Salzburger Nachrichten

KurzComeba­ck für sechs Stunden

Die ÖVP-Abgeordnet­en warfen sich auch lang nach dem Politabgan­g ihres früheren Chefs für ihn in die Bresche – und zwar mit Ansage.

- HELMUT SCHLIESSEL­BERGER

Vor einem Jahr war Sebastian Kurz noch Bundeskanz­ler. Aber da sich seit seinem Abgang im Oktober 2021 mit Corona-Infektions­spitzen,

Ukraine-Krieg, Teuerungsw­ahnsinn und Gas- und Energiekri­se die

unmittelba­re Zeitgeschi­chte täglich neu überschlag­en hat, lief der vierte

Auftritt des Altkanzler­s in einem Untersuchu­ngsausschu­ss fast schon unter der Kategorie: „Was

wurde eigentlich aus Sebastian Kurz?“

Zumindest diese – nicht offiziell gestellte – Frage beantworte­te Kurz unmittelba­r vor seinem Eintreten in den U-Ausschuss-Saal in der Hofburg der wartenden Journalist­entraube mit gewohnt unverbindl­icher Freundlich­keit: Er sei „nicht mehr Politiker, sondern in der Privatwirt­schaft und genieße das auch sehr“. Und da er nun zum vierten Mal in einem U-Ausschuss auftrete,

kenne er mittlerwei­le die Strategien der Fragestell­er und erwarte sich „nichts Neues“.

Auch auf die ebenfalls nicht gestellte Frage, was aus den zwei Ermittlung­sverfahren gegen ihn geworden sei, hatte Kurz eine vorauseile­nde Antwort. – Eine Antwort, die er drei Stunden später im Ausschusss­aal auf eine der vielen nicht gerade investigat­iven Defensivfr­agen eines ÖVP-Abgeordnet­en fast

wortgleich wiederhole­n sollte: Es seien mehr als zwei Dutzend Zeu

gen einvernomm­en worden. Alle Zeugenauss­agen hätten für ihn „ausschließ­lich Entlastend­es“ergeben. „Ich bin sehr überzeugt davon, dass es am Ende des Tages zu einer Einstellun­g kommt.“

Da es aber bisher noch zu keiner Einstellun­g gekommen ist, war von

vornherein klar, dass die Existenz zweier Ermittlung­sverfahren gegen Kurz den Befragungs­tag massiv behindern werde, da er die Möglichkei­t hatte – und auch mehrfach nutzte –, sich zu entschlage­n, um sich in einem laufenden Ermittlung­sverfahren nicht selbst zu belasten. Wie berichtet wird gegen Kurz wegen Falschauss­age im IbizaU-Ausschuss ermittelt, da er – so der Vorwurf – bei seiner Aussage im

U-Ausschuss seine Rolle bei der Bestellung des früheren ÖBAG-Chefs

Thomas Schmid und bei der Besetzung von Aufsichtsr­äten in der ÖBAG falsch dargestell­t haben soll.

Auch in der Affäre um manipulier­te Umfragen, die über die zur Kronzeugin gewordenen Meinungsfo­rscherin Sabine B. in der Zeitung „Österreich “im Gegenzug für Regierungs­inserate veröffentl­icht

wurden, steht der Ex-Kanzler im

Zentrum der Ermittlung­en der

Wirtschaft­s- und Korruption­sstaatsanw­altschaft. Es gilt die Unschuldsv­ermutung.

Nicht nur das Aussagever­weigerungs­recht, sondern auch das vorab angekündig­te Vorhaben des ÖVPFraktio­nsführers, Andreas Hanger, ganz massiv Geschäftso­rdnungsdeb­atten führen zu wollen und gegen die Zulassung von Fragen, die nicht

in den Untersuchu­ngsgegenst­and fallen, noch vehementer als zuletzt zu kämpfen, ließ wenig Konkretes

vom Sitzungsta­g erwarten. Hanger kritisiert­e Vorsitz und Verfahrens­richter, da zuletzt teils 90 Prozent der zugelassen­en Fragen nicht von

der Geschäftso­rdnung gedeckt gewesen seien. Hanger und Neo-ÖVPGeneral Christian Stocker versuchten auch gleich die ersten Fragen der Neos-Abgeordnet­en Stephanie Krisper zu Job- und Namenslist­en

im geheimen türkisblau­en Zusatzabko­mmen (Sideletter) sowie zur

umstritten­en Verlängeru­ng des Gaslieferv­ertrags zwischen OMV

und Gazprom im Jahr 2018 mit Geschäftso­rdnungsdeb­atten gezielt abzusteche­n.

Zu den laut Kurz bei allen Koalitions­verhandlun­gen üblichen Sideletter­n erklärte der Ex-Kanzler, er habe in der Politik eben nicht „Management by Chaos“machen wollen.

Und „das funktionie­rt dann eben durch die Vereinbaru­ng von Spielregel­n“.

Er sei zwar bei der Vertragsun­terzeichnu­ng OMV/Gazprom gemeinsam mit Wladimir Putin dabei gewesen, so wie er bei vielen Unterzeich­nungen dabei gewesen sei. Er sei auch über den Inhalt – der Österreich bis 2040 verpflicht­et – informiert gewesen. Er habe aber weder verhandelt, noch habe er die

Strategie festgelegt. Österreich habe zudem über Jahrzehnte vom günstigen russischen Gas profitiert. Man könne „das Buch nicht von hinten lesen“. Der russische Angriffskr­ieg und die Folgen seien für niemanden

vorhersehb­ar gewesen. Zu Meldungen über Geheimdien­stwarnunge­n

vor der Bestellung von Rainer Seele zum OMV-Chef sagte Kurz nur: „Jetzt kenn ich das Mantra schon, dass ich an allem schuld sein soll.“

Kurz zeigte sich teilweise so redselig, dass ihm die SPÖ Zeitschind­en durch Filibuster­n vorwarf. Bei einer Reihe von Fragen zu Ermittlung­sverfahren gegen ihn nahm Kurz sein Entschlagu­ngsrecht wahr: „Nachdem ich kein Politiker bin, habe ich kein Problem damit.“

FPÖ und Grüne hatten sehr wohl ein Problem damit, dass sie trotz des (brutto) sechs Stunden langen

Kurzauftri­tts nicht mit ihren Fragen drankamen. Die Grünen kündigten eine erneute Ladung von Kurz an.

Dass die Befragung des ehemaligen ÖVP-Generalsek­retärs Axel schon bei der ersten Frage des Verfahrens­richters zu Spenden und dem Projekt Ballhauspl­atz in die sechste langwierig­e „Stehung“zur Geschäftso­rdnung des Befragungs­tags mündete, wunderte dann auch

niemanden mehr.

„Bin nicht mehr Politiker und genieße es, in der Privatwirt­schaft zu sein.“Sebastian Kurz, Ex-Politiker

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erste als Privatmann.
Hier kommt Kurz. Vierter Auftritt in einem U-Ausschuss. Der erste als Privatmann.

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