Thiem und das Aha-Erlebnis
Der Wille ist deutlich erkennbar, das Selbstvertrauen nicht. Was Österreichs Tennisstar zur Spitze fehlt und warum das Achtelfinale eines kleinen Turniers auf dem Weg dahin so wichtig sein kann.
TEL AVIV. 14 Siege hat Dominic Thiem seit Anfang Juli in Salzburg,
wo er nach einer Niederlagenserie im Frühjahr sein zweites Comeback
gestartet hatte, bislang eingefahren. Die Hälfte davon gewann Österreichs Tennisstar, wie nun auch
beim Kraftakt zum Auftakt in Tel Aviv, in drei Sätzen. Einsatz, Wille und Kampfgeist sind Thiem also definitiv nicht abzusprechen. Was fehlt, ist die Leichtigkeit, der sich der Ex-Weltranglistendritte am Freitag (2. Match nach 17.30 Uhr/
live Sky Sport Austria) im Achtelfinale gegen Marin Čilić nähern will.
Das 5:7, 7:6 (3), 6:4 am Montagabend gegen Laslo Djere war ein
Sinnbild für Thiems so zähen Weg zurück in die Weltspitze. Spektakuläre Punkte wechselten sich ab mit leichten Fehlern, vor allem aber
waren es lange Ballwechsel, die das Match über insgesamt 2:40 Stunden
bestimmten. Thiem muss nach wie vor sehr großen Aufwand betreiben, um sich gegen Profis wie den Weltranglisten-67. aus Serbien durchzusetzen. „Ich hatte keinen
guten Start. Im zweiten Satz habe ich das Break geschafft und dann
hatte ich ein bisschen Glück, dass ich das Match noch drehen konnte. Es war eine echte Schinderei“, bestätigte Thiem danach selbst.
Diesbezüglich auffällig ist, dass die Vorhand noch immer nicht so effektiv ist. „Sie muss wieder Schaden anrichten“, hatte Thiem schon
vor einigen Wochen von sich gefordert. Eine Weiterentwicklung in diese Richtung ist aber (noch) nicht erkennbar. Rund um die Vorhand
hat er vor der Handgelenksverletzung sein gesamtes Spiel aufgebaut.
Aktuell kann der 29-Jährige damit
nur das Spiel verwalten, aber nicht dominieren. Die Rückhand, mit der
Thiem einst „nur“stilistisch punktete, ist, zumindest gefühlt, mittlerweile gefährlicher.
Könnten das – hoffentlich noch zu behebende – körperliche Folgeerscheinungen der Verletzung sein, so ist der teils daraus resultierende zweite große Bremsklotz in Thiems Spiel die mentale Komponente. Spieler auf dem Level eines Djere
kann Thiem auch mit 80 Prozent seines eigenen Leistungsniveaus
noch niederkämpfen. Für Top-10Spieler wie Matteo Berrettini oder
Hubert Hurkacz reichte es bislang aber nicht. Eine Steigerung in der abermals wichtigen Standortbestimmung im Duell mit Čilić muss her. Der Kroate, US-Open-Sieger
von 2014, hat sich als aktuelle Nummer 16 der Welt wieder in der Spitze etabliert. Trotz eines 4:0 in direkten Duellen geht Thiem nicht als Favorit in die Begegnung, die wiederum zum Gamechanger werden kann.
Ein Sieg gegen einen Topspieler, egal wie er zustande kommt, kann der erhoffte Schlüsselmoment, das
Aha-Erlebnis bei seinem Comeback sein. Nicht weniger leicht und wichtig wäre dann, diesen Sieg zu bestätigen. Fürs Selbstvertrauen und für die Weltrangliste. Achtelfinale bei kleineren ATP-Turnieren wie zuletzt in Metz oder nun in Tel Aviv
bringen Dominic Thiem nämlich nicht entscheidend weiter in die Top 100, die er 2022 noch anstrebt.