen, dass ein Unternehmen, das
wegen hoher Energiekosten gefördert wird, nicht trotzdem die Preise erhöht. Das will man auch nicht verbieten, das ist ein marktwirtschaftlicher Vorgang. Gelänge das im Export, wäre das sogar gut.
SN: Also muss man im Zweifel temporäre Produktionsschließungen in Kauf nehmen?
Das ist ein Übel. Ich möchte als Ökonom keine Produktionsschließungen sehen. Aber wenn es zu wenig Gas gibt, muss es irgendwo eingespart werden. Es ist besser, die Industrie sucht sich aus, wo sie einspart, als mit schlecht gemachten Hilfen die Situation zu konservieren. Dann würden wir spätestens im Frühjahr 2023 feststellen, dass wir zu wenig Gas haben. Bestenfalls steigt der Gaspreis dann wieder massiv an. Im schlimmsten Fall müssten wir rationieren. Dann entscheidet die Klimaministerin, wo
produziert werden darf und wo nicht. Wenn man Unternehmen
hilft, müssen Preissignale ankommen und sie Sparanreize haben. Das
heißt: Schichten zu reduzieren oder auch Werke stillzulegen.
Die Konjunktur kühlt sich ab, eine Rezession ist möglich, Wohlstandsverluste sind fix. Wie sollen die verteilt werden?
SN:
Diese Verluste müssen von jemandem getragen werden, da positionieren sich alle Gruppen mit ihren
Anliegen, Industrie wie Gewerkschaft. In einem Verteilungskonflikt ist es nötig, dort zu helfen, wo Lasten wirklich existenzbedrohend sind. Das sind die sozial Schwachen, die es sich eben nicht richten können, da können auch kleine Unternehmer dazugehören. Diesen Menschen zu helfen ist der Kern des Sozialstaats. Da müssen jene mit breiten Schultern mehr tragen, auch wenn sie schon sehr viel tragen.
Aber die Alternative wäre, dass wir in massive soziale Verwerfungen
hineingehen, bis hin zu Protesten.
Fiskalrat-Chef Badelt warnt vor politischer Radikalisierung wegen der Teuerung. Warum profitieren Regierungen nicht davon, dass sie den Bürgern fast alle Lasten abnehmen?
SN:
Ein Teil ist der nicht immer idealen
Kommunikation geschuldet, die Menschen wissen oft gar nicht, dass ihnen geholfen wird. Das funktioniert bei manchen Maßnahmen wie
beim Klimabonus besser, bei anderen nicht so gut. Ich glaube, dass die Menschen verstehen, dass Krisen – Corona und nun die Energieknappheit – Wohlstand kosten. Und sie realisieren, dass der Staat das nicht wirklich verhindern kann, sondern von der rechten in die linke Tasche verteilt und das mit Schulden finanziert. Regierungen kommen unter Druck, wenn sie die Ursachen einer Krise nicht beseitigen können.
Da gibt es berechtigte Kritik, es würden nur Symptome bekämpft. Wir
bräuchten bei Energie einen Befreiungsschlag auf EU-Ebene und den massiven Ausbau erneuerbarer Energien und damit niedrigere Preise. Da passiert zu wenig.
SN: Die CO2-Bepreisung startet in wenigen Tagen. Soll man sie noch einmal verschieben?
Ich hoffe, dass es dazu nicht
kommt. Ja, das ist eine Belastung und treibt die Inflation weiter und den Lenkungseffekt bräuchte man derzeit nicht, weil fossile Energie teuer genug ist. Aber es geht um das
wichtige Signal, dass selbst wenn die Krise vorüber ist, fossile Energie
künftig teurer sein wird. Darauf müssen sich Menschen verlassen
können, sonst haben sie keinen Anreiz, in nachhaltige und energiesparende Alternativen zu investieren.
SN: Wie kommen wir von
der Einstellung weg, dass
der Staat alle Lasten trägt?
Das wird nach vielen Jahren einer Politik der Rettung – Banken in der Finanzkrise, Betriebe und Private in der Coronapandemie – ganz schwierig. Die Erwartung, dass der
Staat in der Krise hilft, zu enttäuschen, wäre politisch explosiv. Der Staat soll ja versichern, aber jedes
Versicherungssystem braucht einen Selbstbehalt. In Krisen muss die
Hilfe so kalibriert sein, dass die Preissignale ankommen. Der leider unausweichliche Wohlstandsverlust soll teilweise in die Zukunft geschoben werden, aber eben nur teilweise. Sonst ändert sich das Verhalten nicht oder zu langsam, und es
besteht die Sorge, dass Strukturen konserviert werden. Deshalb ist ein Selbstbehalt gut, wie bei der Kurzarbeit, wo Unternehmen nicht alle
Kosten ersetzt bekommen. Aber das Prinzip gilt für alle staatlichen Versicherungsleistungen.