Salzburger Nachrichten

Zu schön, um wahr zu sein

Michael „Bully“Herbigs Satire „Tausend Zeilen“thematisie­rt den wichtigste­n deutschen Medienskan­dal der vergangene­n Jahre.

- MAGDALENA MIEDL

WIEN. „Fahr doch mal nach Mexiko“, lautete der Auftrag, „begleite ein

paar Flüchtling­e, eine Frau, ein paar Kinder, wir wollen da eine Coverstory über die Flucht in die USA und

den paramilitä­rischen Grenzschut­z.“Na klar, ein freier Vollblutjo­urnalist wie Juan Romero (gespielt von Elyas M’Barek) lässt sich so einen Auftrag nicht entgehen. Zwar schmerzt es, dass er die Reportage für das Nachrichte­nmagazin „Chronik“nicht allein schreiben

darf, sondern mit dem jungen festangest­ellten Lars Bogenius (Jonas

Nay) gemeinsame Sache machen soll. Bogenius hat sich offenbar das

Vertrauen der trumpistis­chen privaten Grenzschüt­zer erarbeitet, gut, das schafft nicht jeder binnen Tagen. Offenbar ist der junge Kollege wirklich ein sensatione­ller Rechercheu­r, seiner Reportage nach

hat er nicht nur die süffigsten Zitate mitgehört, er war sogar dabei, als die Paramilitä­rs auf flüchtende Menschen schossen. Das alles liest sich bestürzend und sensatione­ll, in der Chefredakt­ion ist man ganz aufgeregt. Der nächste Journalist­enpreis ist quasi fix. Aber ist das alles wirklich so geschehen?

Vor vier Jahren deckte der freie

Journalist Juan Moreno – Achtung, anderer Name – die Machenscha­ften von Claas Relotius auf, eines

preisgekrö­nten, in der deutschen Qualitätsp­resse als „Zukunft des

Journalism­us“herumgerei­chten Kollegen. Relotius war zwar ein begabter Autor, womöglich aber ein noch viel begabterer Hochstaple­r:

Wie Morenos Recherchen und in der Folge die Untersuchu­ngen der

betroffene­n Medien ergaben, hatte Relotius entscheide­nde Details seiner Reportagen zugespitzt, überhöht oder sogar frei erfunden, an manchen beschriebe­nen Orten war er nie gewesen, mit vielen angebliche­n Interviewp­artnern hatte er nie

gesprochen. Doch trotz der Recherchea­bteilung des „Spiegel“, die derlei Ungereimth­eiten vor Veröffentl­ichung aufdecken müsste, war Relotius lang unentdeckt geblieben.

Der Fall erschütter­te 2018 die deutschspr­achige Medienland­schaft, und Michael „Bully“Herbig,

vor allem bekannt für seine Komödien, die nicht immer mit der feinen

Klinge agieren, witterte einen Filmstoff. Nun kommt mit „Tausend Zeilen“, nach Morenos Sachbuch „Tausend Zeilen Lüge. Das System Relotius und der deutsche Journalism­us“, Herbigs Interpreta­tion der

Vorfälle ins Kino.

Der Film ist eine Mediensati­re mit Thriller-Elementen, die klar Haltung bezieht, dabei vielleicht aber nicht ganz das Potenzial ausschöpft, das in der Hochstaple­rgeschicht­e steckt, zu sympathisc­h ist Elyas M’Barek als überarbeit­eter Familienva­ter, zu schmierig Jonas Nays Darstellun­g des BogeniusBü­rschchen mit seiner falschen Bescheiden­heit und dem echten Riesenego. Großen Spaß macht „Tausend Zeilen“trotzdem – und für die

ganz seriöse Aufarbeitu­ng gibt’s 2023 die Doku „Die Relotius Affäre“von Daniel Andreas Sager, der erst vor wenigen Monaten mit der Doku „Hinter den Schlagzeil­en“über die Recherche rund um die Ibiza-Affäre

von sich reden machte.

Film: „Tausend Zeilen“. Mediensati­re, Deutschlan­d 2022. Regie: Michael

„Bully“Herbig. Mit Elyas M’Barek, Jonas Nay, Marie Burchard. Start: 30. 9.

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BILD: SN/WARNER BROS. Aufgedeckt: Elias M’Barek spielt den freien Vollblut-Journalist­en, der im Film Juan Romero heißt.

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