Sie macht Gesprochenes sichtbar
Nicole Ritter erleichtert das Leben von Menschen, die schlecht hören. Die Salzburgerin möchte auch andere fürs Schriftdolmetschen begeistern.
SALZBURG-STADT. Fulminant startete Nicole Ritter vor 47 Jahren im Landeskrankenhaus Salzburg ins Leben. Sie kam 35 Minuten nach Mitternacht zur Welt
und war das Neujahrsbaby des Jahres 1975. „Meine Eltern bekamen damals als Prämie Möbel
und eine Waschmaschine“, erzählt die Stadtsalzburgerin, die mit ihrem Mann in Tirol lebt.
Fulminant war auch der Berufswechsel, den Ritter hingelegt
hat. Seit der Matura an der HAK II in Salzburg arbeitete sie in verschiedenen kaufmännischen Berufen, seit 2019 ist sie mit ihrer Firma HörSichtbar sehr erfolgreich freiberuflich als zertifizierte Schriftdolmetscherin tätig. „Ich lebe und liebe diesen sinnerfüllenden Beruf, doch kaum jemand kennt ihn und die Ausbildung, das möchte ich ändern“, sagt Ritter und erklärt ihre Tätigkeit: „Ich setze Lautsprache, also Gesagtes, nahezu simultan in
Schriftsprache um. Und zwar so, dass alles, was gesprochen wird, auf einem Monitor, Tablet,
Smartphone, Laptop oder durch
Projektion auf eine Leinwand gleichsam in Echtzeit mitgelesen
werden kann.“So gesehen ist Ritter das erweiterte Ohr für gehörlose oder gehörbeeinträchtigte Menschen. Sie ermöglicht ihnen
nicht nur, dem Gesprochenen zu folgen, sondern auch die aktive
Teilnahme an einer Diskussion, einem Gespräch, Vorträgen, Telefonkonferenzen oder dem Unterricht
in der Schule oder an der Uni. Auch bei Behördengängen,
vor Gericht oder bei Arztterminen steht Ritter den Menschen zur Seite. „Vom Schriftdolmetschen profitieren auch Personen, die die Gebärdensprache nicht oder nicht vollständig beherrschen“, sagt sie. Viele ihrer Kundinnen und Kunden tragen ein Cochlea-Implantat. „Ich will Sprache sichtbar machen, damit
beeinträchtigte Menschen völlige Inklusion erleben, denn die barrierefreie Teilhabe am Leben in der Gesellschaft ist ein Menschenrecht.“Für die Dienste von
Schriftdolmetscherinnen gebe es auch diverse Förderungen.
450.000 Menschen in Österreich sind aufgrund einer Hörbehinderung in der Kommunikation beeinträchtigt, rund 9000 Menschen sind gehörlos.
Ritter ist fast täglich im Einsatz. Ihre Unterstützung bietet sie in Präsenz oder online an, das funktioniert mithilfe einer Plattform, über die sie mit der Kundin oder dem Kunden verbunden ist. „Das hat sich in der Coronazeit sehr bewährt.“In Salzburg hat Ritter zuletzt einen hörbehinderten jungen Mann durch das Masterstudium in Pädagogik begleitet. „Studierende bekommen auf
„Gehörbeeinträchtigte erleben mit unserer Hilfe Inklusion.“Nicole Ritter, Schriftdolmetscherin
Wunsch von mir auch die redigierte Mitschrift.“Ein Klient hatte sie kontaktiert, weil er in einem Zivilprozess vor Gericht erscheinen musste. „Er war total verzweifelt, weil er Sorge hatte, dass er nicht hören wird, was der Richter sagt.“Ritter saß während der
Verhandlung neben dem Kunden. „Sein Auftreten hat sich völlig geändert. Er war selbstbewusst und hat auch viele Fragen gestellt.“Von heute bis Samstag ist Ritter in Salzburg von der Universität bei der Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft für Geschlechterforschung im Unipark Nonntal gebucht. Ritter
wird auch die Eröffnungsrede des Rektors dolmetschen. Eine Wissenschafterin wird von Ritter doppelt unterstützt: bei deren
Vortrag, wenn Fragen gestellt werden, und als Zuhörerin.
Durch Zufall habe sie das Ausbildungsprogramm am BFI in Innsbruck in die Hände bekommen und sei so auf den Lehrgang zur Schriftdolmetscherin aufmerksam geworden, erzählt Ritter. Auch an der Universität Wien finden Ausbildungskurse statt. Ritter möchte sich dafür einsetzen, dass auch in Salzburg ein Lehrgang angeboten wird und ein Pool an Schriftdolmetschern zur
Verfügung steht. „Es ist mein
Herzenswunsch, diesen Beruf in die Öffentlichkeit zu bringen.“
Kaum jemand wisse, was Schriftdolmetscher machen. „Einmal
hat mich ein Herr kontaktiert, der dachte, dass ich die Kurrentschrift entziffere.“
Ritter hat ihre Entscheidung noch keine Sekunde bereut. Schriftdolmetscher bräuchten Empathie und Flexibilität, ein hohes Konzentrationsvermögen,
perfekte Grammatikkenntnisse, eine gute Allgemeinbildung und eine hohe Schreibgeschwindigkeit. Schon in der HAK zeigte sich Ritters Talent im schnellen Tippen. „Ich schaffe 350 Zeichen in der Minute.“Um die Schreibgeschwindigkeit zu erhöhen, hat Ritter für häufig verwendete
Wörter 2500 Tastaturkürzel ersonnen und im Programm eingespeichert. So steht etwa ae für ein, dr für der, fr für Frau und st
für Student. „Wie beim Klavierspielen muss auch ich regelmäßig
üben.“Zertifiziert ist Ritter nicht nur als Schriftdolmetscherin, sondern auch für Leichte Sprache. Ihren Beruf beschreibt sie als erfüllend. „Es ist wunderschön,
wenn mich Menschen nach einem Einsatz vor Freude umarmen, weil sie alles verstanden
und mitbekommen haben.“