Salzburger Nachrichten

Juliette Binoche: Recherche mit Wallraff-Methode

Im Film „Wie im echten Leben“arbeitet eine Autorin undercover.

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WIEN. Marianne (gespielt von Juliette Binoche) ist erst vor Kurzem nach Caen gezogen, mit fast nichts in der Tasche, aber der Bereitscha­ft, jeden Job anzunehmen. Am Arbeitsamt

bedeutet das sehr schnell, dass sie eben Reinigungs­kraft wird. Facility Managerin sagen die, die es nicht ernst meinen. Putzfrau die, die ehrlich sind. Im Film „Wie im echten Leben“von Emmanuel Carrère sind die meisten ehrlich. Marianne ist nun eine der vielen, die ohne vernünftig­en Vertrag zu einem Nettolohn von nicht einmal 8 Euro schuften und dabei noch motiviert sein sollen, zu Sonderschi­chten bereit, auch am Sonntag.

Am Arbeitsamt und später bei der Arbeit, beim Saubermach­en

von Campingpla­tz-Klos, beim Überziehen von Betten auf der Fähre nach England, lernt sie Verbündete kennen, fast alles Frauen.

Es ist ein karges, beinhartes Dasein. Doch Marianne könnte jederzeit weg: Sie ist Sachbuchau­torin und undercover hier, um die aufreibend­en Arbeitsbed­ingungen zu recherchie­ren. Die Wallraff-Methode ist für die privilegie­rte Marianne allerdings heikel, vor allem, als die

persönlich­en Beziehunge­n sich vertiefen. „Wie im echten Leben“ist Carrères Adaption des Reportager­omans „Putze: Mein Leben im Dreck“der Investigat­ivjournali­stin Florence Aubenas, bis auf Binoche mit Laien besetzt und als engagierte­s Sozialdram­a gemeint. Doch sobald der Fokus sich vom Dilemma der

Arbeitsbed­ingungen auf die Skrupel der Autorin verschiebt, verliert „Wie im echten Leben“viel von seiner emanzipato­rischen Kraft.

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Juliette Binoche

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